Stefan Ehrenpreis (Hg.): Der Dreißigjährige Krieg im Herzogtum Berg und in seinen Nachbarregionen (= Bergische Forschungen; Bd. 28), Neustadt a.d. Aisch: Verlagsdruckerei Schmidt 2002, VIII + 375 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-87707-581-4, EUR 15,00
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Dass das 350-jährige Jubiläum des Westfälischen Friedens eine Flut von Publikationen zum Dreißigjährigen Krieg hervorgebracht hat, ist mittlerweile in so vielen Rezensionen als einleitende Wendung gebraucht worden, dass es schwer fällt, eine neue Variante der Begründung zu entwickeln, warum das zu besprechende Werk aus der Masse heraussticht.
Zwar ist der Sammelband anlässlich des Jubiläums erarbeitet worden, und er trägt auch den Dreißigjährigen Krieg im Titel. Aber schon einleitend stellt Jörg Engelbrecht (10-25) zutreffend fest, dass es am Niederrhein einen Dreißigjährigen Krieg nicht gegeben habe, sondern dass vielmehr die Kampfhandlungen zwischen 1618 und 1648 aus Sicht des Herzogtums Berg und seiner Nachbarregionen als Teil und Endphase des Achtzigjährigen Krieges der Vereinigten Niederlande gegen die Spanier anzusehen ist. Engelbrecht betont im Anschluss an Johannes Burkhardt den Charakter des Krieges am Niederrhein als Staatenbildungskrieg, in dem sich konfessionelle und politische Momente untrennbar verwoben, und der zu einem guten Teil durch die Verwerfungen angeschoben wurde, die durch die territoriale Struktur und den Stand der Verfassungsentwicklung in den einzelnen Territorien entstanden.
Diesen Befund bestätigt Rolf-Achim Mostert (26-63). Er verweist auf die militärischen Konflikte, die das Rheinland schon im späten 16. Jahrhundert direkt oder indirekt betrafen. Das Ausbrechen des jülich-klevischen Erbfolgestreites 1609 müsse in der Kontinuität dieser Ereignisse gesehen werden und könne nicht isoliert von ihnen als "Vorspiel" des Dreißigjährigen Krieges angesehen werden. Vielmehr war es ein Schritt unter vielen, die zu ihm geführt haben. Der Erbfolgestreit führte jedoch dazu, dass die politischen und konfessionellen Kontrahenten, hierbei handelte es sich neben den Erbprätendenten um die Regierungen und Landstände der einzelnen Teilterritorien, Anschluss an Spanien, die Niederlande oder den Kaiser suchten. Auf diese Weise verwob sich der Erbstreit immer mehr mit den großen europäischen Konflikten und dem seit 40 Jahren in der Nachbarschaft geführten spanisch-niederländischen Krieg. Die innere Schwäche und die Zerissenheit Jülich-Kleves machten es den auswärtigen Mächten leicht, in die Region hereinzuwirken. Insofern war die unfertige Staats- beziehungsweise Territorialbildung am Niederrhein Kriegsursache. Das bestätigt auch der Herausgeber selbst (66-101). Wolfgang Wilhelm musste als Herzog von Jülich-Berg mit inneren politischen und konfessionellen Widerständen, mit dem brandenburgischen Konkurrenten um die jülich-klevische Erbmasse und den Ansprüchen aller Krieg führenden Mächte fertig werden, was angesichts seiner ungefestigten Landesherrschaft schwierig und bisweilen unmöglich war.
Solche Schwierigkeiten standen nicht im Mittelpunkt der Probleme der Reichsstadt Köln, die Hans-Wolfgang Bergerhausen untersucht (102-131). In Korrektur älterer Literatur weist er nach, dass das Hauptmotiv der Politik der Stadt die Wahrung ihres katholischen Charakters war, nicht aber eine besondere Kaisertreue. Versuche, sich im Krieg neutral zu verhalten, scheiterten an der strikten Abwehrhaltung gegen das Eindringen jedes anderen konfessionellen Einflusses in die Stadt. Helmut Gabel (132-179) entwirft für die Niederlande ein gegensätzliches Bild. Zwar waren auch sie konfessionell sicher weder neutral noch emotionslos. Aber bei der Formulierung ihrer Politik wurde der konfessionelle Faktor oft dem Aspekt der Sicherheit des Landes und der wirtschaftlichen Grundlage seiner politischen Existenz untergeordnet. Beide Beiträge zusammengenommen warnen davor, vorschnell zu monokausalen Erklärungsmustern für die Ursachen des Dreißigjährigen Krieges zu kommen. In der Praxis schillerten die Fassetten politischen Handels weitaus mehr, als es Schlagworte wie "Konfession" oder "Kaisertreue" ausdrücken können.
Zur Praxis des Kriegs, also weg von der Politik und hin zum eigentlichen Geschehen kommt Michael Kaiser (181-233). Auch hier ist eine differenzierte Wahrnehmung notwendig: Großes Leid steht neben Kriegsgewinnen, und Phasen der Ruhe stehen neben Phasen intensiver Belastung. Die Bevölkerung auf dem Land und in den kleinen Städten hatte schon angesichts der langen Dauer des Krieges gar keine andere Wahl, als sich mit den Kriegsbelastungen zu arrangieren und alltägliche Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Man lebte notgedrungen mit dem Krieg. Das zeigen auch die beiden folgenden Beiträge, in denen Wolfgang Motte (234-274) und Ulrike Unger (275-297) anhand zweier lokaler Beispiele Kaisers Befunde untermauern.
Johannes Arndt (299-327) weist auf die Vielfalt der für eine Kriegsbeendigung zu lösenden Verhandlungsgegenstände hin und schlägt damit wieder den Bogen zu den Beiträgen, die sich den Kriegsursachen gewidmet haben. Wenn der Dreißigjährige Krieg Staatsbildungskrieg war, so mussten an seinem Ende die territorialen, dynastischen und konfessionellen Konflikte, die zu seiner Entstehung geführt hatten, wenigstens so weit gelöst werden, dass ihre kriegsfördernde Wirkung spürbar reduziert wurde.
Den Band schließt ein Beitrag von Dieter Breuer ab (328-360), der aus dem Rahmen des Bandes fällt. Er hat nicht wie alle anderen Aufsätze das Herzogtum Berg und seine Nachbarn im Fokus, sondern die deutsche Dichtung als ganze, die, so sein Ergebnis, das Epochale des Westfälischen Friedens erst mit Verzögerung erkannt habe.
Insgesamt handelt es sich um ein Werk, das durch die Konzentration der Untersuchungen auf eine Region und die gute thematische Abstimmung der Einzelbeiträge gewinnbringend zu lesen ist. Die meisten Aufsätze sind profunde aus den Quellen erarbeitet worden und heben sich schon dadurch von anderen Jubiläumsbänden ab, die nur deshalb mit leichter Hand zusammengeschrieben werden, um im Jubiläumsjahr auf dem Buchmarkt präsent zu sein.
Der Band ist reich mit Abbildungen versehen worden, wobei indes nicht immer der Zusammenhang mit dem Text gegeben oder erkennbar ist. Der Abbildungsnachweis (374-375) ersetzt nicht die dort fehlenden Erläuterungen, zumal er an einigen Stellen mit falschen Seitenangaben operiert. Doch können solche Einwände den positiven Gesamteindruck nicht trüben. Das Werk wird sicher noch lange von jedem in die Hand genommen werden, der sich mit dem Dreißig- oder Achtzigjährigen Krieg am Niederrhein beschäftigt.
Max Plassmann