Michael Brix: Der barocke Garten. Magie und Ursprung - André Le Nôtre in Vaux le Vicomte, Stuttgart: Arnoldsche Art Publishers 2004, 192 S., 110 Farb-, 46 s/w-Abb., ISBN 978-3-89790-199-5, EUR 39,80
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Der Garten in Vaux le Vicomte nimmt in der Geschichte der Gartenkunst eine Schlüsselstellung ein. Die vom Gartenkünstler André Le Nôtre in Zusammenarbeit mit dem Baumeister Louis Le Vau und dem Maler Charles Le Brun für Nicolas Fouquet entworfene Anlage gilt als Wegbereiter des großen französischen Barockgartens, wird doch in Vaux le Vicomte erstmals das Spiel der kalkulierten perspektivischen Täuschungen im Gartenraum umgesetzt. Trotzdem gibt es in der deutschsprachigen Literatur bisher nur wenige Publikationen, die diese Anlage ins Blickfeld rücken, so zum Beispiel die Dissertationen von Barbara Bechter [1] und Margrit Christine Schulze [2].
Michael Brix widmet diesem Garten nun einen reich bebilderten Band, der die Ergebnisse eines mehrjährigen Projekts an der Fachhochschule München zusammenfasst. In zehn Kapiteln entfaltet sich ein differenziertes Bild des Gartens und der dort realisierten künstlerischen Interventionen.
Eingebettet ist die Beschreibung der Anlage in ein Anfangs- und ein Schlusskapitel über den Auftraggeber, einen "Wegbereiter" wie auch ein "Opfer des Grand Siècle" (5). Die Darstellung beginnt mit einer kurzen Vorstellung Fouquets, der im Jahr 1653 die Stellung des Oberintendanten der Finanzen erhielt und im gleichen Jahr mit der Umgestaltung des Anwesens in Vaux le Vicomte zur repräsentativen Residenz begann.
Das zweite Kapitel ist dem "ursprünglichen" Garten sowie der Datierung der einzelnen Umgestaltungsmaßnahmen gewidmet. Anhand eines bisher nicht publizierten Dokuments, das in den Archives nationales in Paris aufbewahrt wird - einem detaillierten Bericht über die Arbeiten in Vaux le Vicomte zwischen 1653 und 1661 von Olivier Lefèvre d'Ormesson -, wird die Entstehungsgeschichte der einzelnen Teile des Gartens rekonstruiert.
Den Ausgangspunkt des folgenden Kapitels bildet die These, dass Le Nôtre - trotz einiger Rückgriffe auf bekannte Elemente und Gestaltungsprinzipien - mit der Anlage in Vaux le Vicomte "die Gartenkunst revolutioniert" (42) und das Repertoire der Gärtner mit "bedeutenden Innovationen" bereichert habe (38). Michael Brix wirft einen kurzen Blick auf die beiden wichtigsten Vorläufer, die in den 1630er-Jahren entstandenen Gärten in Liancourt und Richelieu, um sich dann den von Le Nôtre entwickelten Stilmerkmalen zuzuwenden, die auch den Garten in Saint-Mandé (1650er-Jahre) prägen. Das Kapitel schließt mit einer Würdigung der kunstvollen Inszenierung de Raums in Vaux le Vicomte: "Bei einer Wanderung durch den Garten, vom Eingangsgitter bis zur Statue des Herkules, die in der Tiefe des Parks den abschließenden Akzent setzt, erlebt man Schritt für Schritt, wie kunstvoll Le Nôtre den Landschaftsraum manipuliert hat, um den Besucher mit einem fortwährenden Wechsel von Verbergen und Enthüllen zu überraschen" (44).
Diesen kunstvollen Umgang mit den Gesetzen der Perspektive versucht der Autor im Folgenden dem Leser nahe zu bringen. Die Kapitel fünf bis neun sind angelegt wie ein Spaziergang. Brix führt den Leser durch den Garten, verweilt an verschiedenen Orten und schildert anhand einer Vielzahl von Fotografien, ergänzt durch historische Abbildungen und Pläne, die von Le Nôtre verwendeten Elemente und Kunstgriffe zur Manipulation des Raumeindrucks: Er beschreibt die Auflösung der strengen Symmetrie und Le Nôtres Gestaltungsmittel der Verschränkung der Hauptachse mit kontrapunktischen Nebenachsen, er führt dem Leser vor Augen, wie der Gartenkünstler mittels "perspective ralentie" mit den Entfernungen und Größen spielt und erläutert am Beispiel der Grotte, wie Le Nôtre durch genau berechnete Geländemodellierung dem Gartenbesucher einen dynamischen Landschaftsraum öffnet, der immer wieder Blicke öffnet und schließt.
Kurze Exkurse zur Gartenkunst der Renaissance, zur Gartentheorie sowie zur Malerei erläutern die in Vaux le Vicomte verwendeten optischen Täuschungsmanöver und Überraschungseffekte, die Le Nôtre später auch in Versailles einsetzen wird.
Der Hauptteil schließt mit einem Kapitel über das zu Ehren des Königs veranstaltete Einweihungs-Fest und die Gründe für die anschließende Verhaftung Fouquets. Hier wird noch einmal die Bedeutung Vaux le Vicomtes für die Entstehung des größten französischen Barockgartens - und damit für die Entwicklung des "Grand Style" - offensichtlich, war doch erst die ostentative Zurschaustellung von Prunk durch einen Untergebenen der Anstoß für den groß angelegten Ausbau in Versailles.
Ergänzt wird der Band durch einen 24 Seiten umfassenden Anhang, der neben einer Chronologie zur Entstehungsgeschichte (im Wesentlichen eine Auswahl von Informationen aus dem Bericht d'Ormessons) und einer Zusammenstellung und Erläuterung der Pläne des 18. Jahrhunderts sowie einem Informationsteil über die Veränderungen und Restaurierungsmaßnahmen des 19. und 20. Jahrhunderts auch ein ausführliches Glossar zu den verwendeten kunstgeschichtlichen Fachbegriffen - Anamorphose, Broderieparterre, Boskett, Patte d'oie et cetera - enthält.
Dieser Dokumentationsteil kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei dem Band nicht um ein wissenschaftliches Fachbuch im konventionellen Sinn handelt: Der Aufbau orientiert sich an der - im Rahmen desselben Forschungsprojektes entstandenen - CD-ROM (André le Nôtre, le jardinier magicien: L'aventure de Vaux-le-Vicomte). Er ist von zahlreichen Querverweisen geprägt, lädt immer wieder zum Vor- und Zurückblättern ein und lässt das selektive Lesen einzelner Kapitel zu.
Der Textanteil nimmt nur etwa ein Viertel des Buches ein, ist also relativ kurz gefasst. Deshalb bleiben notgedrungen verschiedene Fragen, insbesondere zum Verhältnis des zeitspezifischen Natur- und Kunstverständnisses einerseits und der Gestaltung in Vaux le Vicomte andererseits, offen. So werden zum Beispiel die in der Mitte des 17. Jahrhunderts verbreiteten Gartentheorien und ihr Einfluss auf Le Nôtre nur gestreift. Auch würde man sich eine abschließende Bewertung der in Vaux le Vicomte verwendeten Stilmittel und eine umfassendere Einordnung der Gestaltung Le Nôtres in den Zeitkontext wünschen. Interessant wäre es zudem gewesen, die Bedingungen und Konsequenzen des Umschwenkens von der Vogelschau zur Bewegungsperspektive zu diskutieren, die Brix - mehr oder weniger explizit - in Vaux le Vicomte feststellt.
Lässt man jedoch solche Fragen außer Acht und betrachtet den Band - wie auf der Umschlagklappe vermerkt - als "Einführung für interessierte Laien, die gerne das Prinzip des barocken Gartens verstehen möchten", so muss man feststellen, dass es dem Autor und Fotografen Michael Brix meisterhaft gelingt, Interesse zu wecken und die Details der Gestaltung effektvoll ins Licht zu rücken. Dazu tragen insbesondere die klare und anschauliche Sprache sowie Auswahl und Platzierung der Fotografien bei.
Gerade wenn man berücksichtigt, dass ein Garten als dreidimensionales Objekt der Darstellung in Wort und Bild ungleich größere Schwierigkeiten entgegenstellt als zum Beispiel ein Gemälde, muss man die Leistung des Autors würdigen. Mit einer durchdachten und im Detail aufeinander abgestimmten Zusammenstellung von Text und Abbildung ist es ihm gelungen, den ersten französischen Barockgarten und seine verschiedenen Teile in Buchform erlebbar zu machen. So ist die Lektüre des Bandes "Der barocke Garten" eine ideale Gelegenheit, den Garten in Vaux le Vicomte kennen zu lernen und dabei im Detail nachzuvollziehen, wie sehr Gartenkunst auch Raumkunst sein kann.
Anmerkungen:
[1] Barbara Bechter: Der Garten von Vaux-le-Vicomte; Mikroedition (Deutsche Hochschulschriften; 850), Egelsbach; Köln; New York 1993.
[2] Margrit Christine Schulze: Geschichte und Methode der Restaurierung des Gartens von Vaux-le-Vicomte, Berlin 1999.
Andrea Siegmund