Holger Thomas Gräf / Katrin Keller (Hgg.): Städtelandschaft - Réseau Urbain - Urban Network. Städte im regionalen Kontext in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (= Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster. Reihe A: Darstellungen; Bd. 62), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, XV + 226 S., ISBN 978-3-412-17803-1, EUR 34,90
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Die Fragen nach den Funktionen von Städten in ihrem jeweiligen Umland sowie ihr Beitrag zur sozialen, demografischen und mentalitätsgeschichtlichen Urbanisierung Europas führten, ausgehend von geografischen Ansätzen und angelsächsischen Forschungen, in der letzten Zeit zu einer intensiven Diskussion über Städtelandschaften. Sind sie allein herrschaftlich oder gar geografisch definierbar oder letztlich politisch determiniert? Kann man sie überhaupt wissenschaftlich sauber beschreiben? Heftig wird in vielen Beiträgen mit der These beziehungsweise Differenzierung Franz Irsiglers von der 'Städtelandschaft' (Raumeinheit mittlerer Größe mit unterschiedlichen Grad der Urbanisierung) und 'Stadtlandschaft' (Städte dominieren in einer Raumeinheit) gerungen. Derartige Überlegungen finden sich in der angelsächsischen wie in der französischen Stadtgeschichtsforschung, wovon die Beiträge von Peter Borsay und René Favier zeugen. Abgesehen von einem Ausblick nach Norwegen (Ida Bull) berühren die übrigen Beiträge Regionen im mittelalterlichen beziehungsweise frühneuzeitlichen Reich. Exemplarisch werden der Oberrhein, Oberschwaben, Franken, Österreich (Herbert Knittler, Andrea Pühringer), Böhmen (Petr Vorel) behandelt. Regionale Netzwerke einer Minderheit, nämlich der Juden im westfälisch-sächsischen Raum, weisen auf alternative Verbindungen hin, die Teile städtischer Bevölkerung in mehreren Orten beleuchten (Rosemarie Kosche). Die Beziehung zwischen Stadtansichten und Landschaft untersucht ein abschließender Beitrag (Ulrike Valeria Fuss).
Instruktiv und für den Historiker vielleicht etwas befremdend sind die Schwierigkeiten innerhalb der Diskussion im Fache Geografie. Während die Historische Geografie mit derartigen Begriffen arbeitet, lehnt es die Anthropogeografie ab (Winfried Schenk). Dahinter steckt die Frage, ob eine 'Landschaft' realexistierend oder ein menschliches Gedankenkonstrukt sei. Die von Historikern bisweilen plakativ vorangetragene Theorie der zentralen Orte ist, wie teilweise die gesamte historisch ausgerichtete Geografie, im Herkunftsfach praktisch überholt. Stattdessen werden Städtenetze als Ansatzpunkt für die Erklärung von Beziehungen im Raum bevorzugt. Dafür ist die Erforschung mittelalterlicher Wegenetze eine Grundforderung. Städte sind auch - entgegen der bekannten Christaller'schen Theorie - nicht gleichmäßig verteilt, wie ein Blick an den Oberrhein eindrucksvoll demonstriert (Tom Scott). Der Gegensatz zwischen Stadt und Land verwischt sich dabei umso mehr, je mehr Handwerk in ländlichen Regionen sich ansiedelt. Dann konzentriert sich der Export des Produzierten noch in Städten. Daneben kann ihre Funktion als verwaltungsmäßige Mittelpunkte einer Herrschaft angeführt werden (Amtsstädte). Zuverlässig einen Grad der Urbanisierung festzulegen erschwert sich zunehmend dann, wenn die wie auch immer definierte Städtelandschaft vornehmlich aus Kleinstädten und Märkten besteht. In Oberschwaben werden diese etwa von Augsburg und Ulm, in zweiter Linie von Memmingen und Kaufbeuren dominiert (Rolf Kießling). Auf dem wirtschaftlichen Sektor lässt sich Dominanz und Konkurrenz auf der Ebene der Barchentproduktion und Montanindustrie beobachten. Die Vorherrschaft Augsburgs basiert auf einer gewissen Monopolstellung im Bereich des Kapitalmarktes, aber auch auf der politischen Ebene durch die effiziente reichsstädtische Diplomatie - ähnlich wie in Nürnberg für die benachbarten Reichsstädte. Die Vorrangstellung Augsburgs wurde aber stets von Ulm in Frage gestellt, sodass ein einfach strukturiertes Hierarchiemodell nicht erkennbar ist. Städtelandschaften verändern sich im Laufe der Jahrhunderte - eine Binsenweisheit, die aber nicht immer einfach nachzuweisen ist. Der Beitrag von Rudolf Endres versucht dies für die Geschichtslandschaft Franken.
Der Band wird die Diskussion in diesem Bereich zweifellos beleben und zeigt so, ganz en passant, wie wichtig eigenständige Forschungsinstitute wie jenes für vergleichende Städtegeschichte in Münster für den wissenschaftlichen Diskurs sind.
Helmut Flachenecker