Michael Brix: Der absolute Garten. André Le Nôtre in Versailles, Stuttgart: Arnoldsche Art Publishers 2009, 248 S., ISBN 978-3-89790-241-1, EUR 39,80
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Michael Brix veröffentlicht mit diesem Band eine Fortsetzung seiner vorhergehenden Studie zum Garten der Maison de Plaisance Nicolas Fouquets in Vaux-le-Vicomte. [1] Nach dem ersten Hauptwerk André Le Nôtres widmet er sich nun in vergleichbarer Weise dem Garten von Versailles, womit in diesem Fall der sogenannte Petit Parc gemeint ist, der das Schloss an drei Seiten unmittelbar umgebende Garten. Neben dieser Einschränkung, denn zum unmittelbaren Residenzumfeld muss gartenkunsthistorisch mindestens auch das Grand Trianon gerechnet werden, kennzeichnet die Arbeit eine Fokussierung auf das Werk Le Nôtres und die Zeit Ludwigs XIV. sowie ein weitgehender Verzicht auf den Einbezug von Skulptur.
Diese Verengung des Blicks ist dem Gegenstand keineswegs abträglich, im Gegenteil. Brix geht es nicht um die siebenunddreißigste Gesamtdarstellung zu den Versailler Gärten, sondern darum, die stilistischen Eigenarten André Le Nôtres zu ergründen. Diesem Ziel ordnet er nicht nur die Art und Weise seiner Darlegungen unter, die eine Systematisierung der Einzelteile gegenüber der Chronologie der Entwurfs- und Bauprozesse bevorzugt, sondern auch die exzellente fotografische Ausstattung des Bandes. Die zeitgenössischen Fotografien des Gartens stammen vom Autor selbst, der seit mehr als einem Jahrzehnt den umfassenden Rekonstruktions- und Restaurierungsprozess fotografisch dokumentiert. Damit räumt er seinem Gegenstand, dem Petit Parc einen Rang ein, der für gartenkunsthistoriografische Verhältnisse außerordentlich und auch problematisch ist. Versailles bildet, und Brix spricht das mehrfach an, das Ergebnis einer kontinuierlichen und tiefgreifenden gestalterischen Transformation. Diese bestand aus baulichen, gartenkünstlerischen, überwiegend landschaftsarchitektonischen und technischen Überformungen, aber auch aus natürlichen Modifikationen, die den Kunstwerkcharakter eines Gartens immer einschränkten, da ihnen pflanzenbiologische Prozesse zugrunde liegen. Damit einher gingen umfangreiche Schäden, die auf Unwetter sowie klimatische Veränderungen zurückzuführen sind. Um es auf den Punkt zu bringen: Der Petit Parc ist heute pflanzengestalterisch betrachtet eine einhundertprozentige Rekonstruktion. An diesem Befund ändert sich auch nichts, wenn man den Rekonstruktionen der französischen Gartendenkmalpflege hohe Plausibilität zuerkennt und ihren Raumschöpfungen einen Charakter attestiert, der den ursprünglichen Intentionen Le Nôtres, soweit sich diese überhaupt rekonstruieren lassen, nahekommt.
Dem Dilemma der Rekonstruktion zeigt sich Brix insofern gewachsen, als er es nicht bei der fotografischen Dokumentation des heutigen Zustands belässt, sondern in seiner Argumentation durchweg Bezug nimmt auf das historische Planmaterial sowie schriftliche Quellen. Schließlich präsentiert er am Ende seines Buches zwölf hervorragend reproduzierte Pläne aus der Zeit zwischen 1662 und 1710, die in kurzen Texten charakterisiert und analysiert werden und den Transformationsprozess vom Garten eines Jagdschlosses zum Garten der Residenz des französischen Königs anschaulich machen.
Zunächst verdeutlicht Brix seine Perspektive in einer kurzen Einleitung. Diese verzichtet weitgehend auf einen historischen Abriss der Planungs- und Realisierungsprozesse in Versailles, sondern betont formale Aspekte wie das Raumverhältnis von Schloss und Garten sowie die Verschiedenheit der Raumeindrücke und kennzeichnet unter Rückgriff auf historische Stellungnahmen die Profession des Gärtners als Gartenentwerfer und damit die Gartenkunst als künstlerische Gattung.
Um den Stil Le Nôtres angemessen kennzeichnen und dessen stilistische Entwicklung darstellen zu können, handelt Brix die Elemente des Gartens einzeln ab. Er beginnt seine Darlegungen mit dem Hauptparterre, das später zum Parterre d'Eau umgestaltet wurde, widmet sich den Nord- und Süd-Parterres einschließlich Orangerie und danach den wichtigsten Bosketts. Schließlich räumt er der Allée royale sowie dem Grand Canal vergleichsweise großen Raum ein, indem er detailliert über Bauabläufe, aber auch optische Wirkungen informiert. Leider belässt es Brix oft bei Andeutungen, so wenn Juan Caramuel de Lobkowitz als Stichwortgeber für eine "architectura oblicua" genannt wird, die auch den Grand Canal und seine überlängte, auf Fernwirkung berechnete Form kennzeichne (198). Hier wüsste man doch gern Genaueres zum Entwurfsverfahren, zu den optischen Berechnungsgrundlagen, zumindest aber zu den geodätischen Voraussetzungen.
Mit Blick auf die Parterres und Bosketts kann Brix im Einzelnen verdeutlichen, wie ungeordnet die Neu- und Umgestaltungen verliefen. Sie folgten weder einem Generalplan noch besaß einer der daran beteiligten Künstler so etwas wie alleinige Gestaltungsfreiheit. Die allbekannten Konflikte zwischen den Planungsinstanzen, zwischen Künstlern und Programmplanern, besonders zwischen Jules Hardouin-Mansart und Le Nôtre wurden nicht zuletzt von dem beständigen Innovationswillen des Königs befeuert. Brix geht es in seinen Darlegungen aber nicht um die Analyse dieser Konflikte, sondern um die alleinige Bewertung der Arbeit Le Nôtres, dessen Werk über alle Zweifel erhaben zu sein scheint. Hier hätte dem um Prägnanz bemühten Text eine mehr analytische Grundhaltung des Autors gut getan. Deren Mangel fällt besonders an den Stellen ins Gewicht, an denen Brix versucht, den Stil Le Nôtres zu kennzeichnen. Boskettentwürfe apostrophiert er mit Vokabeln wie "Anmut" und "Natürlichkeit" (126), das Bosquet des Trois-fontaines zeige "uns den Künstler von seiner anmutigsten Seite" (149). Schließlich fragt er mit Blick auf die Abpflanzung der Allée royale aus Palisaden und Baumreihen und einer unterschiedlichen Bewertung dieses Prinzips bei Augustin Charles Daviler (1691) und Jaques-François Blondel (1756): "Sollte dem Gartenkünstler tatsächlich ein Fehler unterlaufen sein [...]? Das ist kaum vorstellbar." (178) An solchen Äußerungen ist nicht nur der apologetische Grundton ärgerlich, sondern besonders der Umstand, dass Differenzen in der Einschätzung von Gestaltungsprinzipien im Zeitraum von mehreren Jahrzehnten nicht als der Normalfall angesehen und kunsthistoriografisch erklärt werden.
Auch die formal-ästhetischen Charakterisierungen schießen an einigen Stellen über das Ziel hinaus, nämlich dann, wenn in der Diktion Wölfflins die "Hohlform" als typisches Element der Barockkunst bezeichnet wird und dem Renaissancekünstler unterstellt wird, er habe sich mit "der Schaffung von Volumen befasst" (140). Spätestens hier wird das Konzept fraglich, aus einer reinen Formgeschichte die Stilistik eines Künstlers destillieren zu können, anstatt konsequent nach Handlungsspielräumen zu fragen und funktionalen Erwägungen mehr Gewicht zu schenken.
Diese Beanstandungen sind das Resultat einer spezifischen Lesart, die nach Forschungsrelevanz und Erkenntnismehrwert fragt. In dieser Hinsicht leistet das Buch von Brix punktuelle Beiträge, die in der Regel Bauabläufe betreffen. Bei wirklich innovativen Fragen, die Entwurfspraktiken, Vermessungsverfahren oder Beziehungen zur Optik betreffen, bleibt es oft nur bei Andeutungen. Einen weitaus größeren Beitrag leistet das Buch vermutlich für Leser, die weniger an einer wissenschaftlichen Analyse als an einer Einführung ins Thema und generell an gartenkunsthistoriografischen Perspektiven interessiert sind. Brix vermag ein breites Lesepublikum mit einer von Fachjargon freien Sprache für Grundfragen der Gartenkunstgeschichte zu sensibilisieren. Fotografien und historische Pläne sowie Ansichten verhelfen seinen Darlegungen zu einer Anschaulichkeit, die vorbildlich genannt werden kann. Auch französische Leser werden von den hohen didaktischen Qualitäten der Arbeit profitieren, denn das Buch erscheint gleichzeitig als französische Übersetzung bei den Éditions Nicolas Chaudun in Paris.
Anmerkung:
[1] Michael Brix: Der barocke Garten. André le Nôtre in Vaux le Vicomte, Berlin 2005; siehe dazu meine Rezension in: Journal für Kunstgeschichte 2 (2007), 132-134.
Stefan Schweizer