Shimon Redlich: Together and Apart in Brzezany. Poles, Jews, and Ukrainians, 1919-1945, Bloomington, IN: Indiana University Press 2002, XIX + 202 S., 39 s/w-Abb., 5 Karten, ISBN 978-0-253-34074-0, USD 29,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Der israelische Historiker Shimon Redlich verbindet in seiner Darstellung der polnisch-jüdisch-ukrainischen Beziehungen in der Kleinstadt Brzeżany (polnisch; ukrainisch: Berežany) seine persönlichen Erinnerungen mit historischer Forschung. Redlich wurde 1935 in dieser Stadt geboren und überlebte die deutsche Besatzung 1941-44 gemeinsam mit seiner Mutter, deren Schwester und ihrem Mann in einem Versteck in einem nahe gelegenen ukrainischen Dorf dank der Unterstützung durch Ukrainer und Polen. Die übrigen Mitglieder seiner Familie wurden zusammen mit den weitaus meisten Juden Brzeżanys in dieser Zeit ermordet.
Das Buch setzt mit der Rückkehr des Verfassers, der 1950 aus Polen nach Israel emigriert war, nach Brzeżany im Jahre 1991 und der Begegnung mit den Ukrainern ein, die ihn in der Zeit der deutschen Besatzung verborgen hatten. Dies war Teil einer langsamen Wiederannäherung an eine traumatisch belastete Vergangenheit. Redlich hatte erst in den 1980er-Jahren erneut Kontakt mit denjenigen Polen und Ukrainern gesucht, die ihm während der deutschen Besatzung geholfen hatten: "In trying to persevere after trauma, we often bury the deserving memories along with the tormenting ones. Some of the worthiest people in my life, those who saved it, were for many years casualties of my attempt to forget the past and build a new life." (IX). Ein Resultat dieser Rückkehr Redlichs nach Brzeżany, wo heute nicht mehr viel an die jüdische und polnische Vergangenheit der Stadt erinnert, und seines Versuchs, seine eigene Vergangenheit und diejenige seiner Familie zu rekonstruieren, ist das vorliegende Buch.
Es beruht auf drei Arten von Quellen. Dies sind zum einen die persönlichen, notwendigerweise bruchstückhaften Erinnerungen des Autors. Zum zweiten sind es archivalische Quellen und zeitgenössische Publizistik, die, ergänzt um die Forschungsliteratur, zur Rekonstruktion der sozialen und politischen Verhältnisse sowie der damaligen Ereignisse dienen. Drittens handelt es sich um Interviews, die Redlich mit ungefähr 50 ehemaligen jüdischen, polnischen und ukrainischen - und im Falle einiger Ukrainer auch noch heutigen - Einwohnern der Stadt geführt hat. Dadurch gelingt es ihm, die Perspektiven der verschiedenen Gruppen auf die Ereignisse und ihre teilweise widersprüchliche, aber auch in vielem übereinstimmende Erinnerung in die Rekonstruktion der Geschichte des Ortes einzubeziehen. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht nur geschichtswissenschaftliche Methode, sondern auch der Empfindung des Autors geschuldet, dass das Ende des multiethnischen Zusammenlebens einen Verlust bedeutet und die Erinnerung daran nicht durch die traumatische Erfahrung des Holocaust überdeckt werden sollte (X).
In der Darstellung der Verhältnisse in der Zwischenkriegszeit kontrastiert die Beschreibung der Entwicklung der Beziehungen zwischen den drei Gruppen, die im polnisch-ukrainischen Fall von vom Verfasser dokumentierter, deutlich wachsender Gewalt gekennzeichnet waren, mit den Erinnerungen der ehemaligen Bewohner der Stadt, die, wie auch Redlich selbst, diese Zeit vorwiegend als friedlich und glücklich im Gedächtnis behielten. Tatsächlich waren die Juden Brzeżanys wohl weniger mit antisemitischen Haltungen konfrontiert als in vielen anderen Orten in dieser Zeit, da sich auch die Polen der Stadt angesichts der ukrainischen Mehrheitsbevölkerung auf dem Lande gewissermaßen in einer Diaspora-Situation befanden. Sie blieben gleichwohl von dem wachsenden Antisemitismus nicht unberührt, wie vom Verfasser beschriebene Fälle zeigen, in denen Juden der Zugang zu einem Universitätsstudium verbaut oder sie bei der Aufnahme in das Lehrerinnenseminar in Brzeżany deutlich diskriminiert wurden. Das positive Bild dieser Zeit mag bei allen Gruppen von den extremen Gewalterfahrungen der folgenden Jahre bestimmt sein. Zugleich stammten zumindest die meisten der jüdischen und polnischen Interviewpartner Redlichs aus Mittel- oder Oberklasse-Familien und besuchten in dieser Zeit das örtliche Gymnasium. An diese Zeit erinnerten sie sich - und das ist wohl auch in anderen Fällen für Erinnerungen an diesen Lebensabschnitt nicht ungewöhnlich - als glücklich und sorgenfrei.
Für die Phase der sowjetischen Besatzung der Stadt vom September 1939 bis Juni 1941 zieht der Verfasser das Fazit, dass diese Periode erheblich zu steigenden Spannungen beigetragen habe, die sich unter der deutschen Okkupation dann gewaltsam entluden. Dieser Zeit ist das längste Kapitel gewidmet, in dessen Mittelpunkt der Mord an den Juden und die Haltung der polnischen und ukrainischen Bevölkerung dazu, aber auch die eskalierende Gewalt zwischen Polen und Ukrainern steht. Ein weiteres Kapitel beschreibt das Jahr vom Sommer 1944 bis zum August 1945 nach der Befreiung von der deutschen Besatzung bis zur Deportation der polnischen und jüdischen Bewohner der Stadt nach Westen über die neuen Grenzen Polens.
Redlich gelingt es meisterhaft, die eigenen Erinnerungen und Erfahrungen mit der historischen Forschung und den Erinnerungen seiner Interviewpartner zu verbinden, die verschiedenen Blickwinkel zu kombinieren und auch ihre Differenzen gegenüberzustellen. Er zeigt zugleich Unterschiede und Gegensätze in den Erfahrungen und Erinnerungen innerhalb der jeweiligen Gruppen, was nicht zuletzt auch eine Reflexion des eigenen Standpunkts des Verfassers und seiner Erinnerungen einschließt. Damit leistet das Buch nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der kontroversen Frage des Verhältnisses der drei Gruppen während des Zweiten Weltkriegs, sondern auch zu Zügen ihrer jeweiligen kollektiven Gedächtnisse, die die Diskussion der Vergangenheit zwischen ihnen bis in die Gegenwart hinein erschweren.
Durch die persönlichen Erfahrungen des Autors, die dem Buch zu Grunde liegen, ist es in dieser Form sicherlich ein Werk anderer Kategorie als Arbeiten von Forschern, die keine derart nahe Bindung an ihren Gegenstand haben. Durch die Multiperspektivität, die Einbeziehung der gedächtnisgeschichtlichen Aspekte und die Reflexion der eigenen Wahrnehmung und des eigenen Standpunkts des Verfassers setzt es gleichwohl Maßstäbe für die weitere Diskussion und für weitere Forschungen über die interethnischen Beziehungen in Polen während des Zweiten Weltkriegs.
Kai Struve