Nina Schleif (Hg.): Careers by Design. Hendrick Goltzius, Peter Paul Rubens, München: Hirmer 2024, 304 S., 194 Farb-Abb., ISBN 978-3-7774-4352-2, EUR 55,00
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Die kollaborativen Produktions- und Distributionsprozesse, technische Innovativität sowie inhaltliche Komplexität niederländischer Druckgraphik der Frühen Neuzeit stehen in den letzten Jahren zunehmend im Fokus der kunsthistorischen Forschung, die wiederholt die außerordentliche kulturhistorische Relevanz dieses Mediums herausarbeitete. In diesem Zusammenhang verfolgen die 2024 in der Staatlichen Graphischen Sammlung München gezeigte Ausstellung "Careers by Design. Hendrick Goltzius & Peter Paul Rubens" und der dazu von Nina Schleif herausgegebene und vollständig zweisprachig auf Deutsch und Englisch verfasste Katalog gleich drei miteinander verbundene Ziele: erstens den neu aufgearbeiteten umfangreichen Bestand der Sammlung von Graphiken der beiden Künstler der Öffentlichkeit zu präsentieren; zweitens Goltzius und Rubens als strategisch arbeitende (Selbst-)Vermarktungsexperten zu konturieren; und drittens einige vor allem seit dem 19. Jahrhundert etablierte Narrative und Bewertungsmuster der Kunstgeschichte in Bezug auf das Medium der Druckgraphik infrage zu stellen.
Der bewusst doppeldeutige Ausstellungstitel soll dabei, wie die Herausgeberin im einleitenden Kapitel (14-23) erläutert, zwei miteinander korrelierende Phänomene hervorheben: Goltzius und Rubens "designten" nicht nur die Vorlagen für anspruchsvolle Kupferstiche, sondern durch die strategische Arbeit an deren Umsetzung und Vermarktung zugleich ihre jeweilige Karriere und Reputation, mithin also ihren - mit wechselnden Konjunkturen - bis heute anhaltenden Ruhm. Um dieses kalkulierte Vorgehen der beiden Künstler darzulegen, verfolgt der Katalog einen kunstsoziologischen Ansatz, der explizit an einen hier in aktualisierter Fassung wiederabgedruckten Aufsatz (24-49) anschließt, in dem Karolien de Clippel und Filip Vermeylen schon 2012 auf die soziale, ökonomische und ästhetische Bedeutung künstlerischer Austauschprozesse zwischen Haarlem und Antwerpen aufmerksam machten. Die Fokussierung auf diese methodische Herangehensweise, deren blinde Flecken von der Herausgeberin selbst angemerkt werden (21f.), ist zwar mit Blick auf die Themenstellung durchaus nachvollziehbar. Dennoch hätte eine zumindest punktuell stärkere Aufmerksamkeit für die teilweise höchst innovativen ikonographischen Lösungen und intermedialen Konzepte der Graphiken, die zweifellos ebenfalls Teil der strategischen Selbstprofilierung und Distinktionsbemühungen der Künstler waren, eine weitere wertvolle Perspektive eröffnet.
Über die Arbeitsweisen und beruflichen Laufbahnen von Goltzius und Rubens sowie ihr beständiges Bemühen, die Qualität der unter ihrem Namen veröffentlichen Blätter zu sichern, informieren die auf die einführenden Kapitel folgenden Aufsätze von Nadine M. Orenstein zu Hendrick Goltzius (50-66) und Nils Büttner zu Peter Paul Rubens (68-93). Als ausgewiesene Expert:innen referieren sie darin den aktuellen Wissensstand zu den graphischen Arbeiten der Künstler und betonen deren Bestreben, durch die gezielte Entwicklung eines wiedererkennbaren Stils und die engmaschige Anleitung von Mitarbeitern auf die eigene 'Markenbildung' hinzuwirken. Deutlich werden in den Ausführungen neben den zahlreichen Parallelen im Vorgehen der miteinander bekannten Künstler auch wichtige Unterschiede: Während Goltzius selbst mit den technischen Möglichkeiten des Kupferstichs experimentierte, setzte Rubens ganz auf die druckgraphische Übersetzung seiner Gemälde, deren Anfertigung er den für ihn arbeitenden und von ihm genau kontrollierten Stechern überließ. [1]
Den konkreten, sich in den ausgestellten Blättern manifestierenden Profilierungsverfahren widmen sich im Anschluss die insgesamt elf thematischen Abschnitte des von Nina Schleif verfassten Katalogteils. Dieser verzichtet auf Einträge zu den einzelnen Graphiken und stellt den qualitätvollen Abbildungen der ausgewählten Werke jeweils einführende Texte voran, die zunächst knapp die strategische Relevanz des jeweiligen Bereichs für die Künstler erläutern und danach exemplarische Blätter in diesem Kontext verorten. Fokussiert werden so der Werkstattbetrieb (96-105), Widmungen (106-115) und Privilegien (116-127) als Teil der Netzwerkbildung, die Tätigkeit von Verlegern (128-149), die produktiven Wechselwirkungen zwischen Druckgraphik und Zeichnung (150-165), technische Experimente (166-185) und die gezielte Konzeption von 'Meisterdrucken' (186-217), die kreative Aneignung der Antike (218-233) sowie frühneuzeitlicher Vorbilder (234-247), die Veröffentlichung von Porträts bedeutender Zeitgenossen (248-269) und schließlich die langanhaltende Rezeption von Goltzius' und Rubens' Graphiken (270-289). Zum Abschluss erläutert ein weiterer Beitrag von Nina Schleif (290-294) die Herkunft und Aufarbeitung des - im Online-Auftritt der Sammlung vollständig abrufbaren [2] - Bestands von Graphiken der beiden Künstler in der Staatlichen Graphischen Sammlung München, von dessen beeindruckendem Umfang Ausstellung und Katalog einen Eindruck vermitteln.
Die thematische Gliederung des Bandes eröffnet facettenreiche Einblicke in das Vorgehen der Künstler und führt zum einen überzeugend vor Augen, wie unzutreffend die seit Adam von Bartsch etablierte kategorische Unterscheidung zwischen peintres-graveurs wie Goltzius und Auftraggebern sogenannter Reproduktionsgraphiken wie Rubens ist (16). Zum anderen wird so erneut der von der kunsthistorischen Forschung der letzten Jahre wiederholt betonte Umstand deutlich, dass Druckgraphik in aller Regel das Ergebnis kollaborativer Arbeitsprozesse ist, die gerade nicht von einzelnen herausragenden Künstlerpersönlichkeiten allein bestritten wurden. Eben weil dies nicht nur in den Beiträgen des Bandes deutlich, sondern auch von der Herausgeberin explizit betont wird (96), hätte es sich gelohnt, noch offensiver das den Katalog durchziehende Paradox und die damit verbundenen Fragen kunsthistorischer Kanonbildung zu reflektieren: Einerseits soll die Vorstellung des "genialische[n] Künstler[s] im 'stillen Kämmerlein'" (96) entkräftet werden, andererseits wird - durchaus in Übereinstimmung mit den Absichten der Künstler und wohl auch den Interessen des damaligen wie heutigen Publikums - mit den in glänzender Schrift das Cover zierenden Namen Goltzius und (vor allem) Rubens geworben, deren Porträts die gesamte Vorder- und Rückseite der Publikation einnehmen.
Diese geringfügige Inkonsequenz bei der Infragestellung tradierter Narrative, zu der auch die unkommentierte Verwendung gleichermaßen diffiziler Begriffe - wie jener des 'Manierismus'[3] (u.a. 15, 51, 272, 290f.) und der 'Reproduktion[sgraphik]' [4] (u.a. 74, 83, 270) - beiträgt, sowie einige historische Ungenauigkeiten [5] können den positiven Gesamteindruck der Publikation nicht beeinträchtigen. Der hochwertig gestaltete und durchdacht konzipierte Katalog leistet zweifellos einen gewinnbringenden Beitrag dazu, die in den letzten Jahren angestoßene Revision kunsthistorischer Wertungsmuster in Bezug auf die Druckgraphik fortzuschreiben.
Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu grundlegend Hans Jakob Meier: Die Kunst der Interpretation. Rubens und die Druckgraphik, Berlin / München 2020.
[2] https://www.sgsm.eu/sgsm-online/sgsm-online/ (letzter Zugriff: 28.8.2025).
[3] Zur Diskussion des Begriffs vgl. u.a. Horst Bredekamp: Der Manierismus. Zur Problematik einer kunsthistorischen Erfindung, in: Manier und Manierismus, (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte; 106), hg. von Wolfgang Braungart, Tübingen 2000, 109-129; Ulrich Pfisterer: Manierismus, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, hg. von Ulrich Pfisterer, Stuttgart / Weimar 2011, 414-419.
[4] Zur Diskussion des Begriffs vgl. u.a. Gudrun Knaus: Invenit, incisit, imitavit. Die Kupferstiche von Marcantonio Raimondi als Schlüssel zur weltweiten Raffael-Rezeption 1510-1700, Berlin / Boston 2016, 17; Ulrike Keuper: Reproduktion als Übersetzung. Eine Metapher und ihre Folgen - vom Salonbericht bis zur frühen Fotokritik, München 2018, 8f.
[5] So etwa die Bezeichnung des Zwölfjährigen Waffenstillstands (1609-1621) als "zwölfjährige[r] Frieden" (27, im englischen Text korrekt: "Twelve Years' Truce") oder die Bezeichnung von Wilhelm von Oranien und seiner Frau Charlotte von Bourbon als "Königspaar" (248, im englischen Text ebenfalls korrekt schlicht "couple").
Mariam Hammami