Gisbert Knopp / Ulrike Heckner (Red.): Die gotische Chorhalle des Aachener Doms und ihre Ausstattung. Baugeschichte - Bauforschung - Sanierung (= Arbeitsheft der rheinischen Denkmalpflege; 58), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2002, 364 S., zahlr., z.T. farbige Abb., ISBN 978-3-935590-38-9, EUR 49,80
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Den Anlass zu der vorliegenden, von Gisbert Knopp und Ulrike Heckner redigierten Publikation zum gotischen Chor der Aachener Pfalzkapelle gab die in den Jahren 1994 bis 2001 durch das Rheinische Amt für Denkmalpflege und die Dombauleitung durchgeführte Gesamtinstandsetzung des 1353-1414 errichteten Bauwerks. Die Bezeichnung "Chorhalle" für den einschiffigen Hochchor geht auf eine lokale Tradition zurück; sie trägt der Verankerung der als erstes deutsches Objekt 1978 in das Weltkulturerbe aufgenommenen Pfalzkapelle mit Stadt und Land Rechnung. Die Sanierungs- und Restaurierungsmaßnahmen betrafen die Architektur (Mauerwerk, Ringverankerung, Gewölbe), den Dachstuhl (1660 nach Brand neu aufgerichtet) und die Dachdeckung, das Fenstermaßwerk und die Verglasung (20. Jahrhundert), außerdem die Wandmalereien, die Bauskulptur (Apostelzyklus und Schlusssteine) sowie mit dem Karlsschrein, dem Marienschrein und der Strahlenkranzmadonna zentrale Teile der beweglichen Ausstattung. Der in schwarz-weiß und Farbe reich illustrierte Band geht dadurch über eine reine Dokumentation der Ergebnisse hinaus, dass er die Erkenntnisse der Bauforschung in den größeren Zusammenhang des Baubetriebs im Reich zur Zeit der Gotik stellt.
In einem einleitenden Aufsatz führt Gisbert Knopp in die historischen Zusammenhänge und die liturgische Ausstattung des gotischen Chorneubaus ein. Unter Angabe der Primärquellen und der grundlegenden Forschungsliteratur wird der kunsthistorische Kenntnisstand dargestellt. Während das Äußere des Chorbaus - abgesehen vom Verlust der mittelalterlichen Fenstermaßwerke im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts und ihrer freien Rekonstruktion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - die Jahrhunderte weitgehend unverändert überstand, erfuhr das Innere je nach den liturgischen Anforderungen tief greifende Veränderungen. Die früheste fassbare Innenaufteilung war von der Doppelfunktion des Chores bestimmt, sowohl Krönungskirche der deutschen Könige als auch, als Begräbnisstätte Karls des Großen, Wallfahrtsort zu sein. Eine gegen Mitte des 15. Jahrhunderts errichtete Marienkapelle überfing in der Art eines kurzen, in einem Fünfachtelpolygon endenden Binnenchores den Marien- und Krönungsaltar. Ihr Gewölbe war vom Obergeschoss des karolingischen Umgangs aus begehbar und nahm ähnlich einer Westempore einen weiteren Altar auf. Der Karlsschrein stand erhöht, wohl auf Säulen gestützt, unmittelbar hinter dem gotischen Hochaltar unter dem sich zentralisierend weitenden Neun-Vierzehntel-Polygon des Chores. Eine vergleichbare Zurschaustellung eines Reliquienschreins, die während der Prozessionen das Umschreiten und Unterschlüpfen zuließ, hat sich bis heute in der Kölner Kirche St. Ursula erhalten. Nach Verlust des Krönungsprivilegs (1562) und Rückgang der Wallfahrt wurde die Marienkapelle 1719 zusammen mit dem karolingischen Oktogon barockisiert; 1786 wurde sie zu Gunsten eines Oktogon und Chor zu einer Einheit zusammenfassenden Raumeindrucks niedergelegt. Der als Baldachinaltar mit vier antiken Säulen aus grünem Porphyr errichtete Hochaltar des Historismus bestand bis zu den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges. Sein moderner Nachfolger wurde in das östliche Joch des karolingischen Umgangs verlegt; Karlsschrein und Marienschrein befinden sich jetzt wieder, in musealer Aufstellung, an ihrem jeweiligen mittelalterlichen Ort (siehe hierzu auch den Beitrag von Elmar von Reth).
Die genaue Schilderung der Sanierungsarbeiten durch Dombaumeister Helmut Maintz vermittelt, unter anderem durch ein instruktives Schaubild, einen Eindruck von der Verwendung der insgesamt 25,3 Millionen DM umfassenden Baukosten. Die Zielsetzung der aktuellen Denkmalpflege, ein Maximum an historischer Substanz zu erhalten und damit zugleich die ökonomisch günstigste Vorgehensweise zu wählen, wird von Lutz-Henning Meyer vom Rheinischen Amt für Denkmalpflege dargelegt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Aktivierung des seit langem stillgelegten Sandsteinbruchs in Herzogenrath, die es ermöglicht hat, für die Sanierung das gleiche Material wie für den gotischen Bau zu verwenden (siehe hierzu die Beiträge von Hans Karl Siebigs und Christoph Schaab).
Der Beitrag von Ulrike Heckner, "Ergebnisse der Bauforschung", besticht durch die Anschaulichkeit, mit der er die Befunde der Bauuntersuchungen und der einzigen erhaltenen, aus dem Jahr 1400/01 stammenden Baurechnung erläutert und im Hinblick auf den Bauverlauf interpretiert. Sowohl bei der Aufmauerung der ungegliederten Wandflächen als auch der komplizierteren Partien der Wandvorlagen und der Fensterfriese konstatiert Heckner eine pragmatische Vorgehensweise, die mit möglichst geringem planerischen und organisatorischen Aufwand zu effizienten Lösungen geführt hat. Der Apostelzyklus mit den im Scheiteljoch angebrachten Figuren von Maria und Karl dem Großen wurde erst während des Bauverlaufs eingefügt, was die in zwei Etappen erfolgte Höherverlegung der Fenstersohlbänke nach sich gezogen haben dürfte. Hinter den umfassend interpretierten Befunden zum Bauverlauf treten allerdings subtile Beobachtungen Heckners zur Chorarchitektur, wie etwa das Verhältnis von äußerer zu innerer Erscheinung (108) in den Hintergrund. In einem zweiten Beitrag entschlüsselt Ulrike Heckner zusammen mit Hans-Dieter Heckes auf der Grundlage einer computergestützten Auswertung die an den Innenwänden des Langchores im Maßstab 1:1 erhaltenen gotischen Ritzzeichnungen und erläutert deren Bedeutung für den Entwurfsprozess und die Errichtung des Chores.
Die Wandmalereien an der Sockelzone des Chores - ein von Kaiser Friedrich III. anlässlich der Krönung seines Sohnes Maximilian I. im Jahre 1486 gestifteter Marienzyklus und stehende Heilige mit Kirchenmodellen - sind nach Reinigung und Konservierung sowie Abnahme der bei den letzten Restaurierungen partiell verbliebenen Übermalungsschichten wieder sichtbar. Sie werden in Farbabbildungen vorzüglich reproduziert. Von großer Bedeutung für die Rekonstruktion der ehemaligen Chorausstattung ist die wohl erst nach 1629 entstandene Innenansicht der Marienkapelle (249, Abbildung 24), auf welcher der Altaraufbau mit Marienschrein, aufgeklapptem Schutzkasten und der mit wertvollen Textilien bekleideten Marienskulptur zu sehen ist.
Nach einem etwas schematisch geratenen Bericht über die Konservierung des Karlsschreins (1215) und des Marienschreins (1239) in den Jahren 1983-1988 und 1987-1999 werden die bei der Konservierung der Strahlenkranzmadonna (1524) neu gewonnenen Erkenntnisse von Regina Urbanek vorgetragen. Das von dem Maastrichter Bildschnitzer Jan van Steffeswert signierte Bildwerk hat bis heute seinen angestammten Platz, herabhängend vom mittleren Gurtbogen des Chores, bewahrt. Die These, es sei ursprünglich als Marienleuchter geschaffen und erst bei der durch den Stadtbrand von 1656 nötig gewordenen Restaurierung von 1685 zur Strahlenkranzmadonna umgearbeitet worden, konnte widerlegt werden.
Insgesamt wird das großformatige und preiswerte Werk dem Anliegen der Denkmalpflege, ihre Maßnahmen und Forschungsfragen bei höchstem wissenschaftlichem Anspruch den Fachkollegen der Kunstgeschichte und einer interessierten Öffentlichkeit zu vermitteln, voll gerecht. Kein Lob ohne Kritik: Mancher Leser wird das Fehlen eines Stichwortverzeichnisses als schmerzhaft empfinden. Angesichts der Auslieferung im April 2003 hat sich die Rezensentin über die Rückdatierung des Bandes auf das Jahr 2002 gewundert.
Ulrike Seeger