Jeremy Robbins: Incomparable Realms. Spain during the Golden Age, 1500-1700, London: Reaktion Books 2022, 367 S., 39 Farb-, 31 s/w-Abb., ISBN 978-1-78914-537-3, GBP 25,00
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Teresa von Ávila und Johannes vom Kreuz, Garcilaso de la Vega, Cervantes, Calderón und Juan Rana, aber auch Herrera und Velázquez, Pereda, Ribera, Zurbarán und El Greco. Die Liste der Kulturschaffenden in Spanien im so genannten Goldenen Zeitalter ist lang und vielfältig. Diese Personen stehen für die Mystik, die Dichtung, die Prosa- und die Theaterliteratur, die Schauspielerei und die Architektur und begegnen uns in den von Jeremy Robbins beschriebenen "unvergleichlichen Reichen", nämlich Spanien in jener Zeit zwischen 1500-1700.
Sein Blick auf diese für Spanien so wichtige Epoche anhand eines rein kulturhistorischen Ansatzes bringt viele rote Fäden der iberischen Geschichte in einer Weise zusammen, wie es nur jemand vermag, der sich in all den genannten Facetten Spaniens und inmitten seiner Vertreter so zu Hause fühlt wie der Hispanist Robbins.
Beginnend mit dem Kapitel "Bild und Selbst-Bild" erläutert er die Eigenwahrnehmung der Habsburger, die stark in das Konzept der "pietas austriaca" eingebettet war (40-45). Bild und Selbst-Bild manifestieren sich u.a. in den Porträts der spanischen Habsburger, die immer nüchtern schwarz gekleidet dargestellt wurden. "There was no need to trumpet the king's power"(50), so Robbins' Erklärung des Phänomens. In diesem Sinne beleuchten das zweite und dritte Kapitel die repräsentativen, doch sehr unterschiedlichen Bauprojekte Philipps II. und Philipps IV.: jene des Escorials und des Buen Retiro-Palasts. Nicht nur werden der jeweilige Bau- und Einrichtungszweck detailreich erklärt, sondern im Fall des Retiro auch viel über Hofkultur und insbesondere Theateraufführungen als deren Teil dargelegt. Im Kapitel "Exclusion, Inclusion" thematisiert Robbins das Leben all jener als "die anderen" wahrgenommenen Personen der Zeit, nicht nur Juden und judéoconversos sowie Moslems und moriscos, sondern auch Sklaven - einer Gruppe, deren Erwähnung bei Robbins mehr Raum findet als andernorts. So lernt man etwa, dass Sevilla als die Stadt mit dem höchsten Anteil an Sklaven in Spanien galt, wo es sogar - aus Gründen der auch in diesem Bereich fortgesetzten religiösen Segregation - Bruderschaften für Farbige gab. Waren Sklaven in Spanien lange Zeit überwiegend Moslems gewesen, wurden im Zuge der Kolonisierung zunehmend Menschen aus Afrika versklavt (240). In diesem Zusammenhang diskutiert Robbins auch die frühneuzeitliche Repräsentation Schwarzer, ob frei oder versklavt, in Kunst (Murillo: Drei Jungen; Velázquez: Küchenszene) und Dichtung (Lazarillo) (241f.) Den Umgang der dominanten spanischen Kultur mit dem, was sie als "anders" betrachtete (244), bringt Robbins folgendermaßen auf den Punkt: "But why was the obsession with the 'other' so pronounced, persistent and deadly in Spain?" (207). Wo es an politischer Einheit fehlte, suchte man sie in einem gemeinsamen, verbindenden Glauben, so Robbins Vermutung, die stark an die Diskussionen zur Validität des so genannten Konfessionalisierungsparadigmas in Spanien erinnert. [1]
Im Kapitel "Journeys and Reflections" wirft Robbins u.a. die Frage auf, wie geschlossen das vormoderne Spanien tatsächlich war, insbesondere nach Philipps II. Index der verbotenen Bücher und seines Verbots des Auslandsstudiums. Dies mag letztlich weniger der Fall gewesen sein, als man vermuten würde (250-52), insbesondere, wenn man die Möglichkeiten des Reisens betrachtet; und zwar nicht nur jener Reisen, die aufgrund der Größe der spanischen Reiche aus administrativen Gründen notwendigerweise anfielen, sondern wenn man wie Cervantes im Geschichtenerzählen ein Äquivalent für das Leben und für das Reisen sah (259). Weitere Beispiele für nicht auf physische Bewegungen beschränkte Reisen sieht Robbins in Werken von Lope und Aldana oder der mexikanischen Nonne Juana Inés de la Cruz (265-68). Erwähnenswert ist auch die der spanischen Ordensfrau und Beraterin Philipps IV. María de Ágreda zugeschriebene Bilokation, also die Fähigkeit, an zwei Orten gleichzeitig körperlich anwesend zu sein (269-71). In diesen bilokalen transatlantischen Reisen nach Neu-Mexico verflechten sich Imagination und (reale) Bewegung.
Mit Überlegungen zu Blicken, Spiegeln und Fürstenspiegeln sowie Graciáns Ratschlägen zum Verhalten der Regierenden leitet Robbins schließlich über zu Velázquez' "Meninas" als einer Aufsummierung des Bildlichen und zum Inbegriff dessen, was Sehen, Blicke und Spiegel am spanischen Hof bedeuteten: Reziprozität - oder auch Kontrolle, als solche das Arbeitsprinzip der der Krone zugeordneten spanischen Inquisition (283f.) Doch das Sehen wie auch die weiteren Sinne können den Menschen auch täuschen - und so fragt sich Robbins im großen Themenbereich "Täuschung", was eigentlich Traum ist und was Wirklichkeit, eine Frage, die nirgends so deutlich aufscheint wie in Calderóns "La vida es sueño", aber auch in der Malerei, besonders in der im 17. Jahrhundert beliebten Trompe l'œil-Technik und der quadratura. Hier wie auch an anderer Stelle führt der Autor sehr detailliert seine Gedankengänge vor Augen, so dass die jeweiligen geistesgeschichtlichen Strömungen, deren Rezeption in Spanien Robbins skizziert, gut nachvollziehbar werden.
Anhand zweier Arbeiten aus dem Kloster der Descalzas Reales in Madrid schließt Robbins schließlich den Kreis all dessen, was er zuvor über die "politischen, sozialen und religiösen Wirklichkeiten" (302) gesagt hat. Diese beiden, die für ihn für ein "Golden Age in miniature" (303) stehen, sind zum einen das Treppenhaus des Klosters, in welchem durch die Verwendung jener zuvor vorgestellten Mal- und Stucktechniken der Raum fiktiv geöffnet wird und es so zum Inbegriff der künstlerischen Illusion und Täuschung wurde; zum anderen ist dies eine Serie von Tapisserien aus den spanischen Niederlanden, die, von Rubens in den 1620ern entworfen, ein Erbe des territorial weit verzweigten Hauses Habsburg sind und sich dem "Triumph der Eucharistie" widmen. Hier hebt der Autor drei der Tapisserien hervor: jene, auf denen die Schlüsselfiguren der (weltlichen) Habsburger gemeinsam mit kirchlichen Führern dargestellt sind, die allesamt die Eucharistie anbeten - ein Spanien als composite monarchy, das u.a. deshalb funktionierte, weil sich die Habsburger bei aller Unterschiedlichkeit der Territorien kontinuierlich in der "Verteidigung" des Katholizismus engagierten (307). Dass Robbins am Schluss seiner Studie gerade diese drei Bildteppiche auswählt, die die separierten und doch miteinander verbundenen Sphären von irdischer und himmlischer Macht aufzeigen, ist kein Zufall: Nicht einfach um Unvergleichliches geht es in seinem Buch, sondern um Dinge, die nicht verglichen werden können, weil sie, wie das Ewige, nicht vergleichbar (incommensurable) mit irgendetwas sind.
Anhand wichtiger Gemälde des Siglo de Oro, die dank vieler, größtenteils farbiger, Abbildungen den Lesenden vor Augen stehen, und der reichen Barockdichtung, entfaltet Robbins die spanische Kulturgeschichte, ohne dass sein Buch den Charakter einer Anthologie hätte. Mit dem schönen Gefühl, sehr viel über das frühneuzeitliche Spanien in seiner Vielfältigkeit erfahren und verstanden zu haben, mag man dieses Buch wohl nur aus der Hand legen, um es weiterzureichen.
Anmerkung:
[1] Ludolf Pelizaeus: Die iberische Halbinsel und die Kolonien zwischen Konfessionalisierung und Sonderweg, in: Thomas Brockmann / Dieter J. Weiss (Hgg.): Das Konfessionalisierungsparadigma - Leistungen, Probleme, Grenzen (= Bayreuther Historische Kolloquien; 18), Münster 2013, 203-220.
Monika Frohnapfel-Leis