Alexander Hogh / Jörg Mailliet: Tagebuch 14/18. Vier Geschichten aus Deutschland und Frankreich. Unter Mitwirkung und mit einem Vorwort von Gerd Krumeich und Nicolas Beaupré, Köln: Tintentrinker Verlag 2014, 120 S., ISBN 978-3-9816323-1-6, EUR 20,00
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Michael Pesek: Das Ende eines Kolonialreiches. Ostafrika im Ersten Weltkrieg, Frankfurt/M.: Campus 2010
Jean-Jacques Becker / Gerd Krumeich: Der Große Krieg. Deutschland und Frankreich 1914-1918, Essen: Klartext 2010
Oliver Göbel: Die Fuldaer Katholiken und der Erste Weltkrieg. Zur konfessionellen Spezifik nationaler Integration am Beispiel der fuldischen katholischen Publizistik 1914-1918, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2011
Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz, München: DVA 2013
Jens Flemming / Klaus Saul / Peter-Christian Witt (Hgg.): Lebenswelten im Ausnahmezustand. Die Deutschen, der Alltag und der Krieg, 1914-1918, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2011
Katrin Dauenhauer: The Shadow of Torture. Debating US Transgressions in Military Interventions, 1899-2008, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2015
Elmar Geus: Mörder, Diebe, Räuber. Historische Betrachtung des deutschen Strafrechts von der Carolina bis zum Reichsstrafgesetzbuch, Berlin: scrîpvaz 2002
Die Darstellung des Ersten Weltkriegs im Comic ist so alt wie der Krieg selbst. In Großbritannien, Frankreich oder den USA erschienen bereits zwischen 1914 und 1918 zahlreiche Cartoons und Bild-Text-Sequenzen, die vielfach der nationalen Propaganda und Mobilisierung dienten. Ein eigenständiges Erinnerungsmedium an den "Großen Krieg" stellt der Comic spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar, als in Europa und den USA verschiedene Aspekte des Themas, vom Luftkampf über den Krieg in Afrika, vom Grabenkrieg an der Westfront bis hin zu Kriminalgeschichten an kolonialen Schauplätzen in Bildergeschichten aufgriffen wurden. In Deutschland waren einige dieser Alben, vornehmlich aus dem franko-belgischen Raum, in Form von Übersetzungen zugänglich. Die in den letzten 30 Jahren stark zunehmende Bedeutung historischer Themen im Comic sowie das besondere Interesse am Ersten Weltkrieg im Rahmen des Jubiläums haben auch hierzulande im vergangenen Jahr zu einer beachtlichen Zahl an Neuerscheinungen geführt. [1]
Das Tagebuch 14/18 gehört einerseits in dieses Spektrum grafischer Weltkriegserzählungen, weist jedoch andererseits eine Reihe von Besonderheiten auf. So handelt es sich um ein konsequent deutsch-französisches Kooperationsprojekt: Mit der deutschen ist nicht nur zugleich eine französische Ausgabe erschienen, sondern die Zeit zwischen 1914 und 1918 wird zudem aus der Perspektive beider Länder betrachtet. Ferner verfolgt der Comic eine pädagogisch-didaktische Intention und richtet sich in erster Linie an Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren, während es sich bei der Mehrzahl der in den letzten Jahrzehnten in Deutschland erschienenen Alben um Unterhaltungslektüre für Erwachsene handelt, in welcher der Erste Weltkrieg teilweise nur die Funktion einer (historischen) Kulisse einnimmt. [2]
Im Tagebuch 14/18 erzählen Autor Alexander Hogh und Zeichner Jörg Mailliet, wie vier junge Deutsche und Franzosen, bei Kriegsausbruch zwischen sechs und 22 Jahre alt, die Zeit zwischen 1913 und 1919 erlebten. Der thüringische Gymnasiast Walter Bärthel meldete sich im August 1914 freiwillig, wurde schwer verwundet und kehrte nicht mehr an die Front zurück. Agnes Zenker verbrachte die Kriegszeit an der "Heimatfront" auf dem elterlichen Hof im Erzgebirge sowie in Dresden. Auf der anderen Seite der Front verlebte René Lucot diese Phase seiner Kindheit überwiegend in einer Kleinstadt nordöstlich von Paris, während Medizinstudent Lucien Laby über die gesamte Dauer des Krieges als Militärsanitäter an der Front, unter anderem in Verdun, und in der Etappe eingesetzt war. Die einzelnen Figuren wirken nicht eindimensional, sondern ihre sich im Kriegsverlauf verändernde, ambivalente Haltung zum Krieg zwischen Nationalismus, patriotischem Stolz, Resignation und Friedenssehnsucht kommt deutlich zum Ausdruck.
Dass die Erlebnisse und Wahrnehmungen der vier Personen nicht einzeln, sondern in chronologischer Abfolge miteinander verschränkt präsentiert werden, erweist sich als großer Vorteil: So entsteht ein komplexes Bild der Kriegszeit und ihres Verlaufs, ein Mosaik unterschiedlicher Erfahrungsräume einschließlich teils ähnlicher, teils gegensätzlicher Sichtweisen. Indem der Comic keinen durchgehenden Handlungsstrang verfolgt, sondern - eben wie ein Tagebuch - einzelne Episoden im Umfang von meist einer Seite aneinanderreiht, verstärkt er den Eindruck der Vielschichtigkeit jugendlicher Kriegserlebnisse. Bei der Auswahl der Szenen hat der Autor darauf geachtet, dass eine breite Palette von Aspekten thematisiert wird, die auch in der historischen Forschung eine Rolle spielen: Es geht unter anderem um Institutionen wie Schule und Kirche im Krieg, um Versorgungskrisen und Lebensmittelknappheit, um Kriegsgefangene und Kolonialsoldaten, um den Luft- und Grabenkrieg sowie Deserteure und traumatisierte Soldaten.
Die grafische Gestaltung des Tagebuchs 14/18 für ein jugendliches Publikum ist gelungen. Im Seitenlayout sind quer- und hochformatige Panels unterschiedlicher Größe abwechslungsreich angeordnet; die Zeichnungen im Stil der ligne claire weisen eine kräftige Farbgebung auf und fangen die Stimmung der jeweiligen Situation ein. Bei der Darstellung von Schauplätzen und Personen, etwa bei Uniformen oder Kleidung sowie weiteren Details, wurde Wert auf eine historisch korrekte Darstellung gelegt. Ein Glossar erläutert, wenn auch nur sehr knapp, einige in den Panels genannte Begriffe, Redewendungen oder Anspielungen, die bei der Leserschaft als nicht bekannt vorausgesetzt werden.
Insgesamt ist festzustellen, dass der Comic, wohl auch wegen seines didaktischen Anspruchs, besonderen Wert auf historische Authentizität legt und diese in verschiedener Hinsicht dokumentiert. So handelt es sich nicht um fiktive Schicksale, sondern den vier Geschichten liegen - im Fall von Walter, Agnes und Lucien - während der Kriegszeit geführte Tagebücher, im Fall von René autobiografische Erinnerungen zugrunde. Darauf weisen als Tagebuchblatt gestaltete Panels mit jeweils einem Originalzitat in Anführungszeichen auf praktisch jeder Seite wiederholt explizit hin. Der Anhang ("Fotoalbum") zeigt nicht nur Fotografien der Protagonisten, sondern schildert auch deren weiteren Lebensweg nach 1918. Alles in allem ein origineller und gelungener Beitrag unter den Neuerscheinungen zum Ersten Weltkrieg, eine abwechslungsreiche und informative Lektüre - nicht nur für Kinder und Jugendliche.
Anmerkungen:
[1] Zum Beispiel: Maël & Kris: Mutter Krieg, Bielefeld 2014; Joe Sacco: Der Erste Weltkrieg. Die Schlacht an der Somme, Zürich 2014; Peter Eickmeyer: Im Westen nichts Neues. Eine Graphic Novel nach dem Roman von Erich Maria Remarque, Bielefeld 2014; Romain Hugault / Yann: Der Pilot mit dem Edelweiß, Bd. 3: Walburga, Wattenheim 2014.
[2] Vgl. die Auswahlbibliografie deutschsprachiger Comics über den Ersten Weltkrieg unter http://www.ngzg.geschichte.uni-muenchen.de/personen/ls_siemann/kesper_biermann/reader/auswahlbibliographie.html [Stand 20.2.2014].
Sylvia Kesper-Biermann