Christian Römmer: Entschädigung Erster Klasse? Die Wiedergutmachung im öffentlichen Dienst in Hamburg nach dem Zweiten Weltkrieg (= Hamburger Zeitspuren; 1), München / Hamburg: Dölling und Galitz 2003, 98 S., ISBN 978-3-935549-49-3, EUR 8,00
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Constantin Goschler: Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945, Göttingen: Wallstein 2005
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Die "Wiedergutmachung" nationalsozialistischen Unrechts nach 1945 ist sowohl in der Politik als auch in der Wissenschaft ein aktuelles Thema. Widmeten sich die ersten Studien zunächst dem allgemeinen Regelwerk zur Wiedergutmachung samt Entstehung und wirtschaftlichen Konsequenzen, so nehmen jüngere Studien stärker die Praxis der Rückerstattung und Entschädigung in den Blick. Die Wiedergutmachung im öffentlichen Dienst ist bisher allerdings nur am Rande gestreift worden. Christian Römmer beschreibt in seiner Studie diesen Sonderfall. Exemplarisch untersucht er dabei die Verhältnisse in der Stadt Hamburg. Die Bestimmungen für den öffentlichen Dienst nehmen insofern eine Sonderstellung ein, als dass eine Behörde Schäden ausglich, die sie ihren Beschäftigten zwischen 1933 und 1945 zumeist selbst zugefügt hatte. Bis Mitte der 1960er-Jahre bearbeitete das Hamburger Personalamt etwa 3.000 Anträge auf Wiedergutmachung für Angehörige des öffentlichen Dienstes. Der Studie liegt eine Stichprobe von knapp zehn Prozent dieser Einzelfälle zu Grunde.
Im ersten Kapitel wird die Palette der Verfolgungsmaßnahmen ausgebreitet, denen Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung in den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft ausgesetzt waren. Der größte Teil der Antragsteller ist durch Entlassung oder zwangsweiser Versetzung in den Ruhestand geschädigt worden. Daneben hatten Verwaltungsangehörige bei unerwünschtem Verhalten das Ausbleiben von Beförderungen oder andere Benachteiligungen in Kauf zu nehmen. Von den etwa 42.800 im Jahre 1933 in Hamburg im öffentlichen Dienst tätigen Beamten, Angestellten und Arbeitern verloren allein 2.100 (knapp 5 Prozent des Personalbestandes) ihre Anstellung nach dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums". Römmer unterstreicht, dass neben der öffentlichkeitswirksamen Entlassung leitender Beamten auch als politisch unzuverlässig geltende Müllauflader, Friedhofsgärtner oder Krankenschwestern von Ausgrenzungs- und Verfolgungsmaßnahmen betroffen waren. Darauf aufbauend wird im zweiten Kapitel die Wiedergutmachungspraxis in den ersten Nachkriegsjahren bis zum Erlass des Bundeswiedergutmachungsgesetzes im Jahre 1951 dargelegt. Besonders diese frühe Phase der Wiedergutmachung ist bisher wenig beachtet worden. Bis zum In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes existierten in Hamburg keine verbindlichen gesetzlichen Grundlagen, die die Wiedergutmachung für Angehörige des öffentlichen Dienstes regelten. Dem Handeln des Hamburger Personalamtes lagen interne Mitteilungen oder einfache Anordnungen des Senats zu Grunde. Das Fehlen einer Rechtsgrundlage räumte dem Amt bzw. den Sachbearbeitern erheblichen Ermessensspielraum ein, der - so Römmer - "nur selten zum Nachteil der Antragsteller genutzt wurde" (36). Mit dem In-Kraft-Treten des "Bundesgesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes" verfügte das Personalamt erstmals über eine rechtlich fixierte Entscheidungs- und Handlungsgrundlage. Gleichzeitig eröffnete das Gesetz den Antragstellern die Möglichkeit, normativ fundierte Rechtsansprüche auf Wiedergutmachungsmaßnahmen abzuleiten.
Im dritten Kapitel wird die Genese des Bundesgesetzes nachgezeichnet, wobei auf Parallelentwicklungen und Interdependenzen zum zeitgleich verabschiedeten Bundesgesetz zu Artikel 131 des Grundgesetzes Bezug genommen wird. Insbesondere das 131er-Gesetz ermöglichte zahlreichen, im Rahmen der Entnazifizierung als politisch belastet entlassenen, Beschäftigten die Rückkehr in ihre früheren Ämter. Beide Gesetze unterstreichen die Sonderstellung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Nach der Erläuterung zentraler Bestimmungen des Wiedergutmachungsgesetzes folgen im vierten Kapitel Ausführungen zur Praxis, das heißt zur Anwendung dieser Norm. Trotz neuer bundeseinheitlicher Regelung verfügte das Personalamt weiterhin über erhebliche Ermessensspielräume, wie die zahlreichen Einzelfallschilderungen zu erkennen geben. In den ersten Jahren zog sich das Personalamt entgegen der Intention der Wiedergutmachung auf eine enge Auslegung des Gesetzes zurück. Als Gründe führt Römmer Unklarheiten im Gesetzestext und zeitgebundene gesellschaftliche Einstellungen auf. Hervorgehoben werden auch die Schwierigkeiten der Betroffenen, den Nachweis einer Schädigung aus politischen, rassistischen oder religiösen Motiven zu erbringen. Gleichzeitig war dem Phänomen des "Konjunkturrittertums" zu begegnen, da auch nicht antragsberechtigte Personen in den Genuss einer Vorzugsbehandlung kommen wollten. Letztlich, so bilanziert Römmer, entschied das Personalamt "in einigen Fällen besonders großzügig, in den meisten fair und angemessen und in anderen wieder sehr engherzig" (72). Regelmäßigkeiten beziehungsweise Muster in der unterschiedlichen Behandlung ließen sich allerdings nicht konstatieren. Unterschiedliche Wiedergutmachungsentscheidungen konnten weder auf bestimmte Antragstellergruppen noch auf einzelne Sachbearbeiter zurückgeführt werden. Lediglich die Fürsprache Prominenter schien einen Antrag zu begünstigen und ein schlechter Ruf des Antragstellers in der Verwaltung wirkte sich nachteilig aus.
Auf die im Titel der Studie formulierte Frage "Entschädigung Erster Klasse?" findet Römmer eine eindeutige Antwort. Die Durchführung der Wiedergutmachung war "geprägt von der privilegierten Stellung des öffentlichen Dienstes gegenüber allen anderen Verfolgungsgruppen." (72) Gab es für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes frühzeitig verbindliche Entschädigungsmaßnahmen, so konnten andere "von einer so schnellen Regelung ihrer Ansprüche und einem derart großzügigen Ausgleich der erlittenen Schäden nur träumen" (74). Hierüber können auch vereinzelte Beschwerden Betroffener hinsichtlich einer vermeintlichen Schlechterstellung gegenüber den so genannten 131ern nicht hinwegtäuschen. Die Privilegierung des öffentlichen Dienstes wird auf pragmatische und strukturelle Gründe zurückgeführt, wie den Personalmangel in den ersten Nachkriegsjahren oder die Sonderstellung der im öffentlichen Dienst Tätigen, insbesondere der Beamten. Auch bestand im öffentlichen Dienst anders als in allgemeinen Entschädigungs- und Rückerstattungsverfahren am ehesten die Möglichkeit, Schäden auszugleichen. War auf körperliche und seelische Leiden nur schwer eine finanzielle Antwort zu finden, so konnten durch Wiedereinstellungen und nachgeholte Beförderungen beruflich und finanziell erlittene Schäden nahezu ausgeglichen werden. Dies war ein entscheidender qualitativer Unterschied zur allgemeinen Wiedergutmachung mit der dort vorherrschenden "prinzipiellen Inkongruenz von Verbrechensqualität und Wiedergutmachung" (Constantin Goschler).
Dass wir nun erheblich mehr zur Wiedergutmachungspraxis, vor allem auch zur Frühphase, wissen, ist eines der Verdienste des Autors. Allerdings tritt die systematische Analyse etwas hinter die Schilderung interessanter Einzelfälle und die detaillierte Auflistung des Regelungsbereichs des Bundeswiedergutmachungsgesetzes zurück. Dies spiegelt sich auch in dem unübersichtlichen Inhaltsverzeichnis mit irritierenden Zitat-Überschriften (siehe Kapitel 4) wider. Alles in allem lässt sich die Studie angesichts des überschaubaren Seitenumfanges jedoch mit den Worten "klein aber fein" charakterisieren. Für Hamburg liegt eine sehr detailreiche, lesenswerte Untersuchung zur Wiedergutmachungspraxis innerhalb des öffentlichen Dienstes vor.
Sabine Mecking