Alexander Jendorff: Verwandte, Teilhaber und Dienstleute. Herrschaftliche Funktionsträger im Erzstift Mainz 1514 bis 1647 (= Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte; Bd. 18), Marburg: Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde 2003, X + 398 S., mit 1 CD-ROM, 1 Karte, ISBN 978-3-921254-91-2, EUR 59,00
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Das Kurfürstentum Mainz lässt Alexander Jendorff nicht los. In seiner Gießener Dissertation "Reformatio Catholica" aus dem Jahre 2000 fragte er, wie die "katholische Reform" in Kurmainz zwischen 1514 und 1630 funktionierte. Jendorff verstand diese nicht als "homogenes Programm" (27), sondern als gesellschaftliches Handeln, das aus kleinen Schritten bestand und auf stets neue Situationen gerichtet war. Reformen seien nicht von der Obrigkeit, sondern in einem lang währenden Prozess unter Beteiligung reformerischer Kräfte wie der mittelrheinischen Reichsritterschaft durchgesetzt worden. Somit ebnete die katholische Reform nicht den Weg zum "protoabsolutistischen Fürstenstaat". Zu heterogen war dazu wohl auch die Topografie des "zusammengesetzten Staates" Kurmainz, der aus Unter- und Oberstift (mit den Zentren Mainz und Aschaffenburg), dem Eichsfeld (Heiligenstadt) sowie der Stadt Erfurt bestand.
Bei dem jetzt vorliegenden Buch handelt es sich nach Aussage des Verfassers um das "Kind" der Dissertation, da es auf dem dabei gesichteten Material beruhe. Von den zerstreut liegenden kurmainzischen Archivbeständen zog Jendorff Quellen aus Koblenz, Würzburg und Magdeburg heran. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Entwicklung des frühneuzeitlichen Mainzer Politiksystems, dessen Funktionieren aufgrund des Selbstverständnisses der mittelrheinischen Reichsritterschaft sowie die Rolle der Beamten im Prozess des Werdens moderner Staatlichkeit: Fragen, die in jüngerer Zeit von der deutschen Frühneuzeitforschung aufgegriffen wurden und für die Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reichs von Bedeutung sind.
Im ersten Teil, der das System kurmainzischer "Territorialstaatlichkeit" behandelt, erklärt der Verfasser die starke Position der Reichsritter am Mittelrhein mit ihrer engen Beziehung zum Erzbischof. Mitunter waren sie durch Sitz im Domkapitel oder Einbindung ins höfische System selbst Akteure der Herrschaft. Entscheidend dafür sei ihre Konstituierung als reichsunmittelbare Korporation in den 1540er-Jahren gewesen. Im Unterschied zu anderen rheinisch-fränkischen Hoch- und Erzstiften wurden die gräflichen Dynastien in Kurmainz erst seit den 1530er-Jahren durch die Reichsritter aus dem Domkapitel verdrängt. Den Erfolg der Ritterschaft erkennt Jendorff nicht zuletzt an deren "Lern- und Transformationsprozeß" (51) während des 16. Jahrhunderts: Aus autonomen Rittern seien in den Reichsverbund integrierte Standespolitiker geworden, die ihre Gegnerschaft zu Kaiser, Reich und Territorialstaat beendet gehabt hätten. Bereits Volker Press beschrieb diesen Vorgang in seinen Studien über die Reichsritterschaft, auf die Jendorff sich auch verschiedentlich beruft. So hält er an Press' These von der Krise der rheinischen Ritter bei deren Eintritt ins Verfassungsgefüge des Reichs fest. Für die zunehmend positive Bewertung der Territorialherrschaft durch die Reichsritterschaft macht Jendorff mehr korporativ-ständische als individuelle Beweggründe verantwortlich.
Die Analyse der "Herrschaftsmorphologie" des Mainzer Politiksystems zeigt, dass politische und personelle Entscheidungsgewalt in den Händen des Kurfürsten verblieben. Dieser musste sich jedoch mit dem anti-zentralistischen Adel in den Randgebieten des Territoriums sowie bisweilen mit den Domkapitularen auseinandersetzen. Das Domkapitel fungierte ebenfalls als Träger von Lokalherrschaft, denn es übte in verschiedenen Ämtern die Landeshoheit aus und bestallte Amtleute in eigener Kompetenz. Jendorff folgert daraus, dass das Domkapitel ein "quasi-ständisches Regulativ der kurfürstlichen Regierung" (66) gewesen sei. Als drittes Element von Herrschaftsträgern fungierte der reichsritterschaftliche Stiftsadel, zu dem Familien wie die Heusenstamm oder Brendel von Homburg zählen, die im nahezu gesamten Untersuchungszeitraum "Führungsdynastien" darstellten. Die Schönborn dagegen sind für Jendorff ritterschaftliche Aufsteiger. Allerdings wird außer der zeitlichen Nachfolge ihres Aufstiegs keine Differenz zu den soeben genannten Familien ersichtlich. Reichsritterschaftliche Geschlechter, die keine herausragenden Positionen im kurmainzischen Politiksystem innehatten, aber stets in dieses integriert waren - wie die Wanscheid oder die Cratz von Scharfenstein, stellten das letzte Element der Herrschaftsträger dar. Zudem bildete sich parallel zur Reichsritterschaft als herrschender Sozialelite eine nicht-adlige administrative Elite heraus, die leider nicht näher behandelt wird.
Im zweiten Teil werden zunächst herrschaftliche Funktionsträger im Herrschaftszentrum behandelt. Der Mainzer Hof gehörte zu den bedeutenden des Alten Reichs, dennoch ist für das 16. und 17. Jahrhundert wenig über Struktur und personelle Zusammensetzung der Hofämter bekannt. Ausnahmen stellen dabei die Regierungen des Daniel Brendel von Homburg (1555-1582) und des Johann Schweikard von Kronberg (1604-1626) dar, in welchen sehr genaue Bestallungsverzeichnungen angelegt wurden. Eben darin erblickt Jendorff ein Indiz für die aus anderen Reichsterritorien bekannte wachsende Bürokratisierung und Verschriftlichung der Verwaltung. Allerdings gibt der Verfasser keine zufrieden stellende Erklärung für das Fehlen exakter Verzeichnisse im übrigen Untersuchungszeitraum. Weitere Schritte auf dem Weg zu Spezialisierung und Bürokratisierung der Verwaltung erkennt Jendorff in der Einrichtung des Hofrates in den 1520er-Jahren, ferner in der Spezialisierung der kurfürstlichen Räte und dem weitgehenden Verschwinden der Räte und Diener von Haus aus sowie in der Entwicklung der kurfürstlichen Kanzlei. Dort war in den 1560er-Jahren ein explosionsartiger Anstieg von Neubestallungen zu verzeichnen. Bezüglich der peripheren Stiftsgebiete stellt Jendorff fest, dass sich wichtige Funktionen wie Burggrafen und Amtleute meist unter den Familien aufteilten, die aus der betreffenden Region stammten. Folglich gab es wenige Dynastien, die im untersuchten Zeitraum drei oder mehr Ämter kumulieren konnten. Der zweite Teil schließt mit einer knappen Erläuterung übriger lokaler Herrschaftsinstitutionen wie der Kellerei, des Zoll- oder Militärwesens.
Der letzte Abschnitt des Buches beinhaltet ein umfassendes, zuvörderst aus Archivalien zusammengetragenes Verzeichnis aller beschriebenen Ämter und Diener in systematischer Abfolge. Dabei werden, soweit möglich, Zu- und Vorname, Titel, Amtsbezeichnung, Besoldungshöhe und das Datum der Einstellung der Amtsträger sowie der Quellennachweis aufgelistet. Dabei wird der Benutzer über das Personenregister schnell zu jedem Bediensteten geführt. Die beigefügte CD-Rom ergänzt das "Dienerbuch" unter anderem dadurch, dass es die Verzeichnisse in alphabetischer Reihenfolge auflistet. Für die Beschäftigung mit regionaler und lokaler Verwaltung im Alten Reich wird diese Zusammenstellung ein unerlässliches Hilfsmittel darstellen.
Jendorffs Untersuchung fügt sich in eine Reihe neuerer Forschungen über die geistlichen Territorien des Heiligen Römischen Reichs ein und stellt einen weiteren Baustein für die Erforschung der regionalen und lokalen Verwaltung in der Frühen Neuzeit dar. Derjenige, der sich nach der Lektüre eine ausführlichere Thematisierung herrschaftsrechtlicher Fragen wie die nach der Landeshoheit oder dem Verhältnis von Domkapitel und Kurfürst - wie im jüngst von Wolfgang Wüst publizierten Sammelband über die Geistlichen Staaten Oberdeutschlands geschehen - für das Erzstift Mainz gewünscht hätte, sei einfach auf Jendorffs "Reformatio Catholica" verwiesen.
Martin Szameitat