Rezension über:

Falk Liedtke: Der Konflikt um den Kredit. Organisationsprobleme im Kundenkreditgeschäft Berliner Großbanken vor dem Hintergrund von Bankenkonzentration und Bankenkrise (1924-1939) (= Schriftenreihe des Instituts für Bank- und Finanzgeschichte e. V.; Bd. 30), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2023, 544 S., 17 Farb-, 16 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-13533-7, EUR 92,00
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Rezension von:
Patrick Bormann
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Patrick Bormann: Rezension von: Falk Liedtke: Der Konflikt um den Kredit. Organisationsprobleme im Kundenkreditgeschäft Berliner Großbanken vor dem Hintergrund von Bankenkonzentration und Bankenkrise (1924-1939), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 12 [15.12.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/12/39396.html


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Falk Liedtke: Der Konflikt um den Kredit

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Die Bankenkrise von 1931 war neben der Hyperinflation von 1923 die schwerwiegendste finanzpolitische Krise Deutschlands im 20. Jahrhundert und nimmt in der Forschungsliteratur einen entsprechend prominenten Platz ein. Mit der globalen Finanzkrise von 2008 hat die Beschäftigung mit der Bankenkrise, ihren Ursachen und Folgen noch einmal einen zusätzlichen Schub bekommen. [1] In diese Forschungsdynamik gehört auch Falk Liedtkes gelungene Dissertation über Organisationsprobleme im Kundenkreditgeschäft der Berliner Großbanken, beziehungsweise anders als der Titel suggeriert vor allem der Commerzbank, die er immer wieder mit ihren Konkurrenten vergleicht. Dabei verortet er im Einklang mit dem Großteil der Literatur im Kundenkreditgeschäft und namentlich der dort vorherrschenden Laufzeitinkongruenz eine der zentralen Ursachen für die Bankenkrise von 1931, fragt aber - und dies ist bislang weit seltener geschehen - nach der bankeninternen Organisation dieses Geschäfts.

Die Commerzbank ist für Liedtke vor allem deshalb ein lohnendes Untersuchungsobjekt, weil sie als selbsterklärte "Bank des Mittelstands" mit einem breiten Filialnetz in erheblichem Maße kleinere und mittlere Kredite vergab, sodass sich deren Beitrag zur Krise gut nachzeichnen lässt. Liedtke bietet damit ein erfreuliches Gegengewicht zur Fokussierung auf die großen Kreditausfälle, ohne deren grundsätzliche Bedeutung für die Krise grundsätzlich in Frage zu stellen. [2] Die genaue Größe des Kreditumfanges jenseits des Großkredits bei der Commerzbank lässt sich zwar schwer bestimmen, aber Liedtke geht davon aus, dass 1932 mehr als 40 Prozent des langfristigen Kundenkreditgeschäfts nicht im Großkreditgeschäft zu verorten sind, sondern in den mehr als 28.000 mittleren und kleineren Krediten der Filialen. [3]

Mit seiner Untersuchung des Filialgeschäfts zeigt Liedtke einige strukturelle Probleme auf, zu denen eine sehr eigenständige Geschäftsführung in den Filialen gehörte. Entgegen der Vorgabe der Zentrale erhielten Kunden ausgesprochen großzügige Kredite gewährt, die zudem trotz teils erheblicher Überziehungen immer wieder prolongiert wurden. Mehr als die Hälfte der untersuchten Kredite erwies sich problematisch. Dies lag teilweise an der Kundenstruktur der Commerzbank, die stark in den Problembranchen Bau- und Landwirtschaft verankert war. Liedtke legt aber zugleich dar, dass bei einem Viertel der langfristig überzogenen Kredite keinerlei finanzielle Schwierigkeiten der Kunden auszumachen sind, hier also die risikoaffine Geschäftsführung der Filialen ausschlaggebend war. Die Probleme der Filialkontrolle führt Liedtke zunächst vor allem auf die starke Ausdehnung des Filialnetzes zurück, die aufgrund der gegebenen technischen Möglichkeiten die Kapazitäten der Zentrale überstiegen. Im Vergleich mit anderen Großbanken, die weniger Kontrollprobleme hatten, war es dann jedoch vor allem der hohe Zentralisierungsgrad der Commerzbank, der eine effektive Überwachung der Filialen verhinderte.

Ausführlich fragt Liedtke nach den Ursachen für das risikoaffine Handeln der Filialen, wobei er im Wesentlichen zwei Faktoren anführt. Zum einen verstärkte der intensive Wettbewerb in einem übersetzten Markt die Bereitschaft der Filialleitungen, zur Absicherung bestehender Kundenbeziehungen Sonderregelungen zu suchen, die nicht von den zentralen Vorgaben gedeckt waren. Besonders interessant ist aber der zweite Punkt, denn Liedtke kann nachweisen, wie lokale Geschäftsbeziehungen von Regionalbanken nach ihrer Übernahme und Integration in die Großbanken das Filialgeschäft weiter prägten. Der während der Weimarer Republik zu beobachtende Verdrängungsprozess erweist sich also als viel zäher als meist angenommen, was die Notwendigkeit unterstreicht, über den Finanzplatz Berlin hinaus auch regionale Bankgeschäfte und Wirtschaftsnetzwerke in den Blick zu nehmen. Nicht untersucht hat Liedtke den Einfluss kultureller Prägungen des rein männlichen Managements auf das Risikomanagement.

Inhaltlich sind die Ausführungen von Liedtke insgesamt sehr überzeugend. Manche Gliederungsentscheidung hingegen ist zumindest ungewöhnlich, wenn zum Beispiel ein Grundlagenkapitel zum Wandel des deutschen Bankensektors seit Beginn des 20. Jahrhunderts, das mit knapp 80 Seiten durchaus Kürzungspotential aufweist, nach einer Analyse der Krise im Filialkreditgeschäft der Berliner Großbanken platziert wird. Die Funktion anderer Kapitel erschließt sich erst aus der Lektüre, was den raschen Zugang erschwert. Hier wäre eine größere Klarheit wünschenswert gewesen. Insgesamt aber ist Liedtke eine gut lesbare und vor allem nachvollziehbare Studie gelungen, die Anregung für weitere Forschungen geben wird.


Anmerkungen:

[1] Beispielhaft unter vielen Johannes Bähr / Bernd Rudolph: Finanzkrisen: 1931, 2008, München 2011.

[2] Siehe nur Harald Wixforth: Die Beziehungen der Norddeutschen Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei zu den Banken, IBF Paper Series, No. 04-17, IBF - Institut für Bank- und Finanzgeschichte, Frankfurt am Main, online unter: https://www.econstor.eu/bitstream/10419/162210/1/IBF_Paper_Series-4_17.pdf.

[3] Zur Kundenstruktur bei der Commerzbank auch Nicolai M. Zimmermann: Die veröffentlichten Bilanzen der Commerzbank 1870-1944 - Eine Bilanzanalyse unter Einbeziehung der Bilanzdaten von Deutscher Bank und Dresdner Bank, Leipzig 2005; Ders.: Die Commerzbank und ihre Kunden. Kundenstruktur und Geschäftsbeziehungen einer deutschen Großbank 1924-1945, Stuttgart 2017.

Patrick Bormann