P. McGurk (†) / D. A. Woodman (eds.): The Chronicle of John of Worcester. Volume IV: Chronicula (= Oxford Medieval Texts), Oxford: Oxford University Press 2024, LI + 251 S., 3 Farb-Abb., ISBN 978-0-19-891614-7, GBP 130,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Michèle Gaillard / Monique Goullet (éds.): Hagiographies. Histoire internationale de la littérature hagiographique latine et vernaculaire en Occident des origines à 1550. International History of the Latin and Vernacular Hagiographical Literature in the West from its Origins to 1550, Turnhout: Brepols 2020
Monique Goullet: Corpus Christianorum: Hagiographies VII, Turnhout: Brepols 2017
Barbara F. Harvey / Christopher M. Woolgar (eds.): The States of the Manors of Westminster Abbey c.1300-1422. Part 1, Oxford: Oxford University Press 2020
Über sein Leben ist nur sehr wenig bekannt: John war ein englischer Benediktiner, lebte im Kloster von Worcester und starb daselbst im Jahr 1140.
Bekannt ist er jedoch für seine umfangreiche Chronik, das Chronicon ex chronicis, in der die Weltgeschichte von der Schöpfung bis ins Jahr 1140 abgehandelt wird. Insbesondere von der späten angelsächsischen bis in die früh-normannische Periode hinein ist die Schrift von unschätzbarer Bedeutung. Die Güte der für diesen Zeitraum aufgerufenen Informationen macht sie zu einer der wichtigsten Quellen für das England des 11. und 12. Jahrhunderts. Zur Abfassung seines eigenen Werks nutzte John of Worcester die Schriften anderer, vor allem eine von Marianus Scotus (1028-1082) verfasste Chronik, deren Inhalte durch diejenigen der sog. Angelsächsische Chronik ergänzt wurden. Inhaltliche Überschneidungen bestehen ebenfalls zum recht breit überlieferten Geschichtswerk des William of Malmesbury, den Gesta Regum Anglorum, wobei wohl beide Autoren, John und William, auf gleiche Vorlagen zurückgegriffen haben.
In der Reihe der Oxford Medieval Texts ist die eigentliche Chronik des John of Worcester in drei Bänden von Reginald R. Darlington und Patrick McGurk zwischen 1995-1998 ediert worden. Nun liegt ein vierter Band vor, der auf Vorarbeiten des 2017 verstorbenen McGurk beruht, zum größten Teil jedoch von D. A. Woodman bearbeitet wurde: die Chronicula des John of Worcester. Der Diminutiv gibt die inhaltliche Stoßrichtung vor: die "kleine Chronik" präsentiert sich als Verkürzung und Umarbeitung des größeren Pendants. Eine Spezialität der Benediktiner in Worcester bestand darin "to revisit texts and rewrite them" (vii). Und die Edition und Übersetzung der Chronicula trägt zur Entschlüsselung eben dieser in Worcester gepflegten Arbeitsprozesse bei.
In der knapp 50 Seiten umfassenden Einleitung wird nicht nur über die Autorschaft und das Abfassungsdatum, sondern auch über diejenigen Handschriften gesprochen, die der Edition zugrunde liegen. Ergänzt werden diese Ausführungen durch Bemerkungen zur ratio scribendi, zum Wert der Chronicula und zu den Editionsprinzipien.
Der im Oxforder Corpus Christi College verwahrte Codex ms. 157 gilt als zentrale Handschrift für die in Worcester entstandene Chronica Chronicarum. Neben der Chronica findet sich in ihr eine Fülle weiterer Texte, darunter Genealogien, Bischofslisten, Kurzzusammenfassungen der Ereignisse in englischen (Teil)Königreichen. Diese Texte geben Einblick in all das, was die Mönche aus Worcester in ihrer Schreibwerkstatt historiographisch umtrieb. Der thematischen Ergänzung dient Codex 503 aus der Bibliothek des Trinity College in Dublin. Darin findet sich von der Hand des John of Worcester ein im Zeitraum zwischen 1133 und 1143 entstandener, Chronicula betitelter Text, der Auszüge aus der Chronica Chronicarum enthält, diese Informationen aber nicht nur chronologisch neu ordnet, sondern vieles inhaltlich anders gewichtet und durch zusätzliche, aus weiteren Annalen und Geschichtswerken extrahierte Nachrichten ergänzt. Enthalten ist auch Material, das sich unikal in der Chronicula überliefert findet, an erster Stelle zwei längere Mirakelberichte und drei Gedichte, in denen des Todes Edwards des Bekenners, Harolds (Godwins Sohn) und des Bischofs Wulfstan gedacht wurde.
Die äußerst populäre Historia Ecclesiastica des Hugo von Fleury wurde von John bei der Abfassung der Chronicula immer wieder herangezogen und nimmt darin einen deutlich prominenteren Raum ein als in der Chronica Chronicarum. Die sogenannte Cronica de Anglia lieferte ebenso wie die Anglo-Saxon Chronicle wertvolles zusätzliches Material. Woodman widmet sich diesen Texten (mit ihren einschlägigen Redaktionsstufen) mit einiger, durchaus erhellender Ausführlichkeit. Die Chronicula ermöglicht einen Blick auf das Methodeninstrumentarium, das John of Worcester als Historiker nutzte.
Weshalb verfasste John dieses Werk? Diente es dem persönlichen Gebrauch oder war es - explizite Verweise auf die Chronica Chronicarum machen dies wahrscheinlich - für eine Lektüre durch andere bestimmt (Hec seriatim omnia scire volentibus patefaciet chronicarum chronica)? Könnte es für die Tischlesung im Refektorium der Abtei bestimmt gewesen sein? Die Handschrift - Johns eigene Hand ist auf den Folia 37r bis 113v nachweisbar - verließ zu einem unbekannten Zeitpunkt Worcester und gelangte nach Gloucester, wo drei Schreiber weiteres einschlägiges Material anfügten und das, was John bis ins Jahr 1123 geführt hatte, bis ins Jahr 1141 ergänzten. Könnte die aufgrund des kleinen Formats sehr gut transportable Chronicula als Geschenk für die Benediktinerkommunität in Gloucester mit Abt Gilbert Foliot (c. 1110-1187) an der Spitze bestimmt gewesen sein? Alle genannten Hypothesen haben etwas für sich, müssen aber so lange Spekulation bleiben, bis weitere Erkenntnisse über den Entstehungsprozess und die eigentliche causa scribendi vorliegen.
In der Chronicula werden die einzelnen Ereignisse unter dem Jahr, in dem ein Kaiser bzw. Herrscher die Macht übernahm, subsumiert, ohne dass innerhalb dieser Rubrik einer strengen chronologischen Ordnung gefolgt würde. Die lateinische Edition selbst operiert mit zwei Apparaten. Neben dem Varianten- findet sich ein Quellenapparat, in den mitunter auch erläuternde Bemerkungen zu historischen Personen bzw. Ereignissen miteingeflossen sind.
Die beigefügte englische Übersetzung hält die Balance zwischen der Nähe zum lateinischen Text und einer guten Lesbarkeit bzw. Verständlichkeit. Das annalistische Präsens wurde durchgehend ins Präteritum gesetzt. Eine moderne Zeichensetzung innerhalb des lateinischen Textes erleichtert und beschleunigt die inhaltliche Durchdringung.
Würde der Wert eines Textes allein daraus abzuleiten sein, welche Fülle an neuen Informationen er bietet, dann müsste die Chronicula ins zweite oder gar dritte Glied verwiesen werden. Zwar gibt es Elemente, die sich allein hier finden (die drei Gedichte etwa), doch zum großen Teil greift der Text bereits bekannte Informationen wieder auf. Das Neue und Interessante besteht darin, wie mit diesen Informationen umgegangen, in welchem Maße verkürzt, neu geschrieben und neu arrangiert wird: "The real value of the Chronicula is that it shows the working methods of John the historian." (xlvi)
In Worcester sah man ganz offensichtlich die Notwendigkeit, die eigene Chronik zu überarbeiten und à jour zu bringen: Die Chronicula stellt vor diesem Hintergrund ein bedeutsames Beispiel für die Weiterentwicklung historiographischen Schreibens im 12. Jahrhundert dar. Wie gut, dass dieser Text nun in einer mustergültigen Edition samt hervorragender Übersetzung vorliegt und einmal mehr von den hohen editorischen Standards zeugt, die die Reihe der "Oxford Medieval Texts" seit jeher auszeichnet.
Ralf Lützelschwab