Jutta Held (Hg.): Kirchliche Kultur und Kunst des 17. Jahrhundert in Spanien (= Ars Iberica et Americana; Bd. 9), Frankfurt/M: Vervuert 2004, 368 S., 106 Abb., ISBN 978-3-86527-133-4, EUR 45,00
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Betrachtet man die Epoche des Siglo de Oro, stehen in Spanien wirtschaftlicher Verfall und kulturelle Höchstleistungen in deutlichem Gegensatz zueinander. Die Regentschaften von Philipp III. und Philipp IV. fielen sowohl mit großen innen- als auch außenpolitischen Problemen zusammen, geprägt von den Günstlingsherrschaften des Herzogs von Lerma und des Conde-Duque Olivares sowie der spanischen Teilnahme am Dreißigjährigen Krieg, die Europa in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in gewaltsame Konflikte stürzten.
Dem gegenüber stehen die Werke bedeutender Künstler wie El Greco, Zurbarán, Pacheco, Ribera und Murillo, die von einem produktiven kulturellen Höhepunkt der Zeit zeugen. Werke dieser Maler sind u. a. Gegenstand der Betrachtungen des vorliegenden Bandes und lassen erkennen, dass sie einem Vergleich mit italienischen Künstlern, auf denen noch immer das Hauptaugenmerk an den deutschen Universitäten liegt, in malerischer Qualität und theologischer Aussagekraft nicht nachstehen.
Der spanischen Kirchenmalerei des 17. Jahrhunderts ist der neunte Band der Reihe Ars Iberica et Americana gewidmet, der aus der Jahrestagung der Carl Justi-Vereinigung 2001 in Osnabrück hervorgegangen ist. Die dreizehn Beiträge behandeln einen besonders vielseitigen Teilaspekt der spanischen Kunstgeschichte und fügen dem bisherigen Forschungsstand wesentliche Erkenntnisse hinzu. Dieser Band schließt in würdiger Tradition an die Forschungen Carl Justis zum Jahrhundert Diego Valázquez' an, dem sich jüngst auch Martin Warnke widmete. [1]
Die Herausgeberin Jutta Held hat den Band in drei Themenkomplexe gegliedert: Bildende Künste und Feste der Heiligen, Neue Bildsprachen und Semantiken sowie Kirchliche Bilderpolitik: Die Orden und Bruderschaften.
Zum ersten Themenbereich der Heiligenfeste trägt David Sánchez Cano mit einem interessanten Beitrag bei. Er stellt anhand eines Vergleichs von drei öffentlich veranstalteten religiösen Festen und dem Verlauf der jeweiligen Prozessionen im Jahr 1669 in Madrid heraus, welch entscheidende Rolle dabei der Einbeziehung des öffentlichen Stadtraums zukam. Sein Vergleich der Prozessionsordnungen, die die gesellschaftliche Hierarchie der Feiern abbildeten, zeigt anschaulich, dass die Heiligenfeste den ausrichtenden Institutionen, die dabei miteinander um öffentliche Aufmerksamkeit konkurrierten, als bedeutender Handlungsort ihrer Repräsentation dienten.
Der in Spanien besonders verehrten Unbefleckten Empfängnis Marias widmen sich die Beiträge von María Jesús Sanz und Gisela Noehles-Doerk. Erstere beschäftigt sich mit der figurativen Darstellung der Inmaculada und ihrer sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts verfestigenden Ikonografie. Als Beispiel dient Sanz das Gemälde des Sevillaner Malers Juan de Roelas, der die große Prozession zu Ehren der Jungfrau abbildete, die 1615 in Sevilla stattfand und die inbrünstige Volksfrömmigkeit zum Ausdruck brachte. Noehles-Doerk führt ergänzend als Gründe für die späte Erhebung zum Dogma an, dass die Inquisition, trotz der weiten Verbreitung des Brauchs, die Anbetung von Inmaculada-Darstellungen mit der als schöne Jungfrau gezeigten Maria nicht nur als Meditation und Andacht betrachtete. Man sah in den Bildern stattdessen "das Risiko eines ambivalenten - sakral-erotischen - Liebesgenusses", das gerade einer Anerkennung durch den Papst lange entgegenstand (158). Beide Autorinnen verweisen darauf, dass die spanischen Künstler trotz der teils vehementen Widerstände aus Rom und von Seiten des Dominikanerordens auf die spirituellen Bedürfnisse der Bevölkerung reagierten und dies, dem jeweiligen Anlass entsprechend, in ihren Gemälden umsetzten.
Einer zunehmenden Beliebtheit - ausgelöst durch die katholische Reformbewegung nach dem Tridentinischen Konzil - erfreuten sich in Spanien ebenfalls Eucharistiedarstellungen, wie Alfonso Rodríguez G. de Ceballos anhand einiger überzeugender Beispiele belegt. Diese wurden in Sakramentsbruderschaften besonders verehrt. Grundlage dieser Darstellungen waren Texte des Alten und Neuen Testaments, in denen man Präfigurationen der Eucharistie zu erkennen glaubte. Oft diente dabei ebenfalls die Schrift des Mercedarierpaters Melchior Prieto Psalmodia Eucharistica von 1622 als Quelle.
Mittels umfangreicher Bildprogramme waren es in Spanien gerade die Orden und Bruderschaften, die den Gläubigen neue Glaubensinhalte zu vermitteln suchten. Dabei übernahmen sie die Rolle aktiver Ordnungsträger, die einen maßgeblichen Beitrag leisteten, das vorherrschende Wertesystem zu konsolidieren (357).
Dies veranschaulichen die Beiträge von Jutta Held, die sich mit zwei Gemäldezyklen von Pacheco und Zurbarán für die Mercedarier in Sevilla beschäftigt, von Margit Kern und Juan Miguel González Gómez, die Aufträge der Dominikaner in Toledo und Sevilla untersuchen, von Gabriele Saure, die sich der Ausstattung des Hochaltars der Casa Profesa der Jesuiten in Sevilla widmet, sowie die Beiträge von José Fernández López und Petra Rotthoff, die materialreich Architektur und Ausstattung der Hermandad de los Venerables in Sevilla analysieren. Sie alle machen deutlich, dass man sich ergänzend erst kurz zuvor kanonisierter Heiliger bediente, da man einerseits der Volksfrömmigkeit entsprechen, anderseits jedoch gleichzeitig modernisierte Glaubensmuster anbieten wollte.
Eine Folge dieser Vorgehensweise war es, dass neue bildnerische Mittel wie Visionen vielfältig hervorgebracht wurden. Am Beispiel El Grecos thematisiert Valeska von Rosen hierzu, wie es dem Maler gelang, Übersinnliches sichtbar zu machen, indem er, den Ansprüchen des Auftrages und der darzustellenden Heiligenvita entsprechend, Visionen einsetzte und verschiedene Bildlösungen entwickelte. Durch den dabei jeweils veränderten Pinselduktus erreichte El Greco eine neue "Wirkmächtigkeit der Darstellung" (65), die sich adäquat um die emotionale Ansprache des Betrachters bemühte. [2]
Ähnliche Beobachtungen führen Justus Lange im Fall von Jusepe Riberas Aufträgen für die Stiftskirche in Osuna zu dem überzeugenden Schluss, der in Neapel für den Herzog von Osuna tätige Künstler habe bei den in ihrer Malweise unterschiedlichen, aber zeitgleich entstandenen Werken jenes Stilmittel des veränderten Pinselduktus ebenfalls bewusst eingesetzt, um den abgebildeten Heiligen, den Aufgaben ihres jeweiligen Martyriums entsprechend, einen individuellen Ausdruck zu verleihen.
Einen weiteren, wichtigen Aspekt spanischer Kunst des 17. Jahrhunderts behandelt Michael Scholz-Hänsel, der das Bildprogramm der vom Königspaar gestifteten Kirche der Capuchinos de la Paciencia in Madrid im Spannungsfeld der Begriffe Konfessionalisierung und Disziplinierung betrachtet und dabei die politische Qualität dieser "konfessionellen Propagandabilder" (288) betont. Er zeigt, dass nach dem Sturz des valido Olivares 1643 eine bildliche Machtdemonstration des Königshauses dazu eingesetzt wurde, die Kunst durch Staat und Kirche in neuer Form zu funktionalisieren und im Fall der Capuchinos die Dimension des Übersinnlichen als alleinige Legitimation für die Errichtung des Baus anzuführen.
Die Autoren, ausgehend von der Interpretation der künstlerischen Repräsentation, nehmen sich beispielhaft einzelne Modifikationen der nachtridentinischen Kirche in Spanien vor. Dabei ist der zentrale Aspekt der Analysen der ursprüngliche Aufbewahrungsort der Kunstwerke, der neue Perspektiven der Interpretation bietet, indem sowohl überregionale als auch lokale Traditionen berücksichtigt werden. Darüber hinaus greifen die Beiträge die Frage auf, wie im Verlauf des Jahrhunderts abstrakte theologische Vorstellungen von Künstlern in Spanien in bildnerische Formen umgesetzt wurden und dadurch der bestehenden Auffassung von Religiosität ein neuer Rahmen geschaffen wurde, der unter Berücksichtigung der Ansprüche des jeweiligen Auftraggebers sehr unterschiedlich ausfallen konnte.
Auffällig ist hierbei, dass man zu einer eigenen spanischen Ausprägung nachtridentinischer Ikonografie gelangte, die auf die Heiligenverehrung fokussiert war. Die Jungfrau Maria und Ordensheilige, aber auch Nationalheilige wie der Hl. Ferdinand kamen den spirituellen Bedürfnissen der Gläubigen nach subjektivem Erleben ihrer Frömmigkeit entgegen.
Der Tagungsband vereint eine Auswahl sehr heterogener Beiträge, die mehrfach übergreifende Aspekte behandeln und daher nicht so klar voneinander zu trennen sind, wie es mit den drei Abschnitten vorgenommen wurde. In ihrer Gesamtheit zeigen sie jedoch sehr gewinnbringend, dass die Malerei des Siglo de Oro in Spanien noch vorwiegend einem sakralen Kontext verhaftet war, während sich Maler in anderen europäischen Ländern bereits weiteren Themenfeldern wie Antiken- oder Genreszenen gewidmet hatten und laden dazu ein, sich noch eingehender mit dieser Epoche zu beschäftigen.
Anmerkungen:
[1] Carl Justi: Diego Velazquez und sein Jahrhundert, 2 Bde., Bonn 1888; Martin Warnke: "Velázquez". Form & Reform, Köln 2005. Bereits Anfang der 1990er-Jahre hatten Sylvaine Hänsel und Henrik Karge zusammen mit Autoren aus dem Umfeld der Carl Justi-Vereinigung eine epochenübergreifende spanische Kunstgeschichte verfasst: Sylvain Hänsel / Henrik Karge (Hg.): Spanische Kunstgeschichte: eine Einführung, 2 Bde., Berlin 1992.
[2] Zu Visionen in der spanischen Malerei des Siglo de Oro s. Victor I. Stoichita, Das mystische Auge. Vision und Malerei im Spanien des Goldenen Zeitalters, München 1997.
Katrin Zimmermann