Rezension über:

Maximilian Becker: Antifaschismus und Kalter Krieg. Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer in Nachkriegseuropa (= Buchenwald und Mittelbau-Dora Forschungen und Reflexionen; Bd. 6), Göttingen: Wallstein 2024, 475 S., ISBN 978-3-8353-5650-4, EUR 46,00
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Rezension von:
Corinna Bittner
Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Corinna Bittner: Rezension von: Maximilian Becker: Antifaschismus und Kalter Krieg. Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer in Nachkriegseuropa, Göttingen: Wallstein 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 5 [15.05.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/05/39546.html


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Maximilian Becker: Antifaschismus und Kalter Krieg

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Historische Untersuchungen zum "organisierten Gedächtnis" [1] von Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung stehen oft vor einer besonderen Herausforderung: Auch in der Zeit des Kalten Kriegs unterhielten viele Überlebende Verbindungen über Länder- und Blockgrenzen hinweg. Das stellt Forschende vor entsprechende sprachliche und organisatorische Hürden, verspricht aber auch besondere Erkenntnisse. Genau diese Erkenntnisse machen Maximilian Beckers organisationsgeschichtliche Studie über die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (Fédération Internationale des Resistants, FIR) zu einem wertvollen Beitrag zum Forschungsfeld. Die Monografie zeichnet die Entwicklung der FIR und deren Vorgängerorganisation, der Internationalen Föderation ehemaliger politischer Gefangener (Fédération Internationale des Anciens Prisonniers Politique, FIAPP) bis Anfang der 1990er Jahre nach.

In sieben chronologisch angeordneten Kapiteln verknüpft Becker drei Ebenen: Erstens betrachtet er zentrale Ereignisse und Entwicklungen des Kalten Kriegs. In diese ordnet er, zweitens, erinnerungspolitische Entwicklungen insgesamt und spezifisch der FIR ein. Dabei geht er, drittens, tiefer auf einzelne Debatten und individuelle Geschichten ein. Leitend für die Analyse ist der transnationale Ansatz, den Becker in einer "historischen Diskursanalyse" (32) umsetzt. So möchte er insbesondere Annahmen über eine "Erfahrungsgemeinschaft" (Mary Fulbrook) von Überlebenden und nationale "kollektive Gedächtnisse" (Maurice Halbwachs) differenzieren. Die Einleitung enthält einen umfangreichen Forschungsüberblick, der das transnationale Programm der Untersuchung widerspiegelt. Beachtlich sind Beckers Archivrecherchen: Die Arbeit basiert auf Beständen der FIR in Berlin, Warschau und Wien und Quellen aus polnischen, russischen, französischen, deutschen, US-amerikanischen und niederländischen Archiven.

Auf dieser Grundlage gelingt es Becker, den Einfluss des Kalten Kriegs nicht allein durch die Perspektive einer Blockkonfrontation zu sehen. Für die transnationalen Verbindungen waren Erfahrungen von Häftlingen unterschiedlicher Nationalität in Konzentrationslagern ebenso grundlegend wie daraus entwickelte Freundschaften und politische Interessen. Gerade in den 1940er Jahren führte zudem ein gemeinsamer Wunsch nach "Frieden, Versöhnung und Völkerverständigung" (78) zur Zusammenarbeit. Nationale Verbände, die in der FIAPP bzw. der FIR organisiert waren, stärkten sich außerdem gegenseitig in zentralen Belangen: Gesellschaftliche und politische Anerkennung, finanzielle Entschädigung, strafrechtliche Verfolgung von Täter:innen, oder der Einsatz gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik und gegen Rechtsradikale waren einende Ziele in zahlreichen nationalen Verbänden. Jedoch gelang es den meisten Verbänden nicht, "sich dem Kalten Krieg zu entziehen und politisch weitgehend neutral zu bleiben." (115) Insbesondere die frühen Jahre des Kalten Kriegs trugen so zu einer engeren politischen und finanziellen Bindung der FIAPP beziehungsweise FIR an die Sowjetunion und die Kommunistischen Parteien in ganz Europa bei. Auf diese Bindung greift Becker immer wieder zurück, um die Positionen und Aktivitäten der Organisationen in einem eigentlich "kaum mehr zu entwirrenden Motivationsgeflecht" (171) zu erklären.

Die FIAPP, die zwar nicht formal, aber faktisch eine Vorgängerorganisation der FIR war, zerbrach bereits 1951 an den ersten Zuspitzungen des Kalten Kriegs. Funktionäre und Delegierte entzweiten sich über den stalinistischen Säuberungen und dem Bruch zwischen Tito und Stalin - und waren davon teilweise selbst betroffen. Demgegenüber überdauerte die FIR den Kalten Krieg. Zentrale Ereignisse, wie die "Geheimrede" Chruschtschows, Aufstände und deren Niederschlagungen in der DDR, Ungarn und der Tschechoslowakei oder der Algerienkrieg prägten die FIR maßgeblich. Doch die Organisation positionierte sich nur selten öffentlich zu solchen brisanten Themen. Nur die Remilitarisierung der Bundesrepublik bildete hier lange Zeit eine Ausnahme. Diese weitgehende Zurückhaltung war wichtig, um langfristig als transnationale, wenn auch kommunistisch dominierte Organisation bestehen zu bleiben. Zudem nutzten FIR und FIAPP zentrale Begriffe, die für Überlebende mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen und politischen Ausrichtungen einend wirkten. Während der "antifaschistische Konsens" (68) bereits in der Gründungsphase der FIAPP 1946/47 zerbrach, konnte die FIR langfristig zentrale Begriffe setzen, die offen für unterschiedliche Interpretationen waren. Becker sieht in Containerbegriffen wie "Frieden" (148), "Einheit" (150) oder "Menschenwürde" (209) immer auch eine prosowjetische Programmatik. Die von der FIR bewusst breit formulierten Grundsätze ermöglichten es jedoch auch nicht-kommunistischen Mitgliedern, den Verband weiterhin mitzutragen. Einen "Alleinvertretungsanspruch" (167) konnte die FIR allerdings nicht geltend machen. So ist die Geschichte der Organisation nicht nur von Beziehungen zu anderen nationalen (Mitglieds)Verbänden und Einzelpersonen geprägt. Auch Kooperationen und Konflikte mit Organisationen, die ein ähnliches transnationales Programm unter westlicher Führung betrieben, gehören zur Geschichte der FIR.

Neben den sozialen und politischen Themen bemühten sich FIAPP und FIR auch um spezifisch transnationale Erzählungen über Verfolgung und Widerstand. Neben Veröffentlichungen im Mitgliedermagazin "Der Widerstandskämpfer" betrieb die FIR zeitweise ein internationales, wissenschaftliches Publikationsorgan zum europäischen Widerstand. Gerade hier kann Becker zeigen, wie sich die FIR von anderen Tendenzen in kollektiven Gedächtnissen abhob: Ab den 1950er Jahren verfestigten sich jeweils nationale Narrative. Erzählungen eines nationalen "Massenwiderstands" (158) gegen Nationalsozialismus und Besatzung entwickelten sich dabei "in Ost und West bemerkenswert ähnlich" (157). Dass die Shoah dabei tendenziell unter die NS-Verbrechen insgesamt subsumiert wurde und Kollaboration tabuisiert wurde, trug die FIR mit. Der damit einhergehenden Verdrängung von Täterschaft verweigerte sie sich jedoch: Täter:innen vor Gericht zu bringen blieb ein zentrales Anliegen. Auch vermied die FIR die Tendenz, entweder kommunistischen Widerstand auszublenden, wie dies im Westen häufig der Fall war, oder nichtkommunistischen Widerstand zu verdrängen, was zahlreiche osteuropäische Länder über einen langen Zeitraum versuchten.

Neben diesen politischen Differenzen bezieht sich Becker auch auf unterschiedliche Erfahrungen der Akteur:innen vor und nach 1945, um zu zeigen, dass es eine übergeordnete Erfahrungsgemeinschaft der Überlebenden nicht gab. Dies gelingt gerade dann, wenn er mit Blick auf einzelne Personen die Komplexität von Erfahrungen und Zugehörigkeiten aufzeigt. Gleichwohl geraten insbesondere Darstellungen, in denen es um "Kommunisten" oder "Antikommunisten" geht, mitunter undifferenziert. [2] Klare Definitionen dieser Begriffe wären hier nötig gewesen. Gerade mit Blick auf Ausschlussmechanismen - von Juden, Frauen, als "asozial", "kriminell" Verfolgten sowie Sinti:zze und Rom:nja - in den Verbänden wäre außerdem eine kritischere Anwendung der Diskursanalyse sinnvoll gewesen.

Beckers Arbeit über die transnationale FIR wird für weitere Forschungen zu Überlebenden der NS-Verfolgung unverzichtbar sein und trägt eine wertvolle Perspektive zur Geschichte des Kalten Kriegs bei. Die Arbeit verbindet eine intensive Quellenrecherche mit einer breiten Rezeption von Studien zu Überlebenden in zahlreichen europäischen Staaten. Leider erschweren es begriffliche Unschärfen stellenweise, der Argumentation zu folgen. Besonders wertvoll sind demgegenüber Einblicke in die Mikroebene, auf der Becker aufzeigen kann, dass sich die Geschichte der FIR nicht allein durch einen schematischen Blick auf die Blockkonfrontation erklären lässt.


Anmerkungen:

[1] Philipp Neumann-Thein / Daniel Schuch / Markus Wegewitz (Hgg.): Organisiertes Gedächtnis: Kollektive Aktivitäten von Überlebenden der nationalsozialistischen Verbrechen, Göttingen 2022.

[2] Norbert Frei / Dominik Rigoll (Hgg.): Der Antikommunismus in seiner Epoche: Weltanschauung und Politik in Deutschland, Europa und den USA, Göttingen 2017.

Corinna Bittner