Konrad Krimm (Hg.): Zwischen Habsburg und Burgund. Der Oberrhein als europäische Landschaft im 15. Jahrhundert (= Oberrheinische Studien; Bd. 21), Ostfildern: Thorbecke 2003, 302 S., 16 Abb., ISBN 978-3-7995-7821-9, EUR 34,00
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D'Arcy Jonathan Dacre Boulton / Jan R. Veenstra (eds.): The Ideology of Burgundy. The Promotion of National Consciousness, 1364-1565, Leiden / Boston: Brill 2006
Wie schon der Titel andeutet, sind die im vorliegenden Band versammelten Beiträge, die auf eine Tagung in Breisach im Jahr 2000 zurückgehen, von den Polen der Einheit und der Spannung bestimmt. Habsburg und Burgund, denen noch die Eidgenossenschaft an die Seite gestellt ist, stehen im 15. Jahrhundert nicht nur für einen Antagonismus im politischen Kräftespiel, sondern auch für eine dynastische und kulturelle Annäherung, die mit der Hochzeit Maximilians I. mit Maria von Burgund (1477) die Form einer Ablösung annimmt (7). Die vorliegenden Studien bemühen sich aus unterschiedlichen Perspektiven um eine Annäherung an den Kontakt zwischen den kulturellen Sphären im oberrheinischen Gebiet. Vielversprechend ist diese Perspektivierung allemal, treffen hier doch Grenzen und Interessengebiete verschiedenster Art aufeinander, etwa zwischen Adel und "Gemeinem Mann" oder deutschem und französischem Sprachraum.
Eine "Zwischenposition" kommt dem oberrheinischen Raum, dessen Umrisse im Übrigen recht vage bleiben, auf vielerlei Ebenen zu, die mit den Kategorien "Burgund als neuer Partner", "Habsburg und Westeuropa", "Handelswege" und "Entgrenzung der geistigen Welt" gebündelt werden. Innerhalb dieser Ordnung wird ein ums andere Mal klar, dass die räumliche Grenzlage zwischen frankophoner und germanophoner Welt die kulturellen Entwicklungen entscheidend prägte. Dies gilt auch in Konfigurationen politischer Einheit, wie etwa Dieter Mertens anhand der "oberrheinischen Universitäten zwischen Habsburg und Burgund" zeigt: Nicht nur galt Sebastian Brant in seiner Beschreibung Deutschlands zwar die Universität Löwen als deutsch, im Gegensatz zu Dôle in der zum Reich gehörigen Freigrafschaft Burgund (277 f.). Auch als Letztere habsburgisch wurde, vermischten sich die sprachlich getrennten Sphären in der Welt der Universität nicht wirklich intensiv (286) - von einer "europäisierten Hochschullandschaft" kann hier keine Rede sein (284).
Eine solche Einsicht macht explizit, was in den meisten Beiträgen eher unterschwellig vermittelt wird: Die wichtigsten Einflüsse, die den Oberrhein in eine europäische Perspektive rücken (die trotz des vielversprechenden Untertitels nicht so recht klar wird und hauptsächlich in den Ausführungen Franz Irsiglers zu den "Jahrmärkten und Messen im oberrheinischen Raum" [229-254] sowie Jürgen Miethkes zu den "Konzilien [...] als Drehscheibe internationaler Beziehungen" [257-274] Gestalt annimmt), wurden vorwiegend von außen in ein Gebiet getragen, das ansonsten primär durch regionale Horizonte geprägt erscheint. Dies gilt für die habsburgische Politik in den Vorlanden vor der Zeit Maximilians I. (vergleiche den Beitrag Wilhelm Baums, hier 173) ebenso wie für die Reichsstände im Bodenseegebiet, wie Rainer Brüning am Beispiel des Klosters Salem und der Stadt Überlingen deutlich macht. Beide mussten sich trotz aller Verzögerungstaktiken für den Reichskrieg bei der Belagerung von Neuss durch Karl den Kühnen engagieren. Dies bedeutete aber keine Ausweitung ihres Handlungshorizontes, sondern ist vielmehr als Reaktion auf von außen herangetragene Pflichten zu verstehen; auf lange Sicht sanken die Reichsstände mit ihrer regionalen Perspektive zur "kaiserlichen Klientel" ohne eigene Gestaltungsmöglichkeiten herab (191).
Die Einheit des Oberrheins erscheint damit in erster Linie durch die Anrainerschaft zu "Großmächten" charakterisiert, denen nur selten durch interne Bindungssysteme entgegen gesteuert werden konnte. Wo dies geschah - und die Entstehung der Eidgenossenschaft bietet hier das markanteste Beispiel -, werden die Außergewöhnlichkeit solcher Ereignisse und die Differenz der kulturellen Sphären deutlich. Exemplarisch zeigt dies anhand von "Hagenbachs Hochzeit" Werner Paravicini auf, der nicht nur einen instruktiven Überblick zu Peter von Hagenbachs Karriere und unrühmlichem Ende präsentiert, sondern an diesem "Fall" den weiten Bogen zu Prozessen der kulturellen Differenzbildung spannt. Diese lässt sich nicht, wie zuweilen praktiziert, auf das griffige Gegensatzpaar der freiheitsliebenden "deutschen" Städte und der absolutistischen Ansprüche "welscher" Herrschaft reduzieren (50-55). Zum dunklen Bild, das vom burgundischen Statthalter in den Pfandlanden seit dessen Niedergang gezeichnet wurde, trugen vielmehr Differenzen im Ausdruck und in den Ansprüchen sozialer Statuszeichen bei, die in die Richtung eines grenzüberschreitenden Konflikts zwischen Adel und Städten weisen (56-58).
Nicht in allen Bereichen wehrte man sich aber in den deutschsprachigen Gebieten gegen die Dominanz Burgunds; so übten etwa die dort gepflegten Kunstformen eine große Anziehungskraft bis in das städtische Milieu hinein aus. Ausgehend unter anderem vom Beispiel des Mathias Eberler, der sich bei der von ihm gestifteten Kapelle an der Basler Peterskirche am Vorbild der Chapelle des Anges der herzoglichen Kartause in Champmol orientierte, verdeutlicht Lieselotte E. Saurma-Jeltsch diese starke Attraktion. Ihr zufolge galt den Zeitgenossen "der 'burgundische Stil' als Synonym der 'Neuen Kunst'" (82), was zugleich den vorwiegend einseitigen Transfer von Burgund in Richtung des Oberrheins erklären mag. Dass auch der bekannte Orden vom Goldenen Vlies weithin ein enormes Prestige genoss, unterstreicht Raphaël de Smedt, dessen Beitrag vor allem die Inhalte des wichtigen prosopografischen Überblickswerks neu gruppiert, das der Autor vor einigen Jahren herausgegeben hat. [1]
Claudius Sieber-Lehmann zufolge markieren eben gerade die Rollen der Eidgenossen und der burgundischen Herzöge in gewissem Ausmaß zwei Seiten eines strukturell ähnlichen Phänomens: Es ging um die Behauptung und Etablierung als erfolgreiche Aufsteiger. Wenngleich die Reduktion der Rollenoptionen Karls des Kühnen auf die Position eines "Emporkömmlings" leicht überzogen wirken mag (98 f.) - gehörte er doch immerhin einem Seitenzweig der französischen Königsfamilie an -, so überzeugt der vergleichende Blick auf die Eidgenossen: Ihnen konnte es nicht um eine zu erreichende "Nobilitierung" gehen, sondern sie mussten auf einen undefinierten Status (107 f.) abzielen, der den Adel trotz des eigenen Erfolgs diskursiv weiterhin als Gegenbild setzte.
Neugierig auf die Publikation seiner Habilitationsschrift macht Rainer Babel mit seinen Ausführungen zur französischen Politik in Richtung des Oberrheins (und Lothringens) unter Karl VII. Im Mittelpunkt steht hier die Kontaktaufnahme zwischen Habsburg und dem französischen Königshaus, das schon früh auf eine anti-burgundische Allianz hinarbeitete. Zur Sprache kommt auch die schon vieldiskutierte Frage nach der Vorstellung von der "Rheingrenze", auf die bereits Karl VII. (vor allem in den 1440er-Jahren) hingearbeitet haben mag - aber wohl mehr als Block gegen die burgundische Expansion denn als bewusste Arrondierung einer französischen Nation bis an den Rhein (149).
Angesichts solch groß angelegter Frontstellungen kann es schließlich kaum überraschen, wenn Tom Scott in seiner Analyse des "Elsass als wirtschaftliche Brückenlandschaft" vor allem einen Mangel an interner Kohäsion feststellt. Die wirtschaftliche Einheit seines Untersuchungsobjekts, so das Fazit, konnte die Differenzen der politischen Interessen nicht effizient überwinden (228) - beispielhaft wird dies am 1584 aufgelösten Rappenmünzbund vorgeführt.
Damit wird aber auch klar, dass nicht alle Differenzsetzungen auf die Dichotomie "deutsch" - "welsch" reduziert werden können, wenngleich dieser im Gesamtbild sicher die prominenteste Rolle zukommt. Auf der lebensweltlichen Ebene wird die zunächst auf die Sprache abzielende Unterscheidung aber auch von sozialen Phänomenen begleitet, die über die sprachpraktischen Implikationen hinaus Kreise zieht: Die kulturelle Orientierung nach Burgund mag für viele deutschsprachige Adlige eine Selbstverständlichkeit gewesen sein (so Dieter Speck in seinem Beitrag zum "Vorderösterreichischen Adel", hier 203), während sich etwa das sozial breitere universitäre Milieu mit dieser Art der "Internationalität" deutlich schwerer tat. Eine wichtige Ergänzung zu diesem Eindruck hätte ein Beitrag zur kirchlichen Organisation und dem entsprechenden Personal bieten können, den man in der Gesamtanlage des Bandes vermisst. Hier ist auf die angekündigte Publikation der Vorträge eines Reichenau-Kolloquiums vom Frühjahr 2004 hinzuweisen [2], die eine wertvolle Ergänzung des vorliegenden Bandes verspricht.
Insgesamt zeigen die versammelten Beiträge, die bis auf wenige Ausnahmen jüngere Forschungen auf hohem Niveau präsentieren, ein facettenreiches Bild des Untersuchungsraumes, der durch seine Grenzlage ein äußerst spannendes Analyseobjekt bildet. Angesichts der thematisch weitgestreuten Zugriffsweisen trägt das angefügte Orts- und Personenregister noch erheblich zur Benutzbarkeit des Bandes bei, der nicht die Geschlossenheit eines Überblickswerks erreicht, aber dennoch durch inhaltliche Kohärenz besticht.
Anmerkungen:
[1] Raphaël de Smedt (Hg.): Les Chevaliers de l'Ordre de la Toison d'or au XVe siècle: notices bio-bibliographiques (= Kieler Werkstücke, Reihe D: Beiträge zur europäischen Geschichte des späten Mittelalters; 3) , 2. Auflage, Frankfurt a.M. 2000.
[2] AHF-Information. 2004, Nr. 042, URL: http://www.ahf-muenchen.de/Tagungsberichte/Berichte/pdf/2004/042-04.pdf.
Klaus Oschema