Jürgen Frölich / Esther-Beate Körber / Michael Rohrschneider (Hgg.): Preußen und Preußentum vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Beiträge des Kolloquiums aus Anlaß des 65. Geburtstages von Ernst Opgenoorth am 12.2.2001, Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz 2002, 236 S., 13 s/w-Abb., ISBN 978-3-8305-0268-5, EUR 30,00
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Festschriften gehören zu einer guten Tradition der "scientific community", eröffnen sich doch damit Möglichkeiten, den zu Ehrenden aus dem Kreise seiner Kollegen und Schüler auf dem Terrain zu würdigen, auf dem er selbst jahrzehntelang fruchtbar gewirkt hat. Es erschien nahe liegend, für Ernst Opgenoorth, der bis 2001 als Professor an der Universität Bonn lehrte, das Thema der preußischen Geschichte in all seinen Fassetten zu wählen.
Der Gehalt der Beiträge, die methodischen Ansätze und der wissenschaftliche Neuwert fallen erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Man wird an ein solches Unternehmen wohl auch nicht mit demselben kritischen Blick herantreten dürfen, der bei Sammelbänden angebracht erscheint, die konzise auf ein eng zugeschnittenes Thema ausgerichtet sind.
Die Herausgeber eröffnen den Band mit einer biografischen Skizze und warmherzigen Würdigung des Hochschullehrers Ernst Opgenoorth, die zugleich auch als ein informativer Beitrag zur Geschichte des Historisches Seminars der Universität Bonn gelesen werden kann.
Der Titel des Aufsatzes von Heinz Stübig, "Preußen und die neuere deutsche Geschichte", lässt zunächst einen historiographiegeschichtlichen Ansatz vermuten, der den im Umfeld des "Preußenjahres" erschienenen allgemeinen Betrachtungen einen weiteren Mosaikstein hinzufügt. Stattdessen versucht der Autor auf der Basis der einschlägigen Literatur die Berührungen preußischer und deutscher Geschichte im 19. Jahrhundert am Beispiel der Beziehungen zwischen Militär und Gesellschaft, der - aus der Außensicht als vorbildhaft empfundenen - Entwicklung des höheren Schulwesens und der Minderheitenpolitik des preußischen Staates gegenüber den Juden nachzuzeichnen.
Die Studie von Beate-Christine Fiedler über den schwedischen Feldherrn Hans Christoph von Königsmarck ging aus der Beschäftigung der Verfasserin mit der Verwaltungsgeschichte Bremens und Verdens in der Schwedenzeit im Rahmen ihrer Dissertation hervor. Zu Grunde liegt diesem biografischen Abriss eine bislang ungedruckte Lebensbeschreibung jenes Militärs. Auch wenn die Möglichkeiten der Auswertung einer solchen Quelle in diesen knappen Darlegungen gewiss nicht voll ausgeschöpft werden konnten, gelingt es Fiedler dennoch, ein fassettenreiches Lebensbild dieser in mehrfacher Hinsicht für die Forschung interessanten Persönlichkeit nachzuzeichnen. Besonders die Behandlung des bis zu seiner Ernennung zum schwedischen Reichsrat 1651 reichenden zeitlichen Abschnittes und der Finanztransaktionen Hans Christoph von Königsmarcks dürfen einen gewissen Neuwert beanspruchen, konnte die Verfasserin doch hier partiell auf die Auswertung unbekannterer Quellen zurückgreifen.
Der wohl theoretisch anspruchsvollste Beitrag stammt aus der Feder von Michael Rohrschneider. Er wendet sich einem in der jüngeren Forschung mit größerem Interesse verfolgten Thema zu: den so genannten "composite monarchies", also der Verbindung zweier oder mehrerer, räumlich oftmals getrennter Territorien unter der Herrschaft eines Fürsten. Der Vergleich zwischen den diesem Typus zuzuordnenden Staatswesen Spanien und Brandenburg-Preußen im 17. Jahrhundert mag zunächst verwundern - er ergab sich wohl aus den früheren und jetzigen Forschungsinteressen des Autors. Jedoch bringt Rohrschneider einige erwägenswerte Argumente für seinen komparativen Ansatz. So kommt er zu dem auf der Basis von politischen Testamenten und Denkschriften gewonnenen Resümee, dass es sich bei den von der spanischen und brandenburg-preußischen Monarchie zu bewältigenden Herausforderungen "um vielmehr generelle Strukturprobleme frühneuzeitlicher Mehrfachherrschaften" handelt (68).
In das Ambiente der höfischen Gesellschaft und der "Politik der Kabinette" führt uns die Studie von Ulrich Naujokat. Durch die Auswertung der relevanten Quellen des Public Record Office gelingt es ihm, nicht unwichtige Details für die Darstellung der preußisch-britischen Beziehungen während des Spanischen Erbfolgekrieges beizusteuern. So kann Naujokat anschaulich den nicht zu unterschätzenden Einfluss der hinter den Monarchen wirkenden "groupes dirigeants" vorführen; ebenso eindrucksvoll versteht er es, die "Zusammenhänge zwischen englischer und preußischer Innenpolitik" (81) bei der Konzipierung der außenpolitischen Entscheidungen aufzuzeigen. Vor allem die engen personellen Bindungen an den seinerzeit mächtigsten preußischen Amtsträger, Wartenberg, verliehen dem britischen Botschafter in Berlin, Lord Raby, zeitweise beträchtlichen Einfluß, brachten ihn aber andererseits auch zunehmend in Konflikt zur Partei des Kronprinzen.
Es konnte im "Preußenjahr" kaum ausbleiben, auch einen Beitrag über die Königskrönung von 1701 aufzunehmen. Christiane Kauer hat diesen Part übernommen und beschreibt das historische Umfeld dieses Ereignisses auf der Grundlage der den jüngeren Forschungsstand bestimmenden Arbeiten (vor allem H. Duchhardt und B. Stollberg-Rilinger), die insbesondere der Rolle von Zeremoniell und Kunstpropaganda bei der Interpretation der Krönung einen höheren Eigenwert beimessen, als dies in der älteren Historiographie der Fall war.
Theo Rütten widmet sich mit seinem Aufsatz "Preußen und die Revolution von 1848" einer Thematik, die früher oft einseitig auf die restaurative Funktion der Hohenzollernmonarchie reduziert wurde. Der Autor gibt sowohl einen auf den neuesten Gesamtdarstellungen basierenden knappen Überblick über den Revolutionsverlauf in Deutschland als auch einen Abriss über die Ereignisse der Jahre 1848/49 in Preußen. Obwohl dem Verfasser die regionalistische Grundstruktur Preußens nach eigenem Bekunden wohl bewusst ist, liegt das Schwergewicht seiner Betrachtungen dennoch auf der Metropole Berlin.
Jürgen Frölich, ein hinlänglich ausgewiesener Experte zur Geschichte des deutschen Liberalismus, steuert eine Forschungsbilanz zur Problematik "Preußentum und Liberalismus nach 1867" bei und kann zugleich auf der Basis quantitativer Analysen neue Erkenntnisse zur Geschichte der liberalen Parteien in Preußen (regionale Herkunft des Führungspersonals und der Abgeordneten der liberalen Parteien) vermitteln.
In den technikgeschichtlichen Bereich führt der mit vielen Illustrationen versehene Beitrag von Heinz Kaufhold-Roll über die "Entwicklung von Kampfpanzern in der preußisch-deutschen Armee im 1. Weltkrieg". Hierbei handelt es sich um Zusammenfassungen von mehreren früheren Spezialstudien des Verfassers. Die am Ende seines Aufsatzes stehenden Ausführungen unter dem Untertitel "Preußen und der deutsche Panzerbau", die sicher dem Gesamtanliegen des Bandes verpflichtet sind, erscheinen hingegen etwas bemüht.
Ulrich Josten behandelt in seiner aus einem Forschungsprojekt zur "Geschichte der Bonner Polizei während des NS-Regimes" hervorgegangenen, instruktiven Studie die Stellung der preußischen Polizei in der politisch bewegten Zeit zwischen "Preußenschlag" und den ersten Wochen nach der nationalsozialistischen Machtergreifung. Auf Grund seiner Argumente ist dem Fazit zuzustimmen, dass ein durch die Polizei getragener "bewaffneter Widerstand gegen den Staatsstreich [den "Preußenschlag" vom 20.7.1932; Frank Göse] ... wohl letztlich aussichtslos gewesen" wäre (194). Dennoch warnt Josten zu Recht vor allzu schematischen Übertragungen des allgemeinen Befundes. Die bisherigen, noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen zu den Bonner Verhältnissen lassen hier einige Modifizierungen erwarten.
Von seiner Intention und seinem Ansatz her sich stark von den anderen Aufsätzen abhebend, widmet sich Georg Osterfeld dem Thema: "Preußen als didaktisches Problem". Wohl mit Bedacht ist in diesem Beitrag die Diktion des gesprochenen Wortes beibehalten worden. Man merkt es diesen bewusst nicht "sine ira et studio" argumentierenden Zeilen an, dass der Verfasser es sich in seiner langjährigen Berufspraxis als Lehrer nie leicht gemacht hat mit "Preußen". Auch wenn man nicht jedem Argument und jeder Schlussfolgerung seiner - mitunter auch von manchen hier etwas aufgesetzt wirkenden kulturpessimistischen Invektiven geprägten - Auseinandersetzung mit dem Thema "Preußen" folgen wird, regen diese Überlegungen dennoch zum weiteren Nachdenken über ein offenbar zeitloses Phänomen an.
Einen anderen Ansatz der Bewältigung "Preußens" stellt Bernhard Escherich vor, der sich kursorisch der Entwicklung des französischen Preußenbildes zuwendet. In einer rasanten Tour d'Horizon durcheilt der Verfasser, vor allem auf der Grundlage der französischen Literatur, die Wahrnehmungsmuster, die über den Hohenzollernstaat etabliert wurden. Da hier versucht wird, die Zeitspanne vom Ende des Ancien Règime bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts (einschließlich des französischen DDR-Bildes!) auf acht Seiten in den Griff zu bekommen, müssen zwangsläufig die erforderlichen Differenzierungen und tieferschürfenden Erklärungen oftmals auf der Strecke bleiben.
Am Ende des Bandes kommt der Jubilar selbst zu Wort und versucht, ein Resümee über die ihm zu Ehren durchgeführte Tagung, aber auch über das Thema seines wissenschaftlichen Lebens zu geben. Wie bei Ernst Opgenoorth nicht anders zu erwarten, fällt das Gesamturteil über Preußen nicht pro oder contra aus, sondern wird als eine Ambivalenz vorgeführt, die nicht zuletzt in der "Spannung von Macht und Recht, Macht und Ethik" (228) angelegt ist.
Frank Göse