Claudia Kauertz: Wissenschaft und Hexenglaube. Die Diskussion des Zauber- und Hexenwesens an der Universität Helmstedt (1576-1626) (= Hexenforschung; Bd. 6), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2001, 279 S., ISBN 978-3-89534-353-7, EUR 24,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in PERFORM.
Richard Kirwan: Empowerment and Representation at the University in Early Modern Germany: Helmstedt and Würzburg, 1576-1634, Wiesbaden: Harrassowitz 2009
Jeremy Black: European Warfare, 1494-1660, London / New York: Routledge 2002
Klaus-Jürgen Bremm: Preußen bewegt die Welt. Der Siebenjährige Krieg 1756-63, Stuttgart: Theiss 2017
Wissenschaft und Hexenglaube scheinen sich nach modernem Verständnis zunächst gegenseitig auszuschließen. Im 16. und 17. Jahrhundert war die Dämonologie jedoch fest im Diskurs der universitären Gelehrsamkeit verankert. Am Beispiel der Universität Helmstedt wird in der vorliegenden Göttinger Dissertation die gelehrte Diskussion des Hexen- und Zauberwesens untersucht. Damit verbunden ist die Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung des wissenschaftshistorischen Kontextes der zeitgenössischen dämonologischen Diskussion gegenüber einer primär sozialhistorisch ausgerichteten Hexenforschung. Kauertz orientiert sich dabei vor allem an den Arbeiten Stuart Clarks.
Nach einem Überblick über die Forschung werden zunächst die Grundzüge der Zaubereidebatte im 16. und 17. Jahrhundert skizziert. Hierbei liegt die Betonung vor allem auf dem interdisziplinären und konfessionsübergreifenden Charakter der Debatte. Die orthodoxe Dämonologie erwies sich offenbar als erstaunlich persistent gegenüber kritischen Stimmen, wie Kauertz am Beispiel der Rezeption der Thesen des rheinischen Arztes Johann Weyer deutlich macht. Den Hauptteil der Arbeit nimmt die Behandlung des Zauber- und Hexenwesens an den drei höheren Fakultäten der Theologie, Jurisprudenz und Medizin ein. Aus dem Bereich der philosophischen Fakultät hingegen sind kaum entsprechende Quellen überliefert. Die Universität Helmstedt zählte auf Grund ihrer finanziellen Ausstattung, ihres vergleichsweise fortschrittlichen Lehrplans und der geschickten Berufungspolitik der Wolfenbütteler Herzöge zu den bedeutendsten protestantischen Universitäten. Das geistige Klima der Universität war dabei lange Zeit durch die Auseinandersetzungen zwischen der theologischen und den übrigen Fakultäten bestimmt, die sich den hegemonialen Ansprüchen der Theologen zu widersetzen versuchten. Die Diskussion der Theologen über das Zaubereiwesen spielte sich primär im Bereich der Dogmatik ab - erörtert wurden vor allem die dämonologischen Fundamente - und verblieb dadurch weitgehend im Rahmen der traditionellen lutherischen beziehungsweise allgemeinchristlichen Dämonologie.
In der juristischen Fakultät wird der Diskurs über das Zauber- und Hexenwesen vor allem anhand der Tätigkeit des Spruchkollegiums greifbar. Die Analyse der Spruchpraxis kommt dabei zu ähnlichen Ergebnissen wie die Studie von Sönke Lorenz zu den Spruchkollegien der Universitäten Rostock und Greifswald. Insgesamt fiel die Behandlung der Zaubereidelikte in Helmstedt jedoch offenbar oberflächlicher aus als beispielsweise in Rostock.
Den umfangreichsten Teil der Untersuchung nimmt die Behandlung der medizinischen Fakultät ein, von deren Mitgliedern die ausführlichsten Äußerungen zu Fragen des Hexen- und Zauberwesens überliefert sind. Die meist physiologisch argumentierenden Helmstedter Mediziner standen insgesamt vorwiegend in der Tradition der aristotelischen Physik. Im Zentrum der Analyse stehen vier bisher von der Forschung kaum berücksichtigte Traktate Helmstedter Medizinprofessoren. Den Anfang machen Johann Bökels "Tractatus de philtris" (1587/99) und seine "Oratio funebris" (1589): Den so genannten Philtren, einer Form von Liebestränken, denen der erste Traktat gewidmet ist, attestiert Bökel medizinische Wirkungslosigkeit. Um dennoch die Wirkung zu erklären, die sie offenbar auf die Zeitgenossen ausübten, argumentiert Bökel mit dem Teufel, der den Menschen die Wirkmächtigkeit des Trunkes suggeriere. Eine Kritik an der Dämonologie Jean Bodins aus naturgelehrter Sicht stellt Martin Biermanns Dissertation "De magicis actionibus ((((((((" (1590) dar. Hermann Neuwalts "Exegesis purgationis sive examinis sagarum super aquam frigidam" (1584) setzt sich kritisch mit der Wasserprobe auseinander, während Johann Freitags Werk "Noctes medicae" (1616) vor allem Kritik an den medizinischen und naturphilosophischen Lehren des Paracelsus übt.
Die Arbeit ist insgesamt gut lesbar, der Lesefluss wird lediglich durch die Vielzahl der längeren lateinischen Zitate gehemmt. Eines der vorrangigen Erkenntnisinteressen der Untersuchung liegt im Nachweis des interdisziplinären Charakters der Diskussion des Hexen- und Zauberwesens. Da eine fakultätsübergreifende Gutachtertätigkeit im Untersuchungszeitraum kaum zu rekonstruieren ist, werden entsprechende Kommunikationsvorgänge vor allem anhand der universitären Zensur greifbar. Die Analyse der Zensur führt dabei zu einer Differenzierung der bisher vielfach vertretenen Einschätzung, dass in protestantischen Territorien ein grundsätzlich toleranterer Umgang mit dem Hexenwesen gepflegt worden sei als in den katholischen.
Als Fazit benennt Kauertz Rationalität, Interdisziplinarität und Traditionalität als Hauptcharakteristika der Debatte. Die Rationalität der Diskussion bestehe dabei in der "Kompatibilität und Kohärenz mit den zeitgenössischen Wissenschaften" (238). Ihre Traditionalität hingegen äußere sich vor allem in der Übereinstimmung mit den Positionen der protestantischen Tradition. Angesichts einer sich im hier behandelten Zeitraum erst schrittweise ausdifferenzierenden Wissenschaftslandschaft und der Bedeutung aristotelischer oder theologischer Traditionen für die gesamte Wissenschaft scheint der Begriff der Interdisziplinarität jedoch problematisch. Die von Kauertz immer wieder betonte Interdiszplinarität des Diskurses äußerte sich ganz einfach in der Tatsache, dass die meisten Fakultäten sich unter ähnlichen theologischen Prämissen an ihm beteiligten. Der heuristische Nutzen des Begriffs Interdisziplinarität erweist sich von daher als relativ gering.
Marian Füssel