Heide Barmeyer (Hg.): Die preußische Rangerhöhung und Königskrönung 1701 in deutscher und europäischer Sicht, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, 199 S., ISBN 978-3-631-38845-7, EUR 29,80
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Nach und nach werden derzeit die Ergebnisse der zahlreichen Jubiläumsveranstaltungen, die anlässlich der 300. Wiederkehr der preußischen Königskrönung vom 18. Januar 1701 stattgefunden haben, in Form von wissenschaftlichen Publikationen für die Forschung greifbar. Der vorliegende Sammelband, der auf den Referaten basiert, die im Oktober 2001 auf der Jahrestagung der "Arbeitsgemeinschaft zur Preußischen Geschichte" (APG) in Wustrau gehalten wurden, liefert einen weiteren Beitrag in diesem Zusammenhang. Traditionsgemäß entstammen die Referenten respektive Autoren zum Teil dem Kreis des Ausrichters; darüber hinaus wurden zusätzlich "auswärtige" Historiker herangezogen, die sich durch einschlägige Arbeiten im hier behandelten Forschungskontext hervorgetan haben. So hat die APG unter anderem erneut den Dialog mit polnischen Forschern gesucht und mit Jacek Staszewski einen Referenten gewinnen können, der die polnische Sicht des Geschehens beleuchtet.
Eingedenk der Fülle der Ausstellungen, Tagungen und sonstigen Veranstaltungen, die sich direkt oder indirekt der Selbstkrönung Friedrichs III./I. in Königsberg gewidmet haben, hat die APG in konzeptioneller Hinsicht zwei deutliche Schwerpunkte gesetzt: Zum einen rückt der Blick von außen in den Mittelpunkt, das heißt die Frage, wie sich die Krönung aus der Perspektive derjenigen Mächte darstellte, deren Interessen von den Vorgängen in Preußen in besonderem Maße berührt wurden. Zum anderen gilt das Augenmerk Fragen des Zeremoniells und damit einem Thema, das in jüngster Zeit - nicht zuletzt auch im Bereich der Frühneuzeitforschung - Konjunktur hat. Dementsprechend ist der Band geprägt durch das Nebeneinander von tendenziell eher traditionell ausgerichteten, vorrangig die Details des europäischen Mächtespiels erhellenden Ausführungen einerseits sowie von Analysen, die primär Aspekte der neueren Forschung zur zeremoniellen Zeichensprache rezipieren und weiterführen, andererseits.
Der Band wird durch eine ausführliche Einleitung der Herausgeberin, Heide Barmeyer (Hannover), eröffnet. Sie führt nicht nur in die Gesamtkonzeption ein, sondern fasst darüber hinaus auch wesentliche Ergebnisse der nachfolgenden Beiträge zusammen. Leser, die sich kurz und knapp über den Inhalt dieser Aufsätze informieren möchten, seien ausdrücklich auf diese konzisen Bilanzen verwiesen.
Den Auftakt der insgesamt neun Einzeluntersuchungen bildet die vorrangig die innerpreußische Perspektive berüchsichtigende Studie von Esther-Beate Körber (Berlin/Duisburg) über die Predigttexte der Gottesdienste zur Feier der Königskrönung. Diese Texte waren obrigkeitlich verordnet und enthielten bestimmte wiederkehrende Grundthemen (Legitimationsfragen, Salbung, Pflichten der Untertanen gegenüber dem Herrscher), die gleichwohl unterschiedlich ausgelegt wurden. Die verschiedenen theologischen Ausrichtungen der Prediger schlugen sich hierbei nieder, ebenso die Bemühungen, mit den Predigten in den noch vergleichsweise jungen territorialen Erwerbungen des Hohenzollernstaates eine integrative und legitimierende Wirkung hervorzurufen. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang das Fazit der Untersuchung Körbers, der Herrscher habe mittels der gezielten Auswahl der Predigttexte versucht, regulativ auf das Verhältnis zu seinen Untertanen einzuwirken.
Horst Carl (Gießen) widmet sich den traditionell stark beachteten Beziehungen Brandenburg-Preußens zu Kaiser und Reich. In Übereinstimmung mit der neueren Reichsforschung widerlegt er überzeugend das Erklärungsmodell der älteren preußisch-kleindeutsch ausgerichteten Historiographie, das bereits die Beziehungen des Hohenzollernstaates zum habsburgischen Kaiser im ausgehenden 17. und frühen 18. Jahrhundert im Sinne eines grundlegenden Dualismus aufgefasst hat. Auch wenn die Königskrönung nicht auf Reichsboden erfolgte, war der Stellenwert des Reiches für die Gestaltung der Politik Brandenburg-Preußens auch zukünftig zentral. Dass das Reich die Königsberger Ereignisse scheinbar gänzlich ungerührt hingenommen habe und quasi unbeteiligt gewesen sei, bedarf ebenfalls einer Differenzierung. Das Alte Reich stand zwar abseits; seine genossenschaftlichen Strukturen blieben jedoch, so Carl, trotz der Monarchisierungswelle um die Jahrhundertwende intakt.
Dieter J. Weiss (Bayreuth) verortet in seinem Beitrag den Protest des Deutschen Ordens gegen die preußische Königskrönung als eine Etappe im Rahmen der seit der Umwandlung des Ordensstaates in das weltliche Herzogtum Preußen (1525) immer wieder auflodernden Bemühungen des Ordens, verloren gegangenes Terrain zurückzugewinnen. Angesichts der faktischen Wirkungs- und Bedeutungslosigkeit der Versuche, die Anerkennung der preußischen Königswürde zu verhindern und den eigenen Rechtsanspruch auf Preußen aufrecht zu erhalten, drängt sich in der Tat der von Weiss gezogene Vergleich mit den mächtepolitisch gesehen geringen Auswirkungen des päpstlichen Protestes gegen die 1648 in Münster und Osnabrück errichtete Friedensordnung auf. Ein Quellenanhang (Schreiben des Papstes Clemens XI. an den Hoch- und Deutschmeister Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg vom 14. Mai 1701) dokumentiert die Haltung der Kurie in der preußischen Kronfrage.
Von ihren im Rahmen der Arbeiten an der Leibniz-Edition gewonnenen Quellenkenntnissen profitierend, umreißt Nora Gädeke (Hannover) die Auseinandersetzung des Universalgelehrten mit der preußischen Königskrönung. Von Leibniz stammt das viel zitierte Diktum, der Königstitel sei nur ein "complementum essentiae", also eine rangmäßige Umsetzung der machtpolitisch de facto bereits zuvor erlangten Stellung. Auf der Basis ihrer detaillierten Erschließung der den Königsberger Ereignissen gewidmeten Texte und Korrespondenzen Leibniz' entwirft Gädeke das Bild eines Gelehrten im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik, der infolge seines nicht unproblematischen Daseins zwischen den Höfen von Berlin und Hannover immer wieder Rücksichten auf die Interessenlage der beiden konkurrierenden Nachbarn Brandenburg-Preußen und Braunschweig-Lüneburg-Calenberg nehmen musste.
Die Studie von Peter Baumgart (Würzburg) über Kurfürst Max Emanuel von Bayern und die preußische Rangerhöhung markiert den thematischen Übergang zur europäischen Mächtepolitik. Hier und in den folgenden drei Beiträgen von Jacek Staszewski (Torún), Ernst Opgenoorth (Bonn) und Werner Buchholz (Greifswald) zur polnischen, französischen und schwedischen Sicht auf die Rangerhöhung von 1701 rücken die diplomatischen Implikationen der Königskrönung und die militärische Behauptung Brandenburg-Preußens in den europäischen Kriegen des ausgehenden 17. und frühen 18. Jahrhunderts in den Mittelpunkt. Die Motive und Ziele der Beteiligten werden ebenso sorgsam herausgearbeitet wie der Stellenwert der preußischen Königskrönung im Kalkül der Mächte. Insbesondere die hierbei geleistete Einbeziehung der vergleichenden Perspektive, nämlich des parallelen Strebens der Wittelsbacher (Baumgart) und Wettiner (Staszewski) nach Rangerhöhung, lässt das Charakteristische und das Typische des preußischen Beispiels vor dem gesamteuropäischen Hintergrund deutlich zu Tage treten. Demgegenüber ermöglicht der Blick auf die Bedeutung und mächtepolitische Instrumentalisierung von Zeremonialfragen (Opgenoorth; Buchholz) eine angemessene Gewichtung dieses Faktors in den internationalen Beziehungen.
Der abschließende Aufsatz von Sebastian Olden-Jørgensen (Kopenhagen) über den Vergleich zwischen der dänischen Königssalbung von 1671 und der preußischen Krönung von 1701 korrigiert zunächst den Befund der bisherigen Forschung, die Krönung Karls XII. von Schweden im Dezember 1697 sei Vorbild der Selbstkrönung Friedrichs III./I. gewesen. Ausgehend vom Begriff der zeremoniellen Innovation, zieht Olden-Jørgensen stattdessen die Königssalbung Christians V. von Dänemark als Vergleichspunkt für die Königsberger Krönung heran. Beiden gemein sei, so Olden-Jørgensen, die dahinter stehende Intention der Monarchen, neuartige politische Ansprüche in der zeremoniellen Zeichensprache zum Ausdruck zu bringen. Angesichts der Tatsache, dass die Königsberger Selbstkrönung nicht traditionsbildend gewirkt hat, mutmaßt der Autor in thesenartiger Zuspitzung: "Könnte es sein, dass Friedrich I. und seine Ratgeber zu sehr an der Grundstruktur der Salbung und Krönung herumgebastelt hatten, zu sehr den religiösen Kern der Salbung ausgehöhlt, zu sehr die Logik einer Krönung durch die Innovation der Selbstkrönung aufgelöst hatten?" (196). Dieser Gedanke bildet den für weitere Forschungen anregenden Schlusspunkt eines Bandes, der im thematischen Kontext der europäischen Mächtepolitik um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert wie auch im Hinblick auf die Funktion und Bedeutung zeremonieller Ausdrucksformen in den internationalen Beziehungen der Frühen Neuzeit künftig heranzuziehen sein wird.
Michael Rohrschneider