Ulrike Weinhold / Theresa Witting (Hgg.): Goldschmiedekunst im Grünen Gewölbe. Die Werke des 16. bis 19. Jahrhunderts : Bestandskatalog, Dresden: Sandstein Verlag 2024, 3 Bde., 1107 S., 1487 meist farbige Abb. , ISBN 978-3-95498-825-9, EUR 148,00
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Der Bestandskatalog der Goldschmiedearbeiten im Dresdner Grünen Gewölbe ist das Ergebnis eines mehr als zehnjährigen Forschungsprojekts und stellt einen in Fachkreisen lange erwarteten Beitrag zur Erforschung frühneuzeitlicher Goldschmiedekunst dar.
Die Publikation widmet sich jenen Goldschmiedeobjekten, die die sächsischen Kurfürsten im Laufe der Jahrhunderte zusammentrugen und die den Grundstock der heutigen musealen Sammlung des Grünen Gewölbes bilden. Sie steht damit in der Tradition großer Forschungsprojekte zur Bestandsgeschichte fürstlicher Sammlungen (verwiesen sei an dieser Stelle exemplarisch auf die Publikation zur Kunstkammer der Herzöge von Württemberg von 2017 [1]). Gleichzeitig schließt sie an Untersuchungen zur Goldschmiedekunst in wichtigen Zentren wie Augsburg oder Nürnberg an. [2]
Gleich auf den ersten Blick bestechen die drei Bände - ein Essayband und zwei Katalogbände - durch ihre anspruchsvolle, elegante Gestaltung mit vielen teils ganzseitigen Abbildungen. Den Essayband eröffnen drei Aufsätze, die die Herausgeberinnen Ulrike Weinhold und Theresa Witting selbst verfasst haben. Auftakt und grundlegenden Einstieg in die Thematik bildet eine Rekonstruktion der wechselhaften Geschichte der Dresdner Sammlung. Mit großer Quellenkenntnis zeigen die Autorinnen die verschiedenen Erwerbs- und Aufbewahrungskontexte sowie die vielschichtigen Funktionen der Objekte auf. Sie legen den mobilen, flexiblen und durchaus funktionalen Charakter einer fürstlichen Sammlung in der Frühen Neuzeit offen und gewähren vertiefte Einblicke in den elaborierten Verwaltungsapparat rund um höfische Schatzkunststücke, die um diese rankende Jurisdiktion und die Praktiken, in denen die Objekte hergestellt, genutzt, vererbt, verwahrt und auch veräußert wurden.
Weitere Themenkomplexe beinhalten frühneuzeitliche Trink- und Tafelsitten, die Frage nach dem tatsächlichen Gebrauch der oft fantasievollen und fragilen Gefäße oder die Einarbeitung von Konchylien aus dem Indischen oder Pazifischen Ozean. Gerade im letztgenannten Aspekt richten die Autorinnen ihr Augenmerk weit über Dresden hinaus auf globale Zusammenhänge. Mit großem Reflexionsvermögen und interkultureller Sensibilität nehmen sie die Handels- und Erwerbspraktiken von Muscheln, Nautilusschalen und Schneckenhäusern in den Blick und untersuchen, wie die exotisch konnotierten Naturalien vertrauten Gebrauchsweisen dienlich gemacht und in europäische Ästhetiken eingehegt wurden.
An dieser Stelle hätte man sich gewünscht, dass die Autorinnen auch die Herkunftskontexte des verwendeten Edelmetalls in den Blick genommen hätten. Zwar lässt sich kaum je rekonstruieren, wo das für ein Werkstück verwendete Metall abgebaut wurde, doch wären etwa der sächsische Silberbergbau oder die kolonialen Herkunftskontexte von Silber aus den Amerikas durchaus eine eigene Betrachtung wert gewesen, die thematisch und methodisch hervorragend an das Thema der Einbeziehung von Naturalien angeschlossen hätte.
Eine der größten Stärken des Dresdner Bestandskataloges stellt die interdisziplinäre Verschränkung kunsthistorischer und restauratorisch-kunsttechnologischer Perspektiven dar. So konzentriert sich Eve Begov auf einen Forschungsgegenstand, der in der rein kunsthistorischen Forschung angesichts der Pracht und künstlerischen Raffinesse der Objekte oft zu kurz kommt: Der technischen Beschaffenheit der Gefäße mit besonderem Augenmerkt auf grundlegende Verbindungsverfahren wie löten, stecken, stiften, vernieten, nageln oder schrauben. Begov gibt faszinierende Einblicke in die Arbeitsweise von Goldschmieden, die seriell gefertigte Halbzeuge zu ausgefallenen und materialgerechten Individuallösungen weiterzuverarbeiten wussten. Darüber hinaus kann sie aufzeigen, dass ähnliche Verbindungen auf Beziehungen zwischen Goldschmiedewerkstätten hindeuten, womit kunsttechnologische Befunde als Indizien bei Zuschreibungen herangezogen werden können.
Volker Dietzel und Michael Wagner widmen sich anschließend bildgebenden Verfahren zur möglichst akkuraten Darstellung von Goldschmiedemarken - einem Thema, dass die Forschungscommunity seit dem frühen 20. Jahrhundert umtreibt. Basierend auf ausgiebigen Versuchen mit Infrarotaufnahmen, RTI-Fotografie, 3D-Scans oder REM-Aufnahmen ist es dem Dresdner Projekt hier gelungen, die mikroskopische Digitalfotografie als neuen Standard zu etablieren. Die Ergebnisse dieses Verfahrens lassen sich im Anhang des Bandes in einem übersichtlichen Markenregister begutachten.
Der erste Band schließt mit einem umfangreichen Anhang, der Goldschmiedebiografien genauso beinhaltet wie eine Übersicht der sächsischen Kurfürsten und Könige, eine Verlustliste zerstörter oder veräußerter Objekte, ein Register und einen ausführlichen Quellen- und Literaturapparat.
Band zwei und drei umfassen den nach Gefäßformen geordneten Katalogteil mit insgesamt 348 Katalognummern. Ausgeklammert wurden mittelalterliche Werke sowie die Bestände der Dresdner Hofsilberkammer, in der das höfische Tafelsilber verwahrt wurde - eine thematisch und forschungspraktisch sinnvolle Eingrenzung. Sowohl mittelalterliche Werke als auch Tafelsilber unterscheiden sich in ihren Herstellungs- und Gebrauchskontexten stark von den hier behandelten Schatzkunstwerken und bedürften eigener Untersuchungen.
Jeder der Katalogbeiträge stellt das Ergebnis umfassender Grundlagenforschung zum jeweiligen Objekt dar. Entsprechend dicht, tiefgehend und umfangreich sind die einzelnen Artikel. Ein detaillierter Objektkopf beinhaltet neben dem Goldschmied auch Material und Technik des Objekts, Maße, Meister- und Beschauzeichen samt deren Lokalisierung sowie eine Transkription von Inschriften, Angaben zur Provenienz und die Inventarnummer. Es folgen Abschriften von Inventarbucheinträgen und anderen Quellen sowie eine ausführliche Beschreibung des Objekts. Hieran schließen Bemerkungen zu Zuschreibung, Datierung und Gebrauch an. Vergleichsstücke und gegebenenfalls Vorlagen werden genauso beschrieben, wie Restaurierungen und der Zustand des Objekts. Die Katalogbeiträge sind reich mit Detailaufnahmen und Vergleichsabbildungen versehen.
Die Dresdner Publikation stellt einmal mehr unter Beweis, dass es sich bei wissenschaftlichen Bestandskatalogen um unerlässliche museale Grundlagenforschung handelt. Die Untersuchung ist dabei im besten Sinne objektzentriert, geht aber weit über einfache Beschreibungen hinaus und weist auf größere kunst-, kultur- und sammlungsgeschichtliche Fragestellungen. Will man hier einen Kritikpunkt finden, so könnte man sich lediglich wünschen, dass die Essays an manchen Stellen noch mehr in die Tiefe gehen würden. Das wäre gleichwohl angesichts des Gesamtumfangs der Publikation beinahe zu viel verlangt, zumal aus dem Forschungsprojekt zur Goldschmiedekunst am Grünen Gewölbe bereits zuvor weitere Publikationen etwa zu Farbfassungen auf Goldschmiedearbeiten [3] oder zu Silbergeschenken und Silberbuffets [4] hervorgegangen sind.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Dresdner Sammlung von Goldschmiedekunst aufgrund der Vielfalt und Qualität der versammelten Objekte sowie der exzellenten Quellenlage der Rang einer Referenzsammlung zukommt. Mit der umfassenden Erforschung dieses Bestandes haben Ulrike Weinhold und Theresa Witting einen herausragenden Beitrag zur Erforschung frühneuzeitlicher Goldschmiedekunst wie auch fürstlicher Sammelkultur geleistet, der die zukünftige Forschung zu diesen Themenkomplexen nachhaltig prägen wird.
Anmerkungen:
[1] Landesmuseum Württemberg (Hg.): Die Kunstkammer der Herzöge von Württemberg. Bestand, Geschichte, Kontext, Ostfildern 2017.
[2] Zu Augsburg vgl. Helmut Seling: Die Kunst der Augsburger Goldschmiede 1529-1868. Meister, Marken, Werke, München 1980-1994. Zu Nürnberg vgl. Germanisches Nationalmuseum (Hg.): Nürnberger Goldschmiedekunst 1541-1868. Meister - Werke - Marken, Nürnberg 2007.
[3] Ulrike Weinhold (Hg.): Natürlich bemalt. Farbfassungen auf Goldschmiedearbeiten des 16. bis 18. Jahrhunderts am Dresdner Hof, Dresden 2018.
[4] Ulrike Weinhold (Hg.): Silbergeschenke und Silberbuffets am Dresdner Hof. Goldschmiedekunst im Dienst fürstlicher Repräsentation, Dresden 2020.
Verena Suchy