Finn-Einar Eliassen / Jørgen Mikkelsen / Bjørn Poulsen (eds.): Regional Integration in Early Modern Scandinavia, Odense: Odense University Press 2001, 287 S., ISBN 978-87-7838-658-8
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Anders als es der Titel des vorliegenden Bandes vermuten lässt, geht es in den darin enthaltenen Beiträgen vor allem um Wirtschaftsbeziehungen mit einem Schwerpunkt auf den Handelskontakten in beziehungsweise zwischen bestimmten Regionen Nordeuropas. In einigen Beiträgen spielen auch Aspekte politischer Integration sowie kulturelle Unterschiede eine Rolle. Zu bemerken ist ferner, dass es nur in drei der vierzehn Aufsätze um Schweden-Finnland geht, der Akzent also eindeutig auf dem von 1380 bis 1814 in Personalunion verbundenen Dänemark-Norwegen liegt. Diese Einschränkungen vorausgeschickt, stellt die Anthologie einen informativen Zugang zu neueren Ergebnissen der wirtschaftsgeschichtlichen Forschung in Skandinavien dar. Die meist auf umfangreicheren Studien beruhenden Beiträge betreffen vor allem das 17./18. Jahrhundert, doch einige Aufsätze behandeln die Zeit vom 15. Jahrhundert bis zum Vorabend der Industriellen Revolution.
Den lokalen beziehungsweise regionalen Fallbeispielen vorangestellt sind zwei Überblicksartikel. Einen guten Einblick in die intensive lokalgeschichtliche Forschung Norwegens bietet der Aufsatz Harald Winges. Peter Aronsson versucht in seinem Beitrag, historiographiegeschichtliche Aspekte mit einer Systematisierung der Beziehungen zwischen lokaler beziehungsweise regionaler Gemeinschaft und der Zentralgewalt in der schwedischen Geschichte zu verbinden. Er betont zu Recht die Bedeutung des Wachstums staatlicher Macht während der Frühen Neuzeit, berücksichtigt aber kaum, dass dieses Wachstum keineswegs gleichmäßig stattfand und die Durchsetzungskraft der Zentralgewalt vor Ort stets begrenzt blieb. Wie hilfreich es ist, stets von "state" oder "nation state" zu sprechen, Königtum und Dynastie als die zeitgenössischen politischen Denk- und Handlungskategorien aber außer Acht zu lassen, sei dahingestellt.
Die folgenden 12 Studien bieten nicht nur fundierte Informationen zu den jeweils behandelten lokalen und regionalen Verhältnissen. Einige Fragen und Aspekte erscheinen immer wieder und sollen darum als Leitlinien bei der Vorstellung des Bandes dienen.
In den Beiträgen von Mikkelsen, Bitsch Christensen, Holm, Eliassen und Døssland werden die Beziehungen zwischen einer Stadt beziehungsweise mehreren Städten und ihrem Hinterland thematisiert. Atle Døssland beschreibt die kulturelle Kluft zwischen der internationalen Handelsstadt Bergen und dem benachbarten Hordaland im 18./19. Jahrhundert als Grundzug der Beziehungen; dazu mag beigetragen haben, dass die wirtschaftlichen Kontakte Bergens zum Hinterland für die städtischen Führungsschichten eher unbedeutend waren. Die anderen Beiträge zeigen teilweise ein ganz anderes Bild von Stadt-Hinterland-Beziehungen, das von einem jedenfalls in ökonomischer Hinsicht nicht unbedingt hierarchischen Verhältnis geprägt war. Jørgen Mikkelsen stellt für die dänische Hauptinsel Seeland heraus, dass schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die dortigen Bauern nicht auf eine einzige Stadt zum Absatz ihrer Produkte beschränkt blieben, sondern Wettbewerb und freie Marktbeziehungen ihr Handelsverhalten prägte. Søren Bitsch Christensen untersucht den Handel eines Kaufmanns der jütländischen Stadt Randers mit Südnorwegen und Kopenhagen in den 1760/1770er-Jahren und kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es keine einseitige Abhängigkeit der Getreideproduzenten im Hinterland von Randers gab. Ein wiederum anderes Bild wird in Poul Holms Studie zum ebenfalls in Jütland, am Ausgang des Limfjord gelegenen Aalborg erkennbar. Diese Stadt beherrschte auf Grund ihrer Lage den gesamten Handel der Limfjordregion mit anderen Kattegatt-Anrainern vom 16. Jahrhundert bis in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts hinein. Aalborg war nach dem Verlust von Schonen im 17. Jahrhundert die größte dänische Stadt nach Kopenhagen und behauptete ihre regionale Dominanz, bis sich die politischen Rahmenbedingungen (Trennung Norwegens von Dänemark 1814) und naturräumlichen Gegebenheiten (Öffnung des Limfjords nach Westen) änderten. Während die Limfjordregion offenbar relativ unproblematisch über lange Zeit hinweg als das Hinterland Aalborgs bezeichnet werden kann, ist eine solche einfache Zuordnung nicht in allen Fällen möglich. Vom Beispiel der südnorwegischen Stadt Mandal zwischen 1650 und 1850 herkommend, plädiert Finn-Einar Eliassen überzeugend für die Unterscheidung verschiedener Hinterländer: Die wirtschaftlichen, demographischen, sozialen und administrativen Beziehungen Mandals innerhalb der umliegenden Region differierten nach Raum und Zeit erheblich voneinander.
Man sehe es dem im Binnenland gebürtigen Rezensenten nach, dass er auf die simple Tatsache der weniger trennenden als verbindenden Bedeutung des Meeres für Handelskontakte besonders hinweist. Die Beiträge von Bjørn Poulsen und John P. Maarbjerg illustrieren auf eindrucksvolle Weise die Bedeutung der bäuerlichen Handelsfahrt; die Aufsätze von Bitsch Christensen und Holm sind schöne Beispiele für interskandinavische und zum Teil nach Westeuropa und Norddeutschland reichende Seehandelskontakte, die teilweise über Jahrhunderte hinweg bestanden.
Es werden die Möglichkeiten und Grenzen der Anpassungsfähigkeit lokaler Wirtschaftsformen an ökonomische Veränderungen thematisiert. Ragnhild Høgsæt beschreibt, wie nach Missernten und dem Rückgang der Dorschfischerei im norwegischen Süd-Helgeland zwischen 1660 und 1700 die Viehhaltung ausgeweitet wurde und zugleich die Zahl der Höfe begrenzt werden musste. Die Folgen waren demographische Stagnation und ein Rückgang der wirtschaftlichen Außenkontakte dieser Region. In Maarbjergs Beitrag geht es um das südliche Österbotten (Finnland) ein Jahrhundert früher: Die Bauern dieser auf Getreidezufuhr angewiesenen Region waren mit steigenden Getreidepreisen und Missernten konfrontiert. Auch die Produktion von Butter und Häuten ging zurück. Für die österbottnischen Bauern war der Ausweg eine deutliche Steigerung der heimischen Teerproduktion.
Schließlich werden die Grenzen des Zugriffs der frühmodernen Zentralmacht vor Ort in den Beiträgen von Øystein Rian und Peter Henningsen deutlich. Letzterer behandelt Westjütland, eine dünn besiedelte Moor- und Heidelandschaft, die sich von den vergleichsweise dicht besiedelten Ackerbaugebieten der dänischen Inseln deutlich unterschied. Aus der Perspektive der Kopenhagener Aufklärer und Physiokraten gab es hier vieles zu verbessern, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die geringen und gelegentlich verweigerten Steuern. Aber alle Versuche im 18. Jahrhundert, die Einheimischen für die Gewinnung neuen Ackerlandes zu motivieren, scheiterten. Warum? Henningsen meint, dass der Wohlstand der traditionell als arm angesehenen Region nicht oder kaum hinter dem der dänischen Inseln zurückstand, sich aber eben nicht auf Getreideanbau, sondern auf Viehzucht und andere Tätigkeiten gründete. Demnach gab es für die Westjüten keinen Grund, ihre Lebens- und Wirtschaftsweise zu ändern. Erst im 19. Jahrhundert kam es zu einer Erschließung der Moore, Veränderungen der Wirtschaftsformen und einem erheblichen Bevölkerungszuwachs.
Um Zentrum-Peripherie-Beziehungen geht es auch in der vergleichenden Studie Rians zur wirtschaftlichen und politisch-administrativen Entwicklung der südnorwegischen Landschaften Vestfold und Telemark im 17./18. Jahrhundert. Die Grenzen des Zugriff frühmoderner Obrigkeiten sind hier daran erkennbar, dass sich die Bauern der Gebirgsregionen recht erfolgreich gegen den wachsenden Steuerdruck zur Wehr setzten; offensichtlich profitierten sie dabei von den naturräumlichen Voraussetzungen, denn den Bewohnern der zugänglicheren Küstengebiete gelang das nicht im gleichen Umfang. Aber auch Norwegen insgesamt, betont Rian, wehrte sich gegen die Besteuerung durch den dänischen König mit einem gewissen Erfolg. Am Ende des 18. Jahrhunderts zahlte der nördliche Reichsteil der Oldenburgermonarchie nur ein Viertel der im dänischen Kernland erhobenen Steuersumme, obwohl die Wirtschaftskraft annähernd gleich war.
Abschließend sei noch Ole Degns Überblick über die Entwicklung der dänischen Jahrmärkte vom frühen 17. bis späten 19. Jahrhundert erwähnt, ebenso Åke Sandströms Aufsatz über die Veränderung des schwedischen Handels im 16./17. Jahrhundert, welche durch die Einführung eines steuerorientierten Stapelplatzsystems durch die Krone zu Stande kam. An dieser Stelle ist tatsächlich eine erfolgreiche Entfaltung frühmoderner Staatlichkeit erkennbar.
Fazit: Der Band erlaubt einen informativen und inspirierenden Einblick in die auf lokalen und regionalen Untersuchungen fußende wirtschaftsgeschichtliche Forschung Skandinaviens.
Volker Seresse