Rezension über:

Andrzej Kamieński: Polska a Brandenburgia-Prusy w drugiej połowie XVII wieku. Dzieje polityczne. [Polen und Brandenburg-Preußen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Politische Geschichte], Poznañ: Wydawnictwo Poznañskie 2002, 415 S., ISBN 978-83-7177-189-7
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Rezension von:
Hans-Jürgen Bömelburg
Warschau
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Irgang
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Jürgen Bömelburg: Rezension von: Andrzej Kamieński: Polska a Brandenburgia-Prusy w drugiej połowie XVII wieku. Dzieje polityczne. [Polen und Brandenburg-Preußen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Politische Geschichte], Poznañ: Wydawnictwo Poznañskie 2002, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 4 [15.04.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/04/5864.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Andrzej Kamieński: Polska a Brandenburgia-Prusy w drugiej połowie XVII wieku. Dzieje polityczne

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In der Historiographie zur deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte gab es in den letzten Jahrzehnten Zeitabschnitte und Themen, die auf Grund einer Verschiebung des Forschungsinteresses und in der Folge von Archivzerreißungen weniger behandelt wurden. Einen solchen Gegenstand bildeten die Beziehungen zwischen Polen-Litauen und Brandenburg-Preußen im 17. Jahrhundert. Dabei gab es zeitgenössisch für beide Staatsverbände wohl kaum andere Beziehungen, die von einem ähnlichen Gewicht gewesen und von einer solchen Vielfalt von wirtschaftlichen sowie außen- und innenpolitischen Faktoren geprägt worden wären. Schließlich war der Herzog in Preußen bis 1657 Lehnsmann des polnischen Königs, kreuzten sich die wirtschaftlichen wie politischen Interessen an der unteren Weichsel und blieben beide Staatsverbände durch zahlreiche verfassungsrechtliche Bande (Rückfall Preußens im Falle des Aussterbens der Hohenzollern, Lehnsterritorien von Lauenburg und Bütow, Pfandherrschaft Draheim) miteinander verbunden. Die ältere preußisch-deutsche Historiographie widmete diesem Beziehungsgeflecht zahlreiche Studien, wie etwa die Monografien von Max Hein und Max Lekus oder die zahlreichen quellennahen Studien von Ferdinand Hirsch. Zuletzt wurde die Beziehungsgeschichte ausschließlich von polnischen Autoren (Anna Kamińska-Linderska, Bogdan Wachowiak, Dariusz Makiłła) behandelt.

Gegenüber diesen Studien baut Andrzej Kamieńskis Monografie, die als Habilitationsschrift an der Universität Posen angenommen wurde, auf einer erheblich umfangreicheren Quellengrundlage auf. Ausgewertet wurden - wohl zum ersten Mal seit den 1930er-Jahren in dieser Breite - die umfangreichen Aktenbestände des Geheimen Staatsarchivs in Berlin sowie die zahlreichen verstreuten in polnischen Bibliotheken und Archiven aufbewahrten Bestände. Diese bisher für die politische Beziehungsgeschichte nicht erreichte Quellenbasis macht die Studie zu einem Referenzwerk für die weitere Forschung.

Als Ausgangspunkt wählt Kamieński die Verträge von Wehlau und Bromberg (1657), die Arbeit endet mit dem Jahr 1696. Innerhalb dieser 40 Jahre liegt ein deutlicher Schwerpunkt auf der Regierungszeit Jan Sobieskis (1673-1696), während der Zeitraum 1657-73 erheblich kursorischer (22-87) behandelt wird. In diesem ersten Abschnitt stehen bilaterale Fragen wie die Umsetzung der Verträge von 1657, die Übernahme von Draheim und deren (kritisches) Echo in der polnischen Öffentlichkeit im Vordergrund.

Für die Jahre 1673-1696 wird die brandenburg-preußisch-polnische Beziehungsgeschichte in den breiteren europäischen Kontext der französisch-habsburgischen Auseinandersetzungen in West- und Mitteleuropa eingebettet, wobei Kamieński hierzu auch habsburgische Archivalien einsah. Die in diesem Zeitraum wiederholt gespannten Beziehungen zwischen beiden Staatsverbänden erscheinen dabei in hohem Maße als Funktion des übergeordneten französisch-habsburgischen Konflikts, wobei eine kurfürstliche Annäherung an die kaiserliche Politik wiederholt Pläne einer militärischen Intervention auf polnischer Seite (1675-79, 1688/89) reifen ließ. Der brandenburgischen Diplomatie, die in Polen-Litauen mit den Mitteln der Kabinettsdiplomatie des 17. Jahrhunderts (Einmalzahlungen und Jahresgelder für brandenburgische Parteigänger) eine probrandenburgische Fraktion schuf und dirigierte, gelang es mehrfach, eine polnische Militärintervention durch Nutzung diplomatischer Informationen, die Förderung der innerpolnischen Opposition und eine Blockade der öffentlichen Meinungsbildung ("Reißen" der Sejm- und Landtagsverhandlungen) zu verhindern.

Die Darstellungsebenen Kamieńskis bilden eine Beschreibung der vielfältigen Positionen der adligen Öffentlichkeit Polen-Litauens gegenüber dem westlichen Nachbarn und eine Analyse der diplomatischen Schritte beider Seiten. Die polnischen Eliten blickten auf Brandenburg-Preußen mehrheitlich kritisch, die Gründe hierfür sieht der Autor im Widerhall der repressiven kurfürstlichen Politik im Herzogtum Preußen und in einer kritischen Einschätzung der Methoden brandenburgischer Politik. Schließlich erblickte eine nachhinkende Perzeption der polnischen Eliten im Kurfürsten weiterhin den preußischen Lehnsmann und in dessen Staat einen europäischen Partner minderen Gewichts, wofür Kamieński noch Beispiele aus den 1690er-Jahren anführt.

Anhand einer Analyse der außenpolitischen Schritte beider Seiten arbeitet der Autor heraus, dass die brandenburgische Seite sich nach der Ausschaltung der preußischen Opposition in den 1660er-Jahren in einer deutlich günstigeren Situation befand, da einer einheitlichen inneren Linie eine Vielzahl von dissonanten polnischen Akteuren gegenüberstand. Zudem verfügte die brandenburgische Diplomatie über ausgezeichnet informierte und mit inneren Kenntnissen des Landes versehene Residenten vor Ort (Johann und Johann Dietrich von Hoverbeck, Joachim Scultetus), während die polnische Diplomatie lediglich einmalige Delegationen entsandte, an deren Spitze zudem infolge der nur dort vorhandenen Landes- und Sprachkenntnisse protestantische polnische Adlige oder großpolnische Parteigänger der Kurfürsten standen, die ihre Mission mit zahlreichen Beweisen einer inneren Ambivalenz erfüllten (Bogusław Radziwiłł, Szczęsny Morsztyn, Wojciech Konstanty Breza).

Angesichts dieser detailgenauen Darstellungsweise erübrigen sich beinahe kritische Anmerkungen und Desideratalisten. Nicht ganz einsichtig ist, warum dem litauischen Teil des zusammengesetzten Staatsverbandes im Titel der Monografie und in den Kapitelüberschriften (nicht jedoch in den Details der Darstellung!) so wenig Raum gegeben wird. Der zeitgenössisch selbstständigen brandenburg-preußischen Politik gegenüber Litauen wie der Hervorhebung der Familien der Radziwiłł, Sapieha und Pac als Ansprechpartner hätte in manchen Passagen mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden können. Insbesondere in den Bewertungen diskutabel erscheinen Abschnitte, in denen gegenüber der Praxis der frühneuzeitlichen Arcanapolitik und der Käuflichkeit beinahe aller Würdenträger von "Verrat", "Verrätern" und "Agenten" (60, 83, 138-139) gesprochen wird. Gegenüber solchen in komplexen konfessionell-politischen Strukturen agierenden Personen wie Bogusław Radziwiłł oder Joachim Rüdiger von der Goltz sind solche Etiketten wenig aussagekräftig, zumal sie streng genommen auch Jan Sobieski und den gesamten zeitgenössischen Eliten aufgeklebt werden könnten. Zu diskutieren wäre schließlich, ob nicht teilweise die Rolle des konfessionellen Faktors im Handeln der zeitgenössischen Akteure zu sehr zurücktritt, schließlich standen sich hier die katholische und die reformierte Schutzmacht Mitteleuropas unmittelbar gegenüber.

Der materialreichen Darstellung ist zu wünschen, dass sie von der mit der brandenburg-preußischen Geschichte in Deutschland beschäftigten Frühneuzeitforschung zur Kenntnis genommen wird. Ohne eine Berücksichtigung der Vielzahl neuer Fakten und Details, die Kamieński zu Tage gefördert hat, wird in Zukunft keine angemessene Darstellung der brandenburg-preußischen Außenpolitik insbesondere für den Zeitraum 1673-1696 möglich sein. An dem Grad der Rezeption dieser Arbeit und weiterer polnischer Darstellungen wird sich in Zukunft zeigen, ob der deutschen Geschichtsschreibung zu Brandenburg-Preußen der Schritt zu einer europäischen Perspektive gelingt.

Hans-Jürgen Bömelburg