Elmar Geus: Mörder, Diebe, Räuber. Historische Betrachtung des deutschen Strafrechts von der Carolina bis zum Reichsstrafgesetzbuch (= Spektrum Kulturwissenschaften; Bd. 6), Berlin: scrîpvaz 2002, 288 S., ISBN 978-3-931278-14-4, EUR 20,00
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Die Bedeutung des Strafrechts für die Entstehung und Entwicklung neuzeitlicher Staatlichkeit ist von der geschichtswissenschaftlichen Forschung bislang kaum beachtet worden. Die Historische Kriminalitätsforschung hat den Blick in kulturhistorischer Manier vor allem auf die Akteure und deren Lebenswelten sowie auf die Rechtsanwendung und -praxis im Strafprozess gerichtet. In Abgrenzung zur traditionellen Rechtsgeschichte spielt die Entstehung rechtlicher Normen, insbesondere größerer Gesetzgebungswerke, in dieser relativ neuen Disziplin allerdings keine Rolle. Hier setzt die bei Ulrich Knefelkamp an der Universität Frankfurt (Oder) entstandene historische Dissertation an. Geus versteht Strafrechtsgeschichte als "Teilstück einer machtpolitischen Staatsbildungsgeschichte" (13). Ziel der Arbeit ist es, anhand der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, des strafrechtlichen Teils des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 sowie des Reichsstrafgesetzbuchs von 1871 zu zeigen, welche Funktion das Strafrecht im Rahmen der jeweiligen "staatliche[n] Formationsperiode" (13) erfüllte. Eine Entwicklungsgeschichte des Strafrechts in Deutschland, wie sie die Formulierung des Titels der Studie nahe legt, ist also nicht beabsichtigt.
Die Gliederung orientiert sich an den drei ausgewählten Gesetzgebungen, die jeweils in einem eigenen Kapitel behandelt werden. Diese wiederum sind parallel in eine Schilderung der Entstehungsgeschichte der Kodifikationen sowie eine inhaltliche Analyse ihrer Strafbestimmungen unterteilt. Bei Letzterer stehen neben den "leitenden Prinzipien", worunter Geus in erster Linie Strafzweck und Strafensystem versteht, vor allem die Delikte Mord, Totschlag, Diebstahl und Raub im Mittelpunkt. Die Detailuntersuchung beschränkt sich auf eine stark rechtsgeschichtlich orientierte Analyse des Gesetzestextes. Die im Vorwort der Herausgeber angekündigten kulturwissenschaftlichen Fragestellungen und Methoden vermisst man dagegen.
Das gewählte Vorgehen erleichtert den Vergleich zwischen den Strafgesetzen von 1532, 1794 und 1871, wobei Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu Tage treten. Die Carolina von 1532 - gemäß der Fragestellung nur bezüglich ihrer materiellrechtlichen Vorschriften untersucht - ordnet Geus in den Zusammenhang der Reichsreform, insbesondere die "Herstellung einer [...] gesicherten Friedensordnung und Zentralisierung der öffentlichen Gewalt" (102), ein. Für die Entstehung der Carolina spielte der Dualismus zwischen Territorialfürsten und Kaiser beziehungsweise Reich eine wichtige Rolle. Er schlug sich schließlich im Ergebnis in der Kompromissformel der so genannten Salvatorischen Klausel nieder, nach welcher der Carolina gegenüber dem Landesrecht nur eine subsidiäre Geltung zukam. Dies ist allerdings Handbuchwissen und jedem Historiker / Rechtshistoriker, der sich mit entsprechenden Materien der Frühen Neuzeit beschäftigt, bekannt.
Das Allgemeine Landrecht von 1794 sieht Geus vor allem als Mittel absolutistischer Herrschaftspolitik, um durch "die restlose Verstaatlichung und volle Vereinheitlichung des Strafrechts" (258) konkurrierende ständische Gewalten zurückzudrängen und die Integration des preußischen Gesamtstaates zu fördern. Großes Gewicht legt der Verfasser auf die Einordnung der Entwicklung der preußischen Gesetzgebung in den Kontext der Aufklärung und insbesondere deren Forderungen zur (Straf-)Gesetzgebung. So betont er in diesem Zusammenhang, dass beim Allgemeinen Landrecht zum ersten Mal die (gebildete) Öffentlichkeit durch ein Preisausschreiben an der Erarbeitung eines Gesetzes beteiligt wurde.
Die Übernahme des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund von 1870 als Reichsstrafgesetzbuch im darauf folgenden Jahr versteht Geus als Element der "inneren Reichsgründung": "Hauptziel aller am Gesetzgebungsprozeß beteiligten Akteure blieb freilich die Herstellung rechtsstaatlicher Einheit im Bundesgebiet" (255). Im Mittelpunkt der Darstellung stehen die Auseinandersetzungen zwischen den Regierungen der Bundesstaaten, allen voran der durch Bismarck vertretenen preußischen, und dem Reichstag über die Todesstrafe.
Abschließend kommt Geus zu dem nicht besonders überraschenden Ergebnis, "daß das Strafrecht in jeder einzelnen Periode als Verwirklichung juristischer Konzepte, aber auch als Produkt intellektueller, ökonomischer und politischer Einflussfaktoren zu begreifen ist" (257). Die Gründe für die strafrechtliche Reform stimmten prinzipiell überein, wobei Gemeinsamkeiten insbesondere in den mit den Kodifikationen verfolgten Zielen Rechtsvereinheitlichung, Sicherung des inneren Friedens, staatliche Integration und innere Konsolidierung gelegen hätten. Diese Absichten konnten jedoch zu den verschiedenen Zeiten nur in unterschiedlichem Umfang verwirklicht werden. Obwohl Geus abschließend darauf verweist, "daß eine rein personenzentrierte Sichtweise auf keines der drei Strafrechtsgesetze anwendbar ist" (258), spielen einzelne Akteure in den jeweiligen Kapiteln eine wichtige Rolle. Der "eigentlichen Rechtswissenschaft" als Faktor im Gesetzgebungsprozess weist die Studie dagegen "außerhalb der Gesetzeskommissionen nur eine untergeordnete Rolle" (258) zu. Gleiches gilt für die jeweiligen "Herrscherpersönlichkeiten", wobei es dann überrascht, wenn Otto von Bismarck in diesem Zusammenhang in einer Reihe mit Kaiser Karl V. und Friedrich dem Großen genannt wird (259).
Nicht nur an dieser Stelle sind Ungenauigkeiten festzustellen. So ist es beispielsweise nicht zutreffend, dass die deutschen Staaten erst nach der Verabschiedung des bayerischen Strafgesetzbuches von 1813 auf eine Modernisierung des Strafrechts drängten (212). Vielmehr hatten viele Regierungen schon um 1800 Reformbemühungen eingeleitet, die allerdings zunächst ohne Erfolg blieben. In Bezug auf den Strafvollzug im 19. Jahrhundert ist anzumerken, dass die Isolation der Gefangenen in Einzelhaft gerade nicht die allgemeine Realität in den Anstalten prägte (240), sondern eine nur an wenigen Orten umgesetzte Forderung von Theoretikern und Praktikern der Gefängniskunde bildete. Eine Ursache für diese Unklarheiten ist in der relativ eng begrenzten Materialbasis der Arbeit zu suchen. Archivmaterial wird grundsätzlich nicht einbezogen, obwohl dem Verfasser die überlieferten einschlägigen Bestände etwa zum Allgemeinen Landrecht und zum Reichsstrafgesetzbuch bekannt sind. Die Studie beruht also nur auf gedruckten Quellen und Editionen, wobei auch diese nur selektiv ausgewertet werden. Viele weiterführende Fragen bleiben deshalb mit dem Verweis auf die Quellenlage unbeantwortet (zum Beispiel 183, 213, 252 Anmerkung 1153 und 1156).
Insgesamt kann Geus deshalb den eingangs formulierten Anspruch einer neuen Betrachtungsweise der Strafrechtsgeschichte höchstens teilweise einlösen. So ergibt der methodisch schwierige, mehr als drei Jahrhunderte umfassende Vergleich wichtige Einsichten in die Funktion und Bedeutung des Strafrechts in unterschiedlichen Staatsbildungsprozessen. Diese bleiben jedoch meist auf einer sehr allgemeinen Ebene, da die Selbstbeschränkung bei den Quellen differenziertere Ergebnisse verhindert. Die Leistung der Arbeit liegt daher vornehmlich in einer auf der neuesten Literatur basierenden Zusammenfassung des Forschungsstandes zu den drei Strafgesetzbüchern, die Anregungen für weitere Untersuchungen gibt.
Sylvia Kesper-Biermann