Bettina Braun / Katrin Keller / Matthias Schnettger (Hgg.): Nur die Frau des Kaisers? Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 64), Wien: Böhlau 2016, 272 S., ISBN 978-3-205-20085-7, EUR 60,00
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Ausgerechnet die Kaiserinnen des 16. bis 18. Jahrhunderts werden erst jetzt - 2016 - mit dem vorzustellenden Band als Akteurinnen in die Erforschung der Reichs- und Dynastiegeschichte einbezogen. Zwar wurde ein solches Projekt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ins Auge gefasst, es blieb jedoch im Zettelkasten stecken, während "Die Churfürstinnen und Königinnen auf dem Throne der Hohenzollern" bereits 1886/7 eine umfassende Würdigung erfahren haben, in der es zwar nicht an hagiografischen Zügen fehlt, die aber auf einer breiten Quellengrundlage fußt und bis heute unverzichtbar ist. Hauptgrund für diesen blinden Fleck ist die Verortung der Kaiserin als Ehefrau des Kaisers ohne eigenes Handlungspotential: Sie verschwindet aus dem Blickfeld der Historiker, sobald sie als Objekt der imperialen habsburgischen Heiratspolitik und als Mutter des zukünftigen Herrschers ihre Funktion erfüllt hat - entsprechend dem Verständnis der Politikgeschichtsschreibung des 19./20. Jahrhunderts, für die sich die 'bürgerlichen' Normierungen der Geschlechterverhältnisse mit einem engen Politikbegriff verbanden. Erzherzogin und Kaiserin Maria Theresia war nur "die Ausnahme ihres Geschlechts". Tatsächlich war in den habsburgischen Hausverträgen für Witwen keine mütterliche Vormundschaft und keine vormundschaftliche Regentschaft vorgesehen, ebenso wenig wie im Reich als Wahlmonarchie die politische Teilhabe der Kaiserin.
Zur Erschließung des Handlungspotentials der ranghöchsten Frau im Reich greift die Mitherausgeberin Katrin Keller einleitend auf das Konzept "dynastische Herrschaft" zurück, das auf den multidisziplinären Forschungen der historischen Frauen- und Geschlechtergeschichte zu hoch- und niederadeligen Frauen sowie der Hof- und Residenzenforschung fußt. "Dynastie" eröffnet einen Raum, in dem das Handeln der Kaiserin nicht den modernen Dichotomien öffentlich-privat oder formell-informell, nicht der Polarisierung der Geschlechtscharaktere unterworfen ist, sondern den Agierenden wechselnde dynastische Positionen und Konstellationen, insbesondere die des "regierenden Paares" bietet. Die von Keller entwickelten sechs dynastisch relevanten Handlungsfelder - Familie und Familienpolitik, Fürbitte, Vernetzung, Repräsentation, Förderung von Religion und Kirche, Politikberatung - dienen als Leitfaden für die Beiträge zu einzelnen Kaiserinnen, um die Befunde messbar und vergleichbar zu machen. Die Ausgangssituation skizziert die Mediävistin Amalie Fößel als Spannungsfeld, in dem sich spätmittelalterliche Kaiserinnen in Zeiten der Herrschaftsverdichtung bewegten. Einerseits waren sie "von gots gnaden Römische Kaiserin, zu Allen zeiten mererin des Reiches und Kunigine", durch die Krönung legitimierte aktive Teilhaberin am Kaisertum, andererseits bezeichnete "Kaiserin" die Ehefrau des Kaisers, die mit der Heirat in den Stand des Ehemannes eintrat und ihm Gehorsam schuldete.
Die instruktiven Beiträge zu zwölf von 24 Kaiserinnen der Frühen Neuzeit (ergänzt um zwei Erzherzoginnen als spanischen Königinnen), von Bianca Maria Sforza, der zweiten Gemahlin Maximilians I., bis zur letzten Kaiserin Maria Theresia von Neapel-Sizilien, der Gemahlin von Kaiser Franz II., bieten ein breites Spektrum von Handlungsprofilen: als erste, zweite oder dritte Gemahlin oder als Witwe, geprägt von persönlichen Umständen, Konstellationen am Hof und der europäischen Politik, vom Verhältnis zum Gemahl, der Rolle von Kinderlosigkeit und kulturellen Interessen. Konstant blieb allerdings die hohe Bedeutung der Repräsentation - sei es die repräsentative Frömmigkeit oder die Förderung von Musik und Theater am Hof -, die Übernahme der Fürbitte als "Landesmutter" sowie die Pflege der Beziehungen zur Herkunftsdynastie, die die Vermittlung in Konflikten, die entschiedene Förderung von nahen Verwandten oder sogar diplomatische Aufgaben einschloss. Die Frage, welche Rolle das Reich für das Selbstverständnis der Kaiserinnen spielte, wird vorerst nur im Hinblick auf die Krönung zur Kaiserin bearbeitet, kaum im Hinblick auf Reichsferne oder Reichsnähe. Als eigentlicher Handlungsort der Kaiserin erscheint nur der Kaiserhof, wo sie in einer Aura der Unnahbarkeit und Abgehobenheit lebte und zeremoniell ikonisiert wurde.
Die Veränderungen in den Herkunftsdynastien der Kaiserinnen (Habsburg, Gonzaga, Pfalz-Neuburg, Welfen, Bourbonen) zeigen nicht allein die Schwierigkeiten der Habsburger, gleichrangige katholische Ehepartnerinnen zu finden, sondern werfen auch die Frage auf, ob und inwieweit das abnehmende dynastische Kapital der Kaiserinnen ihre Handlungsfähigkeit tangierte. Es scheint, dass im 16. Jahrhundert das innerdynastische Konnubium der Habsburger seine Katholizität stärkte. So ist es der durchsetzungsstarken Kaiserin Maria von Spanien zu verdanken, dass Maximilian II. das Kaiserhaus nicht protestantisch machte. Auch Maria Ana de Austria, erste Gemahlin Ferdinands III., und Eleonore Magdalena von Pfalz-Neuburg, die dritte Gemahlin Leopolds I., übernahmen in schwierigen Zeiten politische Aufgaben, die nicht für sie vorgesehen waren. So nahm Maria Anas am Geheimen Rat teil und Eleonore Magdalena führte nach dem Tod Josephs I. die Regentschaft. Die Begrenztheit der dynastischen Handlungsfelder einer Kaiserin zeigt Bettina Brauns Vergleich mit der Rollenverteilung des Ehe- und Amtspaars Maria Theresia und Franz von Lothringen. Der "Prinzgemahl" errang als gekrönter Kaiser eine eigene Legitimation, die durch Maria Theresias Beauftragung mit landesherrlichen Aufgaben noch gefestigt wurde. Dagegen fielen für ihn zentrale Aufgaben wie die Kontaktpflege zur Herkunftsdynastie weg, da der Prinzgemahl selbst an der Spitze des Hauses Lothringen stand.
Die Handlungsprofile der Kaiserinnen weisen viele Ähnlichkeiten mit denen der Reichsfürstinnen und Reichsgräfinnen auf, aber auch erhebliche Unterschiede. So blieben die Kaiserwitwen am Wiener Hof, wenn sie nicht in ein Kloster eintraten; in beiden Fällen übten sie weiterhin erheblichen politischen Einfluss aus. Über die Verwaltung und Bewirtschaftung eines Wittum wird erstaunlicherweise in keinem der Beiträge berichtet, ihre finanzielle Lage nur gelegentlich tangiert. Kaiserin Maria war anscheinend in stetigen Geldnöten, sodass die Kurie ihr Geldgeschenke zukommen ließ. Auch Maria Ana de Austria kam nicht mit ihrem Deputat von 50 000 Gulden aus und hinterließ - wie Eleonore Magdalena von Pfalz-Neuburg - hohe Schulden. Im Reich hingegen zogen sich fürstliche Witwen auf ihr Wittum zurück, wo sie in beschränktem Rahmen über Herrschaftsrechte verfügten, die Memoria des Gemahls pflegten, Familienpolitik betrieben und ihr Mäzenatentum entfalten - meist weit entfernt vom Zentrum der Macht.
Unterschiede zeigen auch die kulturellen Interessen. Während Eleonora d.Ä. und Eleonora d.J. den Kaiserhof zu einem Zentrum der italienischen Musik machten, traten protestantische Reichsfürstinnen und Reichsgräfinnen als Autorinnen in der Öffentlichkeit hervor, wie etwa Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg im 16. Jahrhundert oder Reichsgräfin Benigna von Solms-Laubach Ende des 17. Jahrhunderts. Reichsfürstinnen gründeten bereits 1619 die "Tugendliche Gesellschaft" zur Förderung des Hochdeutschen, Kaiserinnen den Damenorden der "Sklavinnen der Tugend" und - als Gegenstück zum Orden vom Goldenen Vlies - den Kreuzsternorden.
Es zeichnet sich ab, dass dynastische Herrschaft im Kaisertum etwas anderes als im Reichsfürsten- und Reichsgrafenstand bedeutete und eher den anderen europäischen Monarchien vergleichbar erscheint. Es ist das große Verdienst dieses Bandes, das Wissen über die Handlungsoptionen der Kaiserinnen auf eine solide Grundlage gestellt zu haben, wenngleich einige Fragen offen geblieben sind. Darüber hinaus eröffnet er neue Perspektiven für die Erforschung dynastischer Herrschaft und ihrer Grenzen im europäischen Kontext.
Heide Wunder