Rezension über:

Alessandra Rizzi (a cura di): Andar per mare, custodire il mare. Le commissioni ducali per i capitani veneziani di galea (sec. XV). Con la collaborazione di Umberto Cecchinato (= Deputazione di Storia Patria per le Venezie. Testi; 6), Roma: Viella 2024, 157 S., ISBN 979-12-5469-412-1, EUR 30,00
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Rezension von:
Spyridon P. Panagopoulos
Patras
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Spyridon P. Panagopoulos: Rezension von: Alessandra Rizzi (a cura di): Andar per mare, custodire il mare. Le commissioni ducali per i capitani veneziani di galea (sec. XV). Con la collaborazione di Umberto Cecchinato, Roma: Viella 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 7/8 [15.07.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/07/39992.html


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Alessandra Rizzi (a cura di): Andar per mare, custodire il mare

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Das 2024 bei Viella erschienene Werk "Andar per mare, custodire il mare: Le commissioni ducali per i capitani veneziani di galea (sec. XV)", herausgegeben von Alessandra Rizzi unter Mitarbeit von Umberto Cecchinato, widmet sich einem bislang kaum systematisch erschlossenen Bereich der venezianischen Verwaltungsgeschichte und der vormodernen maritimen Praxis: den sogenannten "Kommissionen" oder Ernennungsinstruktionen, die im 15. Jahrhundert an die Kapitäne der venezianischen Galeerenflotte übergeben wurden. Diese Texte, die aus dem Register 4 der Reihe "Collegio, Formulari di commissioni" im Staatsarchiv von Venedig stammen, stellen eine einzigartige Quelle dar, um die institutionelle Struktur, die rechtliche Kultur und die geopolitischen Ambitionen der Republik Venedig im späten Mittelalter zu erfassen. Die Kommissionen legen die Aufgaben und Pflichten der Flottenkommandeure in klar geregelter Form fest - nicht nur hinsichtlich der militärischen Führung, sondern ebenso in Bezug auf Handelsaufsicht, diplomatische Funktionen, juristische Zuständigkeiten und moralisches Verhalten gegenüber Untergebenen und fremden Mächten.

Die Herausgeber bieten mit diesem Band eine vorbildlich kommentierte Edition ausgewählter Kommissionstexte, die ursprünglich als Modellformulare gedacht waren, später aber an spezifische Einsatzkontexte angepasst wurden. Die Stärke des Werkes liegt nicht allein in der zuverlässigen philologischen Aufbereitung der Dokumente, sondern vor allem in der Fähigkeit der Herausgeber, deren administrative Logik und politische Implikationen freizulegen. Die Leser werden in eine Welt eingeführt, in der maritime Macht nicht nur auf Seetüchtigkeit und militärischer Schlagkraft beruhte, sondern ganz wesentlich durch schriftlich fixierte Anweisungen, Kontrolle und Delegation von Verantwortung realisiert wurde. Der Doge und die verschiedenen Räte der Republik entwickelten im Laufe des 15. Jahrhunderts ein feingliedriges, normiertes System zur Führung ihrer Flotten - ein System, das sowohl die Interessen Venedigs im östlichen Mittelmeer als auch die innenpolitische Ordnung durch Kontrolle der Beamten auf Distanz sicherte.

Die Kommissionen selbst sind faszinierende Dokumente: Sie verbinden juristische Sprache mit politischer Direktive, spiegeln einerseits das Misstrauen gegenüber individueller Willkür und andererseits das Vertrauen in die normierende Kraft des Schriftlichen. Immer wieder begegnet man Formeln, in denen der Wille des Dogen mit den Ratsbeschlüssen in Einklang gebracht wird, mit dem Ziel, Autorität auch in entlegene Gewässer zu übertragen. Die Kapitäne wurden nicht nur mit militärischen Vollmachten ausgestattet, sondern auch mit weitreichenden Kompetenzen zur Entscheidungsfindung, zur Konfliktlösung und zur Vertretung venezianischer Interessen gegenüber lokalen Machthabern, fremden Händlern und gelegentlich auch im Rahmen von Verhandlungen mit dem Osmanischen Reich.

Besonders aufschlussreich ist die Weise, in der die Edition die Veränderungen im Wortlaut und Aufbau der Kommissionen über die Zeit hinweg dokumentiert: So lässt sich etwa erkennen, wie sich der Ton verschärft, wenn die außenpolitische Lage angespannt ist, oder wie sich einzelne Kompetenzen verschieben, wenn neue Handelsrouten erschlossen oder bestehende Konvois umorganisiert werden. Diese Nuancierungen zeugen von einem hohen Maß an institutioneller Reaktionsfähigkeit und dokumentieren die Bemühung der venezianischen Obrigkeit, ihre maritime Verwaltung kontinuierlich an die geopolitischen Realitäten anzupassen. Die Herausgeber zeigen diese Entwicklungen nicht nur auf, sondern kontextualisieren sie kenntnisreich mit Blick auf die politische Geschichte der Republik und die Organisation ihrer Kolonien und Überseegebiete.

Wissenschaftlich beeindruckt das Buch nicht zuletzt durch seine methodische Genauigkeit, die solide Quellenkritik und den klaren analytischen Zugang zur Textgattung der Kommissionen. Rizzi und Cecchinato gelingt es, die Texte nicht nur als administrative Routinedokumente, sondern als Ausdruck eines strukturellen Machtverständnisses der Republik zu deuten. Der Gebrauch normierter Sprache, die Formulierung von Pflichten, Strafen und Rechenschaftspflichten machen deutlich, dass es sich hier um eine sehr bewusste Form staatlicher Steuerung handelte - eine Steuerung, die sich im Medium des Schriftlichen manifestierte und wesentlich auf Vertrauen in bürokratische Prozesse beruhte. In dieser Hinsicht bietet der Band nicht nur einen Beitrag zur venezianischen Geschichte, sondern auch zur allgemeinen Diskussion über vormoderne Regierungsformen, maritime Souveränität und die Rolle von Schriftlichkeit in der Machtausübung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass "Andar per mare, custodire il mare" ein ebenso fundiertes wie innovatives Werk ist, das durch seine präzise Quellenauswahl, seine sorgfältige editorische Arbeit und die überzeugende historische Einbettung besticht. Die Publikation ist eine wertvolle Ressource für Historikerinnen und Historiker der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Verwaltungsgeschichte, der Seegeschichte, der Rechtsgeschichte sowie der mediterranen Welt im Allgemeinen. Über den Fachkreis hinaus bietet das Werk auch interessierten Leserinnen und Lesern einen faszinierenden Einblick in die Art und Weise, wie eine Seemacht wie Venedig über Schrift, Ordnung und Kontrolle ihre maritime Herrschaft nicht nur behauptete, sondern systematisch organisierte und institutionell stabilisierte.

Spyridon P. Panagopoulos