Benoît Castelnérac / Luca Gili / Laetitia Monteils-Laeng (eds.): Foreign Influences. The Circulation of Knowledge in Antiquity (= Philosophie hellénistique et romaine ; Vol. 16), Turnhout: Brepols 2024, 302 S., ISBN 978-2-503-59895-6, EUR 75,00
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Der hier zu besprechende Sammelband ist Ergebnis einer Konferenz, die vom 24. bis 26. Oktober 2018 an der Universität von Montreal stattfand (11). Diese bleibt leider sowohl im Vorwort des Bandes als auch bei gezielter Suche im Internet nebulös, was Titel, Inhalt oder auch die Teilnehmerschaft (und deren Relation zu den Autoren der Beiträge) anbelangt. Besagtes Vorwort von Seiten zweier der drei Herausgeber des Buchs - Benoît Castelnérac und Laetitia Monteils-Laeng - beschränkt sich auf das Allernötigste: Eine knappe Ankündigung, worum es darin gehen wird, eine kurze Verortung des Themas im Sinne antiker (bzw. eigentlich nur: klassischer) Debatten, und Danksagungen an Sponsoren der besagten Konferenz bestimmen die fünf Seiten. Eine Darstellung des Forschungsstandes und der Forschungsgeschichte unterbleibt.
Während der Titel des Bands und der Anfang des Vorworts implizieren, dass in zeitlicher Hinsicht 'die ganze Antike' behandelt werde (vgl. 7), wird doch schnell klar, dass der Schwerpunkt unverkennbar in der griechischen Klassik liegt. Neun von zwölf Beiträgen lassen sich dieser Epoche zuordnen, einer richtet sich auf die späthellenistische bzw. spätrepublikanische Zeit (Cicero), einer auf die frühe Kaiserzeit, einer auf die Ära der 'Adoptivkaiser' (Galen). Es wird schon daran deutlich, dass der Sammelband nicht geeignet ist, seinen Gegenstand - "the Ancient Greeks' perception of foreigners and of foreign lands as potential sources of knowledge" - erschöpfend abzuhandeln (7). Aber das wäre für eine solche Publikation von Tagungsakten sicherlich auch zu viel verlangt.
Auf das Vorwort (7-12) folgen Abstracts aller Beiträge, was sehr sinnvoll und leserfreundlich ist. Allerdings wäre es vielleicht sinnvoll (weil für den Leser intuitiver nachvollziehbar) gewesen, die Abstracts entsprechend der Abfolge im Buch zu ordnen anstatt alphabetisch nach den Nachnamen der Autoren. Spätestens hier fällt auf, dass keiner der Herausgeber des Bands mit einem Aufsatz vertreten ist, sodass sich nicht nur die Frage nach dem Anteil Luca Gilis (als deren dritten, der am Vorwort nicht beteiligt war) geradezu aufdrängt. Ohne einen solchen in Abrede stellen zu wollen, irritiert die genannte Situation jedenfalls ein wenig.
An die Abstracts schließen sich unmittelbar die einzelnen Aufsätze der Konferenzteilnehmer (?) an, deren Anordnung sich allenfalls zum Teil erschließt (17-285). Der inhaltlichen Wertigkeit der Beiträge tut das freilich keinen Abbruch. Der Band als ganzer hätte aber sicher davon profitiert, wäre dem Reigen der Aufsätze ein rahmendes Fazit oder ein sonst wie zusammenführender Text beigegeben worden, zumal ja schon ein dünnes Vorwort eine echte Einleitung zu Beginn des Werkes ersetzt. Das ist leider nicht der Fall; es folgen unmittelbar ein Index der diskutierten Stellen aus der antiken Literatur (287-298) sowie einer der antiken Namen und Orte (299-302).
Auch thematisch hat der Band einen klaren Schwerpunkt. Letzterer entspricht (anders als der chronologische Fokus) der Ausrichtung der Reihe "HΦR: Philosophie hellénistique et romaine", der das Buch angehört. Das zeigt sich ansatzweise bereits im ersten Beitrag von André Rehbinder, der sich mit den Verwendungen der Begriffe ξένος, ξενικός und γλῶττα bei Aristophanes, Isokrates, Platon und Aristoteles befasst, wobei er besonderes Augenmerk auf Fragen literarischen bzw. rhetorischen Stils richtet ("Remarques sur les emplois stylistiques de ξένος, ξενικός et γλῶττα", 17-48). Ilaria Andolfi beschäftigt sich anschließend mit zwei Demokritfragmenten, die bei Clemens von Alexandria erhalten sind und die sie entgegen dem bisherigen Mainstream der Forschung für authentisch hält ("Democritus, B 299 (D.K.). Alien Wisdom, Geometry, and the Contemporary Prose Landscape", 49-70).
Gleich drei Beiträge sind dann Platon gewidmet. Während Étienne Helmer sich mit dem Konzept von Fremdheit in dessen Dialogen (besonders den Nomoi) befasst ("Étrangèreté du vrai et politique chez Platon", 71-93), geht Anna Schriefl der Rolle der Figur des Kephalos am Beginn der Politeia nach, die sie entgegen der bisherigen communis opinio als Idealtypus eines Geschäftsmannes begreifen möchte ("Cephalus: A Role Model for the Producers in Plato's Kallipolis", 95-116). David Merry dagegen beschäftigt sich mit der Rolle der Metöken in der Politeia ("Xenophobia in Utopia: On the Metics in Plato's Laws", 117-137).
Drei weitere Aufsätze befassen sich dann mit Platons Schülern. Zoli Filotas analysiert Buch vier von Xenophons Oikonomikos im Hinblick auf sozioöokonomische Implikationen aus dem Beispiel des Kyros ("Social Science and Universalism in Xenophon's Oeconomicus IV", 139-158). Mor Segev geht "Aristotle on the Intellectual Achievements of Foreign Civilizations" nach (159-179), und Thornton C. Lockwood Jr. untersucht Karthago als Sonderfall der Analyse einer nichtgriechischen Verfassung im Oeuvre des Aristoteles ("Carthage: Aristotle's Best (non-Greek) Constitution?", 181-208).
Nach einem Sprung von gut 300 Jahren landet der Leser in der späten Römischen Republik und der "Translatio, Imitatio, Aemulatio: Assimilation of Greek Thought in Cicero's Philosophical Writings", die Katarzyna Borkowska eher als schöpferische Übertragung denn eigentliche Übersetzung ausdeutet (209-226). Marine Glénisson widmet ihren Text der Rolle von Welterfahrung, Grenzerreichung und -überschreitung anhand von Beispielen aus der frühen Kaiserzeit, wiewohl Philostratos die zentrale und bedeutend spätere Quelle für dessen erste Hälfte darstellt ("Étrangers ou étranges? La sagesse des confins et la connaissance du monde dans la littérature grecque des premiers siècles de l'empire", 227-239). Galen und dessen Vorstellungen von Griechentum und Zugehörigkeit(-smöglichkeiten) zu demselben sind dann das Thema von Julien Devinant ("Déterminisme environnemental et influence culturelle: la vision de l'étranger chez Galien", 241-263). Meint man damit nun einen chronologischen Bogen des Werks erkennen zu können, so wirft einen "Le privilège philosophique de l'étranger" von Isabelle Chouinard schlussendlich zurück in die athenische Klassik und zu der Frage, wie sich Fremdheit und Philosophentum in jener Zeit zueinander verhielten (265-285).
Alles in allem handelt es sich trotz der genannten Einschränkungen um einen durchaus wertvollen Sammelband, dessen sehr quellenorientierte Beiträge geeignet sind, vor allem der jeweiligen Spezialforschung neue Impulse zu geben. Dass deutschsprachige Forschung in den Aufsätzen des Werkes weitgehend ignoriert wird, ließe sich mit gutem Recht bemängeln [1]; dasselbe mögen aber freilich auch andere Vertreter wichtiger moderner Sprachen außer dem Englischen und Französischen anmerken, was angesichts des franko-kanadischen Rahmens der Konferenz und des Sammelbands auch nicht überrascht. Es bliebe zu wünschen, dass mehr Befassung mit dem Fremden auch solche Sprachgrenzen überwinden helfen möge. Denn nach wie vor sind Sprach- und Kulturgrenzen wichtige Barrieren in der Circulation of Knowledge.
Anmerkung:
[1] Um nur zwei willkürliche Beispiele zu nennen, sind etwa die Namen von Albrecht Dihle oder Wilfried Nippel trotz ihrer jeweiligen überaus einschlägigen Veröffentlichungen in den Bibliografien des Bandes völlig absent.
Jonas Scherr