Christian Boseckert: Ein Herzog und sein Staat. Eine politische Biografie Herzog Johann Casimirs von Sachsen-Coburg (1564-1633) (= Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit; Bd. 53), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2022, 583 S., ISBN 978-3-412-52284-1, EUR 80,00
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Das Erscheinen einer umfassenden politischen Biographie eines deutschen Fürsten um 1600 ist für sich genommen schon bemerkenswert. Mit seiner Würzburger Dissertation bereichert Christian Boseckert zudem die Coburger Landesgeschichte und setzt neue Akzente für die regionale Geschichtsforschung. Gestützt auf umfangreiche Quellenrecherchen erschließt die Monographie vielfältige Perspektiven auf eine bisher wenig beachtete Epoche. Das Werk schließt eine historiographische Lücke, da das Bild des Protagonisten der Darstellung bislang vorwiegend durch verstreute Studien des 18. und 19. Jahrhunderts geprägt war.
Im Zentrum der Studie steht die Lebensgeschichte Johann Casimirs von Sachsen-Coburg (1564-1633), der zeitlebens vom Schicksal seines Vaters Johann Friedrichs des Mittleren (1529-1595) geprägt war. Dessen Beteiligung an den Grumbachschen Händeln hatte zur Ächtung und zum Verlust des Territoriums geführt, wodurch die Legitimation von Johann Casimirs eigener Herrschaft stets eine Herausforderung blieb.
Nach einer Einführung, die Auskunft über Forschungsstand, Methodik und Quellen bietet (11-38), werden im zweiten Kapitel die schwierigen "Rahmenbedingungen" seines Lebens dargestellt (39-71). Daraufhin berichtet der Autor unter der Überschrift "Tiefpunkt, Vereinnahmung und Identitätsverlust" von den politischen Krisen und familiären Konflikten bis zu den konfessionellen Streitigkeiten, die Johann Casimirs Entwicklung prägten (72-122). Besonders aufschlussreich ist die Analyse der Jugendzeit Johann Casimirs, in der er als "politischer Spielball" im Haus Wettin fungierte. Die komplexen Einflüsse dieser Periode, sein Verhältnis zum älteren Bruder Friedrich (1563-1572) und die spannungsgeladene Beziehung zu seinen Eltern prägten seine Persönlichkeitsentwicklung nachhaltig, auch wenn diese aufgrund der Quellenlage nicht immer vollständig rekonstruiert werden kann.
Im vierten Kapitel stellt Boseckert die Bemühungen um "Identitätswahrung" und Selbstbehauptung gegenüber kursächsischen Einflüssen dar (123-163). Hier wird deutlich, wie früh der Herzog politische Erfahrungen sammelte, etwa beim Reichstag in Augsburg 1582 und durch seine Teilnahme an Beratungen der Landesregierung. Diese Abschnitte bieten zugleich Einblicke in die Erfordernisse territorialstaatlicher Integration aus fürstlicher Perspektive. Johann Casimir bewahrte sich nach seiner Regierungsübernahme 1586 ein tiefes Misstrauen gegenüber den Albertinern, was seine gesamte Politik und sein Streben nach Selbstbehauptung prägte.
Ein Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf Johann Casimirs Repräsentationspolitik. Im fünften Kapitel untersucht Boseckert deshalb "Höfische Repräsentation und Heiratspolitik" (164-220) und analysiert eindrucksvoll Johann Casimirs mediale Strategien, insbesondere seine Bildnis- und Baupolitik, die nicht zuletzt der Abgrenzung von Kursachsen dienten. Das sechste Kapitel betrachtet "Bauten und Kunstförderung als symbolische Investitionen" (221-277). Durch die damals entstandenen Bauten, darunter die Kanzlei, die Landesschule Casimirianum und das Ballhaus, wird das Coburger Stadtbild noch heute geprägt. Weiterhin wird das Wasserschloss Oeslau, das Johann Casimir für seine zweite Ehefrau Margarethe von Braunschweig-Lüneburg errichten ließ, in die Betrachtung einbezogen. Ein besonders bedeutendes Element seiner dynastischen Rehabilitierungsstrategie war das Grabdenkmal, das Johann Casimir zu Ehren seines Vaters in der Morizkirche zu Coburg errichten ließ, der darin als Märtyrer lutherischer Rechtgläubigkeit gefeiert wurde.
Besonders gelungen ist Boseckerts differenzierte Darstellung der innenpolitischen Konflikte, darunter die Auseinandersetzungen Johann Casimirs mit den um ihre Selbstständigkeit ringenden Rittern und den Landständen über Finanzangelegenheiten. Der Autor beleuchtet dabei nicht nur die Hauptakteure, sondern auch einflussreiche Persönlichkeiten zweiter und dritter Reihe, wie den kursächsischen Statthalter Graf Barby oder Nicolaus Zech, der am Coburger Hof Karriere machte, aber später in Ungnade fiel. Boseckert analysiert in diesem Zusammenhang die geistigen Grundlagen herzoglichen Handelns, die eine Wirkung der Schriften des Erasmus von Rotterdam erkennen lassen. In seiner vermittelnden Position während des Dreißigjährigen Krieges zeigt sich der Herzog als umsichtiger Landesherr, der - ähnlich wie die Weimarer Verwandten - eine für die Ernestiner insgesamt langfristig vorteilhafte Rolle einnahm. Mit erasmischer Gesinnung verkörperte Johann Casimir das klassische Modell des "Landesvaters" und verzichtete, im Gegensatz zu seinen Vorgängern, auf eine aggressive Territorialexpansionspolitik, was ihn als einen kompromissbereiten Fürsten auszeichnete.
Das siebte Kapitel widmet sich der "Bekenntnisbildung, Institutionalisierung und Ordnungspolitik" (278-340), wozu neben der Gottesdienstordnung auch Bildungsanstrengungen und Hexenverfolgung gehören. Der Herzog wurde in seinem Ordnungsstreben zwischen 1606 und 1616 durch den Theologen Johann Gerhard (1582-1637) unterstützt. Das achte Kapitel zeichnet die Bemühungen um "Machterhalt und Machterweiterung" nach (341-406). Im neunten Kapitel untersucht Boseckert "Krieg, Militär, Reichspolitik und Untergang" (407-471) vor allem im Kontext des Dreißigjährigen Krieges. Als einer jener Fürsten, die eine Neutralitätspolitik verfolgten, ließ er bereits in den 1590er Jahren auf der Ehrenburg den vielschichtigen Spruch "Frid ernert, unfrid verzehrt" anbringen. Die Studie zeichnet nach, wie er in der Krise des Böhmischen Aufstands eine vermittelnde Position einnahm, gleichzeitig aber erkannte, dass militärische Mittel für die Friedenssicherung unverzichtbar blieben. Trotz seiner Bemühungen um Frieden nahm seine Herrschaft ein düsteres Ende mit der Verwüstung Coburgs durch Wallensteins Truppen im Zuge des Dreißigjährigen Krieges.
Die abschließende "Zusammenfassung" (472-502) verdichtet nochmals die Beobachtungen dieses bewegten Lebens, vor allem im Hinblick auf Johann Casimirs Herrschaft. Als einen der größten Erfolge seiner Regierungszeit kann man wohl betrachten, dass es ihm 1613 gelang, von Kaiser Matthias einen neuen Lehnsbrief zu erhalten, der jede Erwähnung der Rebellion seines Vaters tilgte - ein entscheidender Akt der dynastischen Rehabilitierung. Nach einer Karte des Coburger Herrschaftsbereichs, einer Stammtafel und weiterem Bildmaterial rund um Johann Casimir (559-574) hilft ein Personenregister (577-583) bei der Erschließung des Bandes.
Die Studie ist streckenweise durch umfangreiche Quellenzitate und gelegentliche Redundanzen durch Kurzzusammenfassungen innerhalb der Kapitel etwas mühsam zu lesen. Insgesamt kommt Boseckert aber zu einer überzeugenden Gesamteinschätzung des herzoglichen Wirkens.
Stefan Michel