Peter J. Rhodes: Ancient Democracy and Modern Ideology, London: Duckworth Publishers 2003, 146 S., ISBN 978-0-7156-3220-8, GBP 10,99
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Peter J. Rhodes gehört ohne Zweifel zu den produktivsten und einflussreichsten Forschern auf dem Gebiet der griechischen, vor allem athenischen Geschichte im Zeitalter der Polis. Seine Studie über den Rat der 500 von 1972, der in jeder Hinsicht gewichtige Kommentar zur 'Athenaiôn Politeia' (1981) und eine Edition inschriftlich überlieferter Volksbeschlüsse (1991, zusammen mit D. M. Lewis) sind seit langem Standardwerke institutionenorientierter Forschung. In die Breite wirkt Rhodes durch einen einführenden Überblick zum Ersten Attischen Seebund (1985), vor allem aber auch durch die zahlreichen Lexikonartikel zum griechischen Staatsleben im 'Neuen Pauly' und im 'Oxford Classical Dictionary'.
Im Rahmen einer neuen Reihe "of polemical, revisionist or exploratory essays on central themes of ancient history, literature and thought, and their reception in the modern world" (Umschlagtext) sucht Rhodes nun darzutun, dass seine eher traditionelle Art der Geschichtswissenschaft - am Ideal der Objektivität orientiert, von den Quellen dominiert, an Institutionen interessiert und durch 'common sense' temperiert - auch gegenüber Stilen bestehen kann, die erkenntnistheoretisch raffinierter [1] und / oder politisch aufgeladener sind. Das Büchlein tourt a-theoretisch, in einem autoritativen Plauderton durch alte und neue Debatten um Erkenntnis und Interesse, Fakten und Fiktionen, Correctness oder Urteil nach den Kriterien des zu Beurteilenden, schließlich: gesellschaftliche Relevanz und wissenschaftliche Autonomie. Die letztere Antithese steckt in der alle Überlegungen durchwirkenden Kernfrage, "how democracy and scholarship have interacted and whether there is a point beyond which such interaction is undesirable" (33). Trotz aller Differenzierungsversuche ist Rhodes' Position letztlich sehr einfach: Es gebe eine Wissenschaft, die Ziele in der Lebenswelt habe, und eine solche, für die das nicht gelte (82). Letztere sei die Bessere.
A-theoretisch meint, dass Rhodes der logischen Passgenauigkeit seiner Kategorien und Argumente eher wenig Aufmerksamkeit schenkt, wenn nur die Forschungspraxis funktioniert. So werden im einleitenden Kapitel ("History", 9-17) drei Faktoren zu einem magischen Dreieck, das in Reaktion auf interessegeleiteten Verformungen wieder gerade zu richten sei: "Making the past intelligible and interesting to us in the present requires us not only to do justice to our own needs but also to do justice to the people whom we are studying and to the material which we are studying" (17, vergleiche 71). Das berührt zunächst sympathisch. Aber liegen Erkenntnisinteresse, Erkenntnismittel und Erkenntnisgegenstand tatsächlich derart auf einer Ebene, dass man ihnen in gleicher Weise gerecht werden kann und muss?
Im zweiten Kapitel ("Democracy", 18-26) skizziert Rhodes Geschichte und antiken Inhalt des Begriffs. In den von Anfang an bestehenden Unschärfen (etwa: Herrschaft des ganzen Volkes oder Herrschaft der Armen) sieht der Autor mit Recht eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass in nachklassischer Zeit die Demokratie beinahe zur Normalverfassung wurde: Wenn nur die Ärmeren in irgendeiner Weise eine aktive Rolle spielen konnten, ließen sich auch faktische Honoratiorenverfassungen [2], ja jede Art von 'constitutional government in contrast to tyranny' (25) als Demokratien bezeichnen. Diese 'Erfolgsgeschichte' - der Siegeszug des Etiketts bei gleichzeitig völlig verschiedenen Inhalten - zeichnet bekanntlich auch die nominell fast alternativlose Demokratie heutzutage aus, wie Rhodes beiläufig bemerkt (23).
Kapitel 3 ("Democracy: Good or Bad?", 27-33) eilt im Sturmschritt durch die Rezeptions-, genauer: Wertungsgeschichte [3], mündend bei George Grote, der die politische Gegenwartsrelevanz des Studiums der griechischen Geschichte im Allgemeinen und der athenischen Demokratie im Besonderen nicht nur postuliert, sondern in seiner 'History of Greece' (1846-1856) auch glänzend aufgewiesen hat.
Das vierte Kapitel enthält einen knappen, nach Ländern (!) geordneten Forschungsüberblick ("Democracy: Fashions in Scholarship", 34-53). Dabei wird herausgearbeitet, wie sich die Gelehrten zuletzt in erster Linie dem praktischen Funktionieren der athenischen Demokratie zugewandt haben, wobei der Disput zwischen M. H. Hansen und J. Ober um die Bedeutung der Institutionen von besonderem Interesse ist. Leider werden die einschlägigen Arbeiten von Christian Meier, in denen Athen als politische Kultur und Lebensform der Bürger konzeptualisiert ist, nicht erwähnt, obwohl sie ins Englische übersetzt sind. [4] Insgesamt ist die Bibliografie (117-137) aber reichhaltig und aktuell.
In Kapitel 5 ("Athenian Democracy and Us", 54-69) verbreitert der Engländer Rhodes den Atlantik mit der Feststellung, dass in erster Linie amerikanische Gelehrte unbefangen den Gegenwartsbezug ihres Gegenstandes betonen. Der Bogen des Überblicks spannt sich von J. H. Finley Sr., der Examenskandidaten am City College in New York den athenischen Ephebeneid schwören ließ, bis zu den zahlreichen Veranstaltungen und Sammelbänden zum 2500-jährigen Jahrestag der kleisthenischen Reformen.
Im abschließenden Kapitel 6 ("How to Study Athenian Democracy", 70-90) nimmt Rhodes zunächst J. Ober aufs Korn; eine gründliche Auseinandersetzung mit dessen Akzentuierung des Volkes und der demokratischen Ideologie kann in dem vorgegebenen Rahmen natürlich nicht erfolgen. Die Tragödie sieht Rhodes eher in Athen als Polis ruhen, weniger in der Demokratie.
Fazit: Das Büchlein bietet Informatives im 'Was-ich-schon-immer-einmal-gegen-diesen-neumodischen-Kram-sagen-wollte'-Gestus eines Gelehrten von unbezweifelbarer Autorität; an wen es sich eigentlich richtet, wird nicht ganz klar. Sind es mit dem Thema noch nicht näher vertraute Leser? [5] Der Rezensent hat das Bändchen vor allem wegen der wissenschaftstheoretischen Genügsamkeit und Unschärfe enttäuscht ins Regal gestellt und ein nur äußerlich ähnlich schmales Heft gleich daneben nach langer Zeit wieder einmal zur Hand genommen: Moses Finley, Antike und moderne Demokratie (Stuttgart 1980, englisches Original 1973). Dort ist zu lesen (37): "Athen bietet somit eine wertvolle Fallstudie, wie die Aktivität von politischen Führern und die Teilnahme des Volkes an der Regierungstätigkeit über einen langen Zeitraum hinweg erfolgreich neben- und miteinander bestehen konnten - und zwar ohne die politische Gleichgültigkeit und Unbedarftheit, wie sie heute von den Meinungsforschungsexperten aufgedeckt werden, und ebenso ohne die extremistischen Gespenster, die manchen Elitetheoretiker so sehr verfolgen". Polemisch, revisionistisch und entdeckungsfreudig sind Finleys Essays auf fast jeder Seite - und gänzlich frei von banausischer Selbstgewissheit.
Anmerkungen:
[1] In diesem Sinne zuletzt sehr dezidiert Neville Morley: Writing Ancient History, London 1999; dazu Uwe Walter, in: Gnomon 74 (2002), 552-553.
[2] Vergleiche dazu Friedemann Quass: Die Honoratiorenschicht in den Städten des griechischen Ostens: Untersuchungen zur politischen und sozialen Entwicklung in hellenistischer und römischer Zeit, Stuttgart 1993.
[3] Rhodes bezieht sich auf Jennifer Tolbert Roberts: Athens on Trial. The Antidemocratic Tradition in Western Thought, Princeton 1994; dazu Uwe Walter, in: HZ 262 (1996), 530-532; nachzutragen wären etwa Herfried Münkler / Marcus Llanque: Demokratie, in: Der Neue Pauly 13 (2001), 721-736, und Karl Christ: Hellas. Griechische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft, München 1999.
[4] Christian Meier: Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte, Berlin 1993 (Übersetzung: New York 1998); derselbe: Die politische Kunst der griechischen Tragödie, München 1990 (Übersetzung: Oxford 1993). Rhodes nennt lediglich: Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt 1980 (Übersetzung: New York 1990).
[5] "My fear is that they will end up wondering whether all the scholarly investment in Athenian democracy has paid a sufficient dividend". (M. Beard: The Times Literary Supplement, 29. Aug. 2003).
Uwe Walter