Rezension über:

Christoph Bramann: Lernaufgaben im Geschichtsschulbuch. Empirische Annäherungen an eine Aufgabenkultur in österreichischen und deutschen Schulbüchern (= Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik; Bd. 34), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2025, 378 S., 48 s/w-Abb., ISBN 978-3-8471-1732-2, EUR 55,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Manuel Köster
Institut für Didaktik der Geschichte, Universität Münster
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Manuel Köster: Rezension von: Christoph Bramann: Lernaufgaben im Geschichtsschulbuch. Empirische Annäherungen an eine Aufgabenkultur in österreichischen und deutschen Schulbüchern, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2025, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 5 [15.05.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/05/39807.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Christoph Bramann: Lernaufgaben im Geschichtsschulbuch

Textgröße: A A A

Die Befassung mit Aufgabenqualität und Aufgabenkultur hat sich in den letzten 15 Jahren zu einem wichtigen Feld geschichtsdidaktischer Diskussion entwickelt. Einen Strang dieses Diskurses, dem auch die vorliegende Salzburger Dissertationsschrift von Christoph Bramann zuzuordnen ist, bilden kategoriengeleitete Schulbuchanalysen. Ein entscheidender Unterschied dieser Arbeit im Vergleich zu älteren Untersuchungen besteht darin, dass Bramann über eine Analyse der in den Schulbüchern formulierten Arbeitsaufträge hinausgeht und auf den Zusammenhang von Aufgabentext und Aufgabenkontext fokussiert. Damit geraten nicht nur die zu den Aufgaben gehörenden Materialien (Quellen und Darstellungen) und Paratexte (vor allem die Operatorenkataloge) in den Blick, sondern auch der Zusammenhang der Aufgaben untereinander. Ziel der Untersuchung ist es, österreichische und deutsche Lehrwerke hinsichtlich der Frage zu untersuchen, "inwiefern diese Zugänge bereitstellen, die geeignet sind, historische Denkprozesse zu fördern" (17).

Die Arbeit folgt einem für empirische Studien typischen Aufbau: Auf ein Einführungskapitel, welches das Forschungsinteresse definiert und begründet, folgt eine mit 130 Seiten ausgesprochen umfangreiche Darstellung des Forschungskontextes, innerhalb derer das Kompetenzmodell der Gruppe FUER-Geschichtsbewusstsein, die bildungspolitischen Rahmenbedingungen in Österreich und Deutschland sowie die relevanten Forschungsstände zu Lernaufgaben und zu Schulbüchern diskutiert werden. Instruktiv ist der Vergleich der im Detail durchaus unterschiedlichen Rahmenbedingungen beider Länder: Unterschiede in der Ausgestaltung des Schulsystems und der Lehrmittelfreiheit wirken sich unmittelbar auf die Gestaltung der Lehrwerke aus.

An die differenzierte Diskussion des Forschungsstands schließt ein mit 95 Seiten erneut umfangreiches Kapitel zum methodischen Vorgehen an. Die Arbeit verbindet zwei unabhängige, aber konzeptionell miteinander verbundene Schulbuchanalysen. Analyse A nimmt alle im Schuljahr 2016/17 in Österreich zugelassenen Lehrwerke in den Fokus, die sich auf die kompetenzorientieren Lehrpläne von 2008 bzw. 2011 beziehen. Die Lernaufgaben dieser werden hinsichtlich ihres Anforderungsniveaus, ihrer Sequenzierung, ihres Umgangs mit Operatoren, ihres Materialbezugs, ihrer Offenheit und ihres Potenzials zur Förderung fachspezifischer Kompetenzen untersucht. Analyse B dagegen fokussiert auf die Verwendung von Leitfragen, auf Gegenwartsbezüge sowie auf Möglichkeiten zur Differenzierung. Anders als in Studie A wurden hier auch Schulbücher aus Deutschland, konkret aus Hessen, berücksichtigt und mit den vier auflagenstärksten Reihen aus Österreich verglichen. Beide Teilstudien nutzen nicht das gesamte Lehrwerk, sondern themenspezifische Einzelkapitel aus dem Band für die siebte Jahrgangsstufe. Die Korpuszusammenstellung, das Codierverfahren inklusive Reliabilitätsprüfung sowie die Definition der Codes werden sehr umfassend begründet, Letztere unter Offenlegung des insgesamt sehr plausiblen Codehandbuchs. Beim Kriterium der Progression von Aufgabensequenzen erscheint allerdings die Entscheidung fragwürdig, diese am Anforderungsbereich festzumachen. Denn die Kohärenz mehrerer Einzelaufgaben bemisst sich weniger daran, ob diese Anforderungen aus unterschiedlichen lernzieltaxonomischen Niveaus miteinander verbinden, sondern vielmehr daran, ob sie unterschiedliche Operationen historischen Denkens schlüssig aufeinander beziehen (die auch demselben AFB zugeordnet sein können, wie das historische Sachurteil und das historische Werturteil, die beide dem AFB III zugeordnet werden). Mit Blick auf die Ermöglichung eines binnendifferenzierten historischen Lernens wiederum wäre zu diskutieren, ob tatsächlich schon die bloße Nennung des Anforderungsbereiches oder der erwarteten Sozialform als ("indirekte") Differenzierungsmaßnahme betrachtet werden sollten. Beide Punkte werden auch vom Verfasser methodenkritisch reflektiert.

Die folgenden zwei Kapitel präsentieren die Ergebnisse der beiden Untersuchungen und ordnen diese in einem zweiten Schritt in den Forschungsstand ein, und zwar jeweils pro Untersuchungskategorie. Dank zahlreicher Grafiken und Tabellen gerät die Ergebnisdarstellung sehr übersichtlich. Die zahlreichen Einzelbefunde, die Christoph Bramann herausarbeitet, können hier nur in Auszügen berichtet werden: Mit Blick auf Anforderungsniveau und Operatorengebrauch in österreichischen Lehrwerken bestätigt die vorliegende Studie den verbreiteten Befund, "dass die untersuchten Geschichtsschulbücher überwiegend auf die Vermittlung von Inhalten und nicht die Förderung historischen Denkens ausgerichtet" seien (313). Die Aufgaben setzten zudem stark auf das schulbuchinterne Material, und hier vor allem auf den Autorentext, oder ließen ganz offen, auf welcher Basis sie zu lösen sind. Dabei sei der Materialbezug so angelegt, "dass die einbezogenen Quellen und Darstellungen häufig keine eigenständigen substanziellen Informationen zum historischen Erkenntnisprozess beitragen, sondern lediglich illustratives bzw. bestätigendes Beiwerk für die in den Verfassertexten präsentierte Narration darstellen" (319). Eine Mehrzahl der Aufgaben suggeriere mit Blick auf die Lösungen Offenheit, die aber dadurch eingeschränkt werde, dass das zur Bearbeitung der Aufgabe bereitgestellte Material nur eine Antwort zulasse. Lediglich ein Viertel der untersuchten Aufgaben sei überhaupt zur Förderung historischer Kompetenzen geeignet, wobei lediglich synthetische bzw. (re-)konstruierende Denkleistungen gefordert würden, keine analytischen bzw. de-konstruierenden.

In Teilstudie B wiederum fänden sich Leitfragen ausschließlich in deutschen Schulbüchern, und dort insbesondere auf den Auftaktseiten, wo sie eher die Funktion erfüllten, Neugier zu wecken, als den folgenden historischen Erkenntnisprozess zu strukturieren. Mit Blick auf Differenzierungsmöglichkeiten beobachtet Bramann, dass weniger als ein Zehntel der Aufgaben den Lernenden Auswahlmöglichkeiten biete und dass nur etwas 40 % Unterstützungsangebote bereithielten, die sich vor allem als Erläuterung der mit einem Operator verbundenen Erwartungen darstellten. Deutlich verbreiteter seien dagegen die von Bramann als "indirekte" Differenzierungsmöglichkeiten bewerteten Hinweise zur Aufgabenschwierigkeit oder zum benötigten Material, die erst dann Differenzierung ermöglichten, wenn sie von der Lehrkraft durch weitere Aufgaben ergänzt werden. Die Möglichkeiten der "direkten" Differenzierung konzentrierten sich auf wenige Schulbuchreihen. Ob damit ein Unterschied zwischen deutschen und österreichischen Lehrwerken einhergeht oder ob es sich um Unterschiede im didaktischen Konzept der teilweise länderübergreifend operierenden Verlage handelt, wird leider nicht deutlich.

Die Datenauswertung erfolgt rein deskriptiv-statistisch. Genannt werden prozentuale Verteilungen und, bei einigen der Kategorien, die Verteilung der Befunde auf die verschiedenen untersuchten Reihen. Interessant wären nun weiterführende Informationen zu Korrelationen zwischen den untersuchten Kategorien, auf die hier weitgehend verzichtet wird. Finden sich beispielsweise in den Lehrwerken, die eine direkte Differenzierung erlauben, auch vermehrte Lebensweltbezüge? Das würde auf ein didaktisches Gesamtkonzept verweisen, das sich am insbesondere in Österreich einflussreichen Konzept der Subjektorientierung ausrichtet. [1] Zeichnen sich bestimmte Lehrwerkstypen ab bzw. sind Unterschiede im zugrunde gelegten Geschichtsbegriff oder im Lernverständnis identifizierbar?

Die deskriptiven Teilbefunde fügen sich zu einem plausiblen, aus geschichtsdidaktischer Perspektive ausgesprochen problematischen Gesamtbild zusammen, das die Ergebnisse früherer Studien auf erweiterter empirischer Basis weitgehend bestätigt und in Details ausdifferenziert bzw. erweitert. Auch mehr als 15 Jahre nach der Einführung kompetenzorientierter Lehrpläne sind österreichische Geschichtsschulbücher offenbar nicht dazu geeignet, mit ihren Lernaufgaben den Aufbau historischer Kompetenzen systematisch zu unterstützen. Geschichte wird in den Aufgaben nicht als perspektivische und zu hinterfragende Konstruktion behandelt, sondern als eine feststehende Narration, die es anzueignen und zu reproduzieren gilt. Möglichkeiten zur Differenzierung werden in deutschen und österreichischen Lehrwerken "eher punktuell als konsequent angeboten" (332). Diese nachdenklich stimmenden Befunde werden von Bramann methodisch transparent, anhand eines plausiblen Kategoriensystems und mit akribischer Rückbindung an den Forschungsstand - die Arbeit weist mehr als 1500 Fußnoten auf - nachgewiesen. Die methodische Innovation der Arbeit besteht nicht nur in der systematischen Berücksichtigung des Aufgabenkontextes, sondern vor allem in der Analyse der Aufgabensequenzen. Zurecht schreibt Bramann der Schulbuchforschung ins Stammbuch, dass sich die für Lernaufgaben konstitutive Orientierung an einem fachlichen Lernprozess nicht über das Erfülltsein einzelner oder mehrerer isolierter Gütekriterien erheben lässt, sondern einer Berücksichtigung der Kohärenz und Sequenzierung der Aufgaben innerhalb eines Kapitels bedarf. Diese Aspekte sollten auch in Zukunft stärker berücksichtigt werden.


Anmerkung:

[1] Vgl. Thomas Hellmuth / Christine Ottner-Diesenberger / Alexander Preisinger (Hgg.): Was heißt subjektorientierte Geschichtsdidaktik? Beiträge zu Theorie, Empirie und Pragmatik (Reihe der Gesellschaft für Geschichtsdidaktik Österreich; B. 1), Frankfurt a. M. 2021.

Manuel Köster