Stephan G. Bierling: Geschichte der amerikanischen Außenpolitik von 1917 bis zur Gegenwart, München: C.H.Beck 2003, 272 S., 4 Tabellen, ISBN 978-3-406-49428-4, EUR 12,90
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Alexander Moens / Lenard J. Cohen / Allen G. Sens (eds.): NATO and European Security. Alliance Politics from the End of the Cold War to the Age of Terrorism, Westport, CT: Praeger Publishers 2003
Angesichts der bemerkens- und zugleich beklagenswerten Tatsache, dass im deutschsprachigen Raum kaum politikwissenschaftliche Überblicksdarstellungen der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik existieren, schließt Stephan Bierling, Professor für Internationale und Transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg, mit seiner Arbeit eine Lücke.
Er untersucht die Besonderheiten und großen Linien der Geschichte dieser Politik seit dem Ersten Weltkrieg. Dabei folgt er einer liberalen Theorieschule der Internationalen Beziehungen, derzufolge die Bestimmungsfaktoren der Außenpolitik eines Staates vor allem in der jeweiligen Gesellschaft und den spezifischen Gegebenheiten des politischen Systems zu suchen sind. Dies gilt umso mehr für einen Staat mit der Verfassungsordnung der Vereinigten Staaten, die sich wie kaum eine andere offen zeigt für Einflussbemühungen gesellschaftlicher Akteure, und in deren Praxis das System der "Checks and Balances" die außenpolitischen Kompetenzen zwischen Präsident und Kongress verteilt hat.
Daher ist es erfreulich, dass der Autor nicht wie andere Wissenschaftler mit einem abstrakten "nationalen Interesse" der Vereinigten Staaten argumentiert, sondern zuerst einmal nach den materiellen sowie immateriellen Rahmenbedingungen und zentralen Akteuren der amerikanischen Außenpolitik fragt. Zu der ersten Gruppe zählt er fünf Determinanten: "die geografische Lage der USA, die leitenden Ideen ihrer Elite und ihrer Bevölkerung, die wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen des Landes, seine politische Stabilität und kulturelle Attraktivität sowie seine Geschichte" (9). Nicht immer ist die Abgrenzung dieser Rahmenbedingungen schlüssig, und auch ihre Wirkung auf die Ausgestaltung der heutigen amerikanischen Außenpolitik wird nicht immer plausibel, aber Bierling gibt damit Studierenden des Grundstudiums, an die sich diese Einführung vorrangig richtet, ein erstes nützliches analytisches Raster an die Hand.
Bei der Untersuchung der zentralen Akteure diskutiert der Autor nicht nur das bekannte Spannungsverhältnis von Präsident und Kongress in der Außenpolitik, sondern verweist zudem auf die Rolle gesellschaftlicher Akteure, der Öffentlichkeit und der Medien. Auch wenn dieses einführende Kapitel einige Schwächen aufweist - so wird mit keinem Wort problematisiert, wie die Medien und die öffentliche Meinung den außenpolitischen Entscheidungsprozess tatsächlich beeinflussen -, ist dieser erste Teil ohne Zweifel der stärkste des Buches. Dies verwundert wenig, gehören die innenpolitischen Akteure der amerikanischen Außenpolitik doch zu den wesentlichen Forschungsgebieten des Autors, der bereits Arbeiten über die Rolle der Nationalen Sicherheitsberater und des Kongresses in der Außenpolitik vorgelegt hat.
Leider wird dieser analytische Zugriff bei der Untersuchung der einzelnen Phasen der amerikanischen Außenpolitik seit 1917 nicht mehr verwendet. Stattdessen verfolgt Bierling lediglich das Handeln der konstitutionellen Institutionen Präsident und Kongress; gesellschaftliche Akteure spielen hier dann keine Rolle mehr, sodass der Untersuchungsrahmen letztlich vorgeschoben wirkt und nicht wirklich die Untersuchung leitet.
Im zweiten Teil differenziert Bierling neun Phasen der amerikanischen Außenpolitik seit 1917 aus. Wie immer bei einem solchen Vorgehen ließe sich über die eine oder andere Epochenwende streiten, auch scheinen einige Definitionen und Kernthesen diskussionswürdig, aber in toto bietet der Autor einen für die knappe Seitenzahl guten historischen Längsschnitt. Er sieht in der heutigen einzigartigen Stellung der USA im internationalen System beziehungsweise dessen unipolaren Struktur das Resultat einer nahezu ungebrochenen historischen Entwicklung seit 1917 und verweist insbesondere auf die beschleunigende Wirkung militärischer Konflikte, deren siegreiche Beendigung die Rolle der Vereinigten Staaten im internationalen System stärkte. Dabei geht Bierling nicht von einer bewussten Strategie der Vereinigten Staaten aus, den eigenen Herrschaftsbereich zu erweitern, sondern betrachtet den Aufstieg der USA zur Weltmacht mehr als Folge und Nebenprodukt von Aktionen, die Washington entweder aufgezwungen wurden oder die es zur Verteidigung anderer übernahm.
Diskussionswürdig erscheint Bierlings Diagnose des letzten Epochenwechsels, den er mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 ansetzt. Aufgrund der Tatsache, dass er hier ein "moving target" untersucht, wirken viele seiner Beobachtungen flüchtig und deskriptiv. Auch dürften sich manche Untersuchungsgegenstände aus größerer historischer Distanz als nicht so bedeutsam erweisen, wie sie gegenwärtig erscheinen mögen: Nicht auszuschließen ist, dass in einhundert Jahren die Phase zwischen 1989 und 2001 lediglich als ein bedeutungsloses Interregnum erscheint, das die Kontinuität amerikanischer Außenpolitik nur marginal tangiert hat. Wo Bierling zuvor die Entwicklungen seit dem 11. September überschätzt, verpasst er anschließend umgekehrt die wirklich interessante Diskussionslinie: So schlägt sich die wissenschaftliche Debatte um die hegemoniale Stellung der USA und die Geburt eines "American Empire", wie sie seit 2001 geführt wird, in diesem Buch überhaupt nicht nieder.
Lobenswert ist Bierlings Absicht, weiterführende Literatur zu bieten, problematisch ist jedoch ihr Inhalt. So wirkt die vorgenommene Auswahl mehr als willkürlich, stehen einführende Monografien unbegründet neben mehr oder minder Einzelaspekte behandelnden Aufsätzen, Arbeiten zur Rolle einzelner Präsidenten neben systematisch angelegten historischen Längsschnitten, Detailanalysen kleinster Politikfelder neben Memoirenliteratur ehemaliger Entscheidungsträger. Wichtige Arbeiten aus dem deutschsprachigen Raum, die zu den Klassikern der Forschung gehören, zum Beispiel Ernst-Otto Czempiels Untersuchungen der "vergesellschafteten" Außenpolitik oder Jürgen Wilzewskis Arbeiten zum Verhältnis von Präsident und Kongress in der Außenpolitik, fehlen völlig. Aber auch die jüngere Literatur aus den USA hat Bierling nur ausschnittweise rezipiert. So vermisst der Leser mindestens Hinweise auf Walter Russell Meads "Special Providence", auf Akira Iryies "From Nationalism to Internationalism" oder aber die kommentierten Quelleneditionen von Thomas G. Paterson. Zudem lassen sich aus der geografischen Gewichtung der aufgeführten Literatur keine kohärenten Kriterien ablesen: Einzelne Titel verweisen auf die Nahost-, Europa- oder Südasien-Politik der Vereinigten Staaten, Hinweise auf Arbeiten zur Lateinamerika- oder Afrika-Politik der USA hingegen fehlen vollständig. Zudem spiegelt die Literaturauswahl nicht den Zugang wider, den Bierling für seine Untersuchung gewählt hat: Während er in der Einleitung zu Recht die Bedeutung der innenpolitischen Faktoren für die amerikanische Außenpolitik betont, verweist er im Anhang auf keinen einzigen Titel, der dieses Feld systematisch weiter ausbreiten würde und diesem analytischen Zugang folgte. "Von allem ein wenig, aber leider nichts richtig" ist das Fazit für diesen Teil des Buches, der wirkt, als sei er mit sehr heißer Nadel gestrickt worden - ein Eindruck, der dadurch bestätigt wird, dass ein großer Teil der weiterführenden Literatur Titel umfasst, die die Entwicklung der amerikanischen Außenpolitik seit dem September 2001 mit Blick auf den Irak-Krieg 2003 untersucht. Ob sich darunter tatsächlich Untersuchungen befinden, die wissenschaftlich dauerhaft Bestand haben werden, darf man bezweifeln.
Markus Kaim