Karolina Lanckorońska: Mut ist angeboren. Erinnerungen an den Krieg 1939-1945. Aus dem Polnischen von Karin Wolff, Wien: Böhlau 2002, 312 S., 27 s/w Abb, ISBN 978-3-205-77086-2, EUR 29,80
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Karolina Lanckorońska (1898-2002), in Wien aufgewachsene Tochter eines galizischen Adligen und einer Preußin, siedelte nach Studienaufenthalten in Rom nach Lemberg über, wo sie 1935 Polens erste habilitierte Kunsthistorikerin wurde. Ihr wissenschaftliches Interesse für die italienische Kunst der Renaissance und des Barock korrelierte mit einer engen religiösen Bindung an die römisch-katholische Kirche - und einem Mangel an politischer Bildung.
Nach der Besetzung ihres Wohnorts durch die Rote Armee im September 1939 konnte sie sich noch einige Monate an der nun ukrainisch gewordenen Universität halten, ehe sie - inzwischen auf den Deportationslisten des NKVD - im Frühjahr 1940 mithilfe des polnischen Untergrunds die Demarkationslinie zum Generalgouvernement (GG) überquerte. Ein Jahr verbrachte sie, nun im Widerstand gegen die nazideutschen Besatzer aktiv, in Krakau, wo sie sich offiziell der Pflege heimkehrender polnischer Kriegsgefangener widmete. Dann setzte sie sich mit einer Vollmacht der GG-Regierung als Beauftragte des Hauptfürsorgerats (RGO) für eine bessere Versorgung der Gefängnisinsassen ein. In dieser Funktion gelangte sie Anfang 1942 ins ostgalizische Stanislau, wo sie zur Gegenspielerin des Gestapo-Chefs Hans Krüger wurde. Dieser ließ sie einsperren - und brüstete sich während eines Verhörs, er sei für die Ermordung ihrer 23 Lemberger Universitätskollegen verantwortlich, deren Spur sich im Sommer 1941 verloren hatte. Durch Intervention seitens der italienischen Königsfamilie entging Lanckorońska jedoch dem ihr von Krüger zugedachten Tod, wurde nach Lemberg überstellt und durfte in einem SS-internen Disziplinarverfahren schließlich in Berlin gegen den aus Stanislau abberufenen Krüger aussagen. Danach wurde sie mehr als zwei Jahre im Konzentrationslager Ravensbrück festgehalten, ehe sie kurz vor Kriegsende in einem Rotkreuz-Transport in die Schweiz freikam. Die Nachkriegsjahre verbrachte sie in der polnischen Emigration in Rom.
Der Verfasserin gelingt es stellenweise, ein plastisches Bild des menschenverachtenden Treibens von hohen Vertretern der NS-Besatzungsbehörden in Ostgalizien zu zeichnen. Tiefere Einsichten blieben ihr jedoch verschlossen. Lanckorońskas Weltbild war einem naiven und unerschütterlichen - in vielem aber auch selbstgerechten und engstirnigen - Nationalismus Sienkiewiczscher Prägung verhaftet, was in ihren Äußerungen über die Ukrainer und mehr noch die Deutschen (insbesondere in ihrem antipreußischen Affekt) zum Ausdruck kommt. In ihren Augen waren diese mit der "Todsünde" der Kollektivschuld belastet, während sie selbst "die tiefste Dankbarkeit gegenüber dem Schöpfer für meine Zughörigkeit zu einem Volk" empfand, "das in diesem verzweifelten Kampf [...] alle hohen Güter der Menschheit verteidigte" (180). Dieses Überlegenheitsgefühl hat ihr sicherlich geholfen, schwere Zeiten zu durchstehen, mutet jedoch antiquiert an und will nicht recht überzeugen, zumal mehrfach deutlich wird, dass sie, die sich so gerne und mit Stolz den ihr von den Nazis auferlegten Terminus "Nationalpolin" anheftete, sich nicht nur ihrer adligen Herkunft und deutschen Abstammung zu schämen schien. Sie empfand Schuldgefühle wegen ihrer privilegierten Haftbedingungen - immerhin hielt man sie im Gefängnis gar für die "Kusine Mussolinis" (183). Nach der kommunistischen Machtergreifung vermerkte sie: "Wie glücklich war doch das Polen des 19. Jahrhunderts, in dessen Namen keiner das Recht hatte, die Unwahrheit zu sagen, und dessen Exilierte für die gesamte zivilisierte Welt ein Symbol des Kampfes um die Freiheit des Menschen waren!" (271). Unausgesprochen bleibt auch Lanckorońskas Befürchtung, dass ihre Landsleute ihr Handeln als etwas anderes denn den entschiedendsten Einsatz für die polnische Sache missverstehen könnten; es war vermutlich diese Angst vor übler Nachrede, die sie 1945/46 zur Aufzeichnung ihres "gewissenhaften Rechenschaftsbericht[s]" (Vorwort) bewegte.
Insgesamt muss es daher verwundern, dass der Verlag ausgerechnet diese Okkupationserinnerungen, deren polnische Fassung erst 2002 erschienen ist, einer Übersetzung für wert befand. Spätere Eingriffe sind nicht kenntlich gemacht (vergleiche 98). Der Text hätte an einigen Stellen mit Gewinn gekürzt werden können - und zugleich mit mehr Anmerkungen versehen werden sollen. Dass mit "Brygidki" (20) das Lemberger Gefängnis gemeint ist, erfährt man erst auf Seite 37, was sich hinter "chadziajka" (19), "Wernyhora" (24), der Rota (34) und "Rzeczpospolita" (52, 94), der "Ribbentrop-Molotow-Linie" (59), dem "Östlichen Kleinpolen" bzw. "Małopolska Wschodnia" (87) einem "Interlokutor" oder den "bibelki" (191) verbirgt, überhaupt nicht! Selbst Lanckorońskas offene Worte über die Heimatarmee (26) bleiben einem uneingeweihten Leser dunkel, da Hintergrundinformationen schlicht fehlen. Nicht richtig gestellt wird die Horrorzahl, es seien bis Februar 1940 eine Million Polen ins Innere der Sowjetunion deportiert worden (32). Bei dem "Vorsitzenden des Komitees für die Judenhilfe, Doktor Melchert, eines Mannes von ungewöhnlicher Geisteskultur, vor allem aber eine großen Herzens und unglaublichen Mutes, der auf jenem furchtbaren Posten Wunder vollbrachte" (98), handelt es sich offenbar um Michael Weichert. Falsch übersetzt sind die Organisationen ZWZ (Verband für den Bewaffneten Kampf) und RGO, unübersetzt bleiben die meisten polnischen Ortsnamensformen, sodass dem Leser nie verdeutlicht wird, dass es sich bei Lwów (im Klappentext: Lwow) schlicht um Lemberg (Ľviv), bei Stanisławów (Ivano-Frankivsk) um Stanislau handelt. Laut Übersetzerin fuhr Lanckorońska bereits 1942 durch "Wrocław"! Auch das "Kleine biografische Wörterbuch" im Anhang (302-307) strotzt von eigentümlichen Übersetzungen. Die "Karte des Generalgouvernements" ist nur mit einer leistungsstarken Lupe zu etwas nutze.
Klaus-Peter Friedrich