Christian Wieland: Fürsten, Freunde, Diplomaten. Die römisch-florentinischen Beziehungen unter Paul V. (1605-1621) (= Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit; Bd. 20), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, X + 566 S., ISBN 978-3-412-09603-8, EUR 54,90
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Wolfgang Reinhard (Hg.): Römische Mikropolitik unter Papst Paul V. Borghese (1605-1621) zwischen Spanien, Neapel, Mailand und Genua, Tübingen: Niemeyer 2004
Die vorliegende Studie ist, wie zahlreiche weitere aus der Schule Wolfgang Reinhards, dem Pontifikat des Papstes Paul V. Borghese (1605-1621) gewidmet. Und wie viele andere aus dieser Schule greift auch Wieland die von Reinhard entwickelte "Verflechtungsanalyse" auf und will "das Alltagsgeschäft von Zwischenstaatlichkeit [...] und Politikgeschichte mikroskopisch (bzw. mikrohistorisch)" untersuchen (3). Dies geschieht am Beispiel der florentinisch-römischen Beziehungen, womit Wielands Studie das Pendant zur auch bei Reinhard entstandenen Dissertation von Tobias Mörschel [1] über Rom und Savoyen darstellt.
Wielands Studie ist streng problemorientiert angelegt und in sechs Großkapitel gegliedert: Der ausführlichen Darlegung der Fragestellung und dem Überblick über Quellen und Forschungsstand (Kapitel I, 3-21, und II, 23-38) folgen die Vorstellung der Akteure in Form einer parallel angelegten "Staatenbeschreibung in Gegensätzen" sowie eine Skizze von "Institutionen und Personal" (Kapitel III, 39-122, und IV, 123-190). Eindringlich werden dann die florentinisch-römischen Beziehungen in den beiden letzten Abschnitten mikrohistorisch analysiert: zuerst im Rahmen einer Darstellung der "Ereignisse", das heißt derjenigen "großen" Fragen, die Gegenstand intensiver Verhandlungen zwischen Rom und Florenz waren (Kapitel V, 191-268), daran anschließend geht es dann um die "Strukturen", gleichsam die Voraussetzungen, auf denen die Beziehungen zwischen den beiden Mächten beruhten. Die Darstellung ist ungemein breit und quellennah angelegt. Besonders informativ und für den Aufbau und das Verständnis der Studie wichtig sind die einführenden Kapitel.
Zu den "Strukturen" zählt Wieland Formen der "Staatsbegegnung", einmal an den Grenzen, zum anderen in Form des höfischen Zeremoniells, des Weiteren die "geistliche Gabe". Letztere betraf alle Fragen der Besetzung und der Vergabe von kirchlichen Ämtern mit den damit verbundenen Pfründen. Dazu gehört aber auch die personelle Komponente der römisch-florentinischen Beziehungen, nämlich die Rekonstruktion medicifreundlicher wie -feindlicher Netzwerke an der Kurie.
Die Tatsache, dass der Papst eine Doppelrolle ausfüllte, nämlich sowohl Haupt einer frühneuzeitlichen Monarchie als auch Haupt der katholischen Christenheit war, prägte die "Ereignisse" beziehungsweise die Beziehungen der beiden Höfe auf vielfache Art und Weise. So stellen die "Ereignisse" im Wesentlichen Verhandlungen um kirchenrechtliche Fragen (Zusammenstoß kirchlicher Immunität mit weltlicher Gerichtsbarkeit) sowie Verhandlungen über die Besetzung von vakanten Posten innerhalb der Kirche dar. Einzig der Fall des Durchmarschrechts florentinischer Truppen durch den Kirchenstaat, die den Herzog von Mantua 1613 gegen die savoyische Aggression unterstützen sollten, berührt Fragen von Krieg und Frieden.
Den sicherlich faszinierendsten Aspekt der florentinisch-römischen Beziehungen stellt die weit reichende Verflechtung der Medici mit Angehörigen des Kardinalkollegiums sowie der römischen Führungsschichten dar. Neben der offiziellen Diplomatie, repräsentiert durch den Nuntius in Florenz und die florentinischen Gesandten in Rom samt ihrem Personal, verfügten die Großherzöge über eine bedeutende Klientel, die sie nicht nur mit Informationen aus erster Hand (eine wichtige Ergänzung zu den Depeschen des Botschafters) versorgte, sondern ihnen auch Einfluss auf die Entscheidungsprozesse an der Kurie verschaffte (498 ff.).
So ermöglichte die Verwandtschaft der Medici mit den Orsini, einem der bedeutendsten Adelsgeschlechter Roms, einen engen Kontakt zum Borghese-Papst und zu seinen Nepoten. Die Medici schwangen sich über den Umweg der Vermittlung durch die Orsini und die Kardinäle Montalto und Del Monte (zu ihnen siehe 440-478) zu den Protektoren der Familie Borghese auf. Paul V. setzte sich seit seiner Wahl konsequent von seinen früheren Förderern, den Aldobrandini, ab. Dies hatte durchaus politische Implikationen, standen Clemens VIII. Aldobrandini und sein Nepot doch für eine frankophile Politik des Papsttums. Die nach Amtsantritt des Borghese-Papstes erfolgte "klienteläre" Wendung gegen die Aldobrandini-Linie hatte im Erstarken des spanischen Einflusses an der Kurie ihr politisches Pendant. Auf der Ebene der Patronage und Netzwerke bildete sich hingegen ein Antagonismus zwischen den Dynastien einerseits der Borghese - Medici und andererseits der Aldobrandini - Savoyer heraus (493 ff.), der auch der Konkurrenz zwischen Savoyen und dem Großherzogtum auf der Ebene des Staatensystems entsprach.
Wielands Studie bestätigt einmal mehr die grundsätzliche Strukturschwäche des Kirchenstaates (und damit auch seine Sonderrolle innerhalb des europäischen Staatsbildungsprozesses): Die Tatsache, dass jede Papstwahl eine neue Familie in Amt und Würde, zu Macht und Reichtum brachte und daraufhin die Führungsspitzen in Administration und Regierung ausgewechselt wurden, bedeutete für den Papst immer auch den Zwang, die erworbene Position der Familie für die Zeit nach dem Pontifikat zu sichern. Papst Paul V. Borghese gelang dies mithilfe der Medici, deren Reputation als Dynastie zwar weit größer als die der Familie des Borghese-Papstes war, dessen Würde diesen Makel jedoch ausglich (vergleiche besonders 501-507).
An diese strukturelle Instabilität schlossen sich zwei weitere Schwächen auf der Ebene der Staatsdiener an: Diese rekrutierten sich nicht ausschließlich aus dem Territorium des Kirchenstaates, sondern aus ganz Italien beziehungsweise ganz Europa (so kamen die Florentiner Nuntien aus Venedig). Sie waren daher potenziell immer auch ihrem Herkunftsland verpflichtet und darauf angewiesen, sich in andere Netzwerke als die der päpstlichen Förderung zu integrieren, bestand doch immer die Gefahr, beim Tode des Papstes vom Nachfolger nicht mehr berücksichtigt zu werden. Umgekehrt boten diese Strukturschwächen den auswärtigen Mächten Ansatzpunkte zur Intervention in die inneren Angelegenheiten des Kirchenstaats. Die angewandten Mittel bestanden in erster Linie in der Schaffung der hier exemplarisch beschriebenen Netzwerke und Patronageverhältnisse (509 ff.). Die übrigen katholischen (Groß-)Mächte bedienten sich ähnlicher Methoden, sodass sich das Kardinalskollegium in Fraktionen aufspaltete, von denen die spanische im Untersuchungszeitraum die dominierende darstellte (112-115).
Einige kritische Bemerkungen müssen sein. Erstens: Unbestritten ist der Erkenntnisgewinn durch die Anwendung mikrohistorischer Methoden auf "ein ihr genuin fremdes Thema" (10) - die Staatenbeziehungen beziehungsweise die verfemte "Diplomatiegeschichte". Was aber in den Augen des Rezensenten fehlt, ist die Verbindung beider Bereiche, das heißt die Vernetzung von mikro- und makrohistorischer Perspektive. Die Einordnung der Ergebnisse in den Kontext des Staatsbildungsprozesses stellt nur einen ersten Schritt dar, dem als zweiter die Einordnung in den Kontext des Staatensystems der Frühen Neuzeit folgen müsste, stellen doch Staatsbildung und Genese des Staatensystems zwei Seiten einer Medaille dar. Dieser Bereich kommt aber nur am Rande zur Sprache, und auch dann nicht sehr präzise, wenn etwa von Spanien und Frankreich als den "Weltmächten des 17. Jahrhunderts" (331) gesprochen wird. Diese Charakterisierung mag vielleicht noch auf Spanien zutreffen, nicht aber auf Frankreich. Gefragt werden sollte, welche Konsequenzen die dargestellten Netzwerke auf die außenpolitischen Entscheidungsprozesse hatten. Hier könnte über die Verflechtungsanalyse die Richtungsänderung päpstlicher Außenpolitik oder generell die Formulierung päpstlicher Außenpolitik im 17. Jahrhundert vielleicht präziser als bisher erklärt werden.
Zweitens: Der angestrengt theoretisch-abstrakte Stil, der unnötig Sachverhalte kompliziert und öfter in den Bereich der Stilblüte abrutscht (87: ein "distinktives Gespür sensibilisierten"), erschwert die Lektüre zum Teil erheblich - und ist weit entfernt von den Klassikern der Mikrohistorie, deren "unmittelbare[n] Zugriff auf Zustände und Ereignisse" und damit auf ihren Gegenstand Wieland einleitend evoziert (9).
Anmerkung:
[1] Tobias Mörschel: Buona amicitia? Die römisch-savoyischen Beziehungen unter Paul V. (1605-1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik in Italien (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; Bd. 193, Abteilung für Universalgeschichte), Mainz 2002. Vgl. hierzu die Rezension von Arne Karsten, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 4 [URL: http://www.sehepunkte.de/2003/04/1834.html]
Sven Externbrink