Jutta Held / Martin Papenbrock (Hgg.): Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus (= Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft; Bd. 5 / 2003), Göttingen: V&R unipress 2003, 248 S., ISBN 978-3-89971-118-9, EUR 22,50
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1988 erschien die von Heinrich Dilly verfasste Studie "Deutsche Kunsthistoriker 1933-1945". Dilly war einer der ersten (west)deutschen Kunsthistoriker, der sich wissenschaftlich mit der jüngeren Vergangenheit seines Faches auseinander setzte und dabei auf etwas fast Vergessenes hinwies: dass nämlich die institutionelle Kunstgeschichte in Deutschland auch nach der Emigration ihrer herausragenden Vertreter weiter existiert hat.
Die Studie war ein erster Versuch, der noch auf spärlichem Material gründen musste. Dilly untersuchte Brüche und Kontinuitäten im Fachdiskurs seit den 20er-Jahren, als die Kunstgeschichte den Versuch unternahm, sich als ausgereifte Disziplin zu verankern und ihre Positionen, Felder und Ziele neu zu bestimmen. Dieser Diskurs wurde nach 1933 fortgeführt, doch nun auf der Suche nach der "Stellung der deutschen Kunstwissenschaft in der Volksgemeinschaft".
Die Wirkung von Dillys Studie blieb eher begrenzt - vielleicht weil manche Kunsthistoriker wenig Interesse hatten, sich mit dieser dunklen Seite (die mitunter an den eigenen Doktorvätern namhaft gemacht werden konnte) auseinander zu setzen, vielleicht weil das wissenschaftsgeschichtliche Interesse progressiver Kreise verständlicherweise mehr auf die Emigranten und die mit ihnen verbundene ikonologische Methode fokussiert war.
In dem hier zu besprechenden Buch erfährt Dillys Pionierarbeit leider nur ganz nebensächlich Erwähnung. Warum dem so ist, bleibt offen, doch sollte aus diesem Versäumnis keine grundsätzliche Kritik an dem von Jutta Held und Martin Papenbrock herausgegebenen verdienstvollen Sammelband abgeleitet werden.
Held und Papenbrock legen - und verhehlen das nicht - keine abschließende, umfassende Darstellung vor. Nach wie vor ist nicht zu übersehen, dass die disziplingeschichtliche Forschung immer noch nicht sehr weit über das vor anderthalb Jahrzehnten von Dilly festgestellte Stadium des (meist biografischen) Sammelns hinaus gekommen ist. Forschung, Reflexion und Diskussion über die jüngere Geschichte des Faches sind - freundlich gesagt - ausbaufähig und lassen sich nicht am Stand anderer Fächer wie der Geschichte messen. Immer noch steht, wie Jutta Held betont, mühselige Grundlagenforschung auf der Tagesordnung.
Immerhin ist seit wenigen Jahren Bewegung in die Aufarbeitung der eigenen Geschichte gekommen. Im Zusammenhang mit der Provenienzrecherche nach geraubtem jüdischem Kunstbesitz beginnen deutsche Museen, sich intensiver mit ihrer Geschichte und Rolle im Nationalsozialismus auseinander zu setzen. An einigen kunsthistorischen Instituten haben sich - teilweise auf studentische Initiative hin - Arbeitsgruppen gebildet, die die Institutsgeschichte von 1933 bis 1945 erforschen.
Damit im Zusammenhang steht die vorliegende Publikation, die - außer im kurzen einleitenden Essay von Jutta Held - auf einzelne Personen oder Institute blickt. Repräsentativ ist die Auswahl der Beiträge nicht unbedingt, die Herausgeber entschuldigen das nachvollziehbar mit dem Fehlen geeigneter Autorinnen und Autoren. So vermisst man - um zwei Desiderate zu nennen - Beiträge zu Hubert Schrade und Alfred Stange, die zu den führenden nationalsozialistischen Kunsthistorikern gehörten.
Wilhelm Pinder dagegen, der neben Stange einen Beitrag zur Festschrift der deutschen Wissenschaft anlässlich von Hitlers 50. Geburtstag 1939 verfassen durfte, wird von Jutta Held einer genauen Betrachtung unterzogen - ein weiterer (aber noch keineswegs redundanter) Beitrag zum Leben und Wirken des Berliner Ordinarius, den bereits 1985 Marlite Halbertsma zum Gegenstand ihrer Dissertation gemacht hatte.
Jutta Held widmet Pinder einen dichten Beitrag, der das umfangreiche Material souverän analytisch aufbereitet. Zunächst skizziert sie Pinders nicht ganz unangefochtene Stellung im NS-Staat: nach eigenen Angaben gehörte er nie der Partei an und hat sich 1933 für Kollegen jüdischer Herkunft eingesetzt (so kann man heute noch von älteren Kollegen ein trotziges "Aber er war doch gar kein Nazi" entgegen geschleudert bekommen, wenn man es wagt, Pinders Verstrickung anzusprechen). Doch er war Fördermitglied der SS und hat wie viele deutschnationale Intellektuelle ganz im Sinne des NS-Systems funktioniert.
Jutta Held analysiert die Forschungs- und Lehrtätigkeit Pinders, zunächst bis 1935 in München, dann auf dem "Thron" der deutschen Kunstgeschichte in Berlin. Dabei vergleicht sie in einem sinnvollen methodischen Ansatz Pinders Wirken mit dem seines Münchner Nachfolgers Hans Jantzen. Auch der Mittelalter-Spezialist muss zu den profilierten Fachvertretern im 12-jährigen Reich gezählt werden, obwohl er sich nicht so stark politisch exponiert hat. Held untersucht Pinders und Jantzens wissenschaftliche Produktion hinsichtlich ihrer möglichen Zuordnung zu damals relevanten Kategorien wie Nation, Volk und Raum. Keiner von beiden, so ihr Schluss, betrieb eine im engeren Sinne völkisch-rassistische, sondern eher eine deutsch-nationalistische Kunstgeschichte.
Eine große Rolle spielte dabei die so genannte Raumforschung, ein Paradebeispiel für die Ambivalenz von Modernität und Reaktion im NS-Staat. Pinder und Jantzen nutzten einen geografisch-kulturellen Raumbegriff, um sich ein gewisses Maß an wissenschaftlicher Unabhängigkeit zu erhalten, doch letztlich reihten sie sich in die (gedanklich vorweggenommene) Besetzung der leeren Räume des Ostens ein. Pinders und Jantzens Ansätze waren partiell modern, beispielsweise in ihrer Interdisziplinarität und Grenzüberschreitung - und genau diese Modernität passte, wie Held zeigt, zu den Zielen des Nationalsozialismus.
Hans Aurenhammer nimmt einen weiteren namhaften Kunsthistoriker unter die Lupe, der sich durch seine Parteinahme politisch und moralisch schuldig gemacht hat, Hans Sedlmayr in seiner Wiener Zeit (1938-45). Sedlmayrs in der Nachkriegszeit zu bildungsbürgerlichen Bestsellern avancierte Bücher über die "Entstehung der Kathedrale" oder den "Verlust der Mitte" waren in ihrer Argumentation schon lange vor 1945 angelegt und zeugen von einer relativ ungebrochenen Kontinuität in seinem wissenschaftliche und ideologischen Gebäude. Nur eines leugnete Sedlmayr nach 1945: seine Projektionen auf den Faschismus. Am Beispiel Sedlmayrs wird auch deutlich, dass man sich kaum sinnvoll mit der Kunstgeschichte während des Nationalsozialismus auseinander setzen kann, ohne das Wirken ihrer Protagonisten in der Nachkriegszeit kritisch zu verfolgen.
Adam Labuda stellt in seiner Unbekanntes zu Tage fördernden Untersuchung einen Modellfall nationalsozialistischer Kulturpolitik vor, das kunstgeschichtliche Institut der Reichsuniversität Posen im "Reichsgau Wartheland". Die 1941 eröffnete Universität gehörte zum aggressiv-imperialistischen Konzept, diesen "Reichsgau" als nationalsozialistisches Musterland und als Basis für die weitere Ostexpansion aufzubauen. So hatte die dortige Kunstgeschichte, vertreten durch Karl-Heinz Clasen und Otto Kletzl, exphizit politische Aufgaben, sie sollte sich der Erforschung des Warthegaus und des baltischen Raumes widmen und dabei die Konditionen einer so genannten Grenzlandkunst ausloten. Sie war dort genauso in die Massenindoktrination involviert wie in das NS-Kunstraubsystem.
Neben diesen hoch konzentrierten Untersuchungen zu den Brennpunkten der Kunstgeschichte versammelt der Band auch Beiträge, die man als Bestandsaufnahmen aus der Provinz charakterisieren könnte. Sie gewinnen ihre Bedeutung nicht zuletzt daraus, dass sie demonstrieren, wie nahe Anpassung und Verweigerung - menschlich und wissenschaftlich - beieinander lagen. Dies belegt beispielsweise die Rolle des Tübinger Professors Georg Weise, die Nicola Hille mit ausführlichen Zitaten dokumentiert. Erst recht zeigt sich diese Ambivalenz in der Person des Freiburger Ordinarius Kurt Bauch, mit dem sich Martin Papenbrock differenziert auseinander setzt und dabei auch die Frage der Kontinuität über 1945 hinaus thematisiert.
Sabine Arend schließlich widmet sich Albert Erich Brinckmann, der 1935 von Berlin nach Frankfurt am Main wechseln musste und somit - obschon Parteimitglied - Opfer einer Rochade zu Gunsten Pinders wurde. Die Biografie des überzeugten Europäers Brinckmann, der nach 1945 nicht mehr auf seinen Lehrstuhl zurückkehren durfte, zeigt, dass Schwarzweißmalerei nicht adäquat ist. Sabine Arend bringt in einem persönlichen Nachwort Skrupel zum Ausdruck, Brinckmann mit ihrer Einschätzung als systemtauglichen und -nützlichen "Außenminister" der deutschen Kunstwissenschaft Unrecht zu tun. Das ist nicht als Relativierung gemeint und erst recht nicht als Missachtung derjenigen, die weit schlimmeres als die Versetzung von Berlin nach Frankfurt erdulden mussten. Meist verkneift man sich derartige persönliche Bemerkungen aus Scheu vor Missverständnissen oder aus einem engen Verständnis von wissenschaftlicher Objektivität - um so wichtiger ist der Anstoß, subjektive Faktoren und Empfindungen des Forschers zu reflektieren.
Gilbert Lupfer