Jochen P. Laufer / Georgij P. Kynin (Hgg.): Die UdSSR und die deutsche Frage 1941-1948. Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation. Bd. 1: 22. Juni 1941 bis 8. Mai 1945, Berlin: Duncker & Humblot 2004, CXVI + 715 S., ISBN 978-3-428-11557-0, EUR 88,00
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Jochen P. Laufer / Georgij P. Kynin (Hgg.): Die UdSSR und die deutsche Frage 1941-1948. Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation. Bd. 2: 9. Mai 1945 bis 3. Oktober 1946, Berlin: Duncker & Humblot 2004, CXLVIII + 805 S., ISBN 978-3-428-11558-7, EUR 88,00
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Jochen P. Laufer / Georgij P. Kynin (Red.): Die UdSSR und die deutsche Frage 1941-1948. Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation. Bd. 3: 6. Oktober 1946 bis 15. Juni 1948, Berlin: Duncker & Humblot 2004, CXVI + 780 S., ISBN 978-3-428-11559-4, EUR 88,00
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Jochen P. Laufer / Georgij P. Kynin (Hgg.): Die UdSSR und die deutsche Frage 1941-1949. 18. Juni 1948 bis 5. November 1949, Berlin: Duncker & Humblot 2012
Adam Daniel Rotfeld / Anatoly Torkunov (eds.): White Spots - Black Spots. Difficult Matters in Polish-Russian Relations 1918-2008, Pittsburgh, PA: University of Pittsburgh Press 2015
Jochen P. Laufer / Georgij P. Kynin (Hgg.): Die UdSSR und die deutsche Frage 1941-1949. 18. Juni 1948 bis 5. November 1949, Berlin: Duncker & Humblot 2012
Jochen P. Laufer / Martin Sabrow (Hgg.): Die UdSSR und die beiden deutschen Staaten 1949-1953. Dokumente aus deutschen und russischen Archiven, Berlin: Duncker & Humblot 2023
Eine 1996-2003 in russischer Sprache publizierte Dokumentation zur sowjetischen Deutschlandpolitik in den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren, vom 22. Juni 1941 bis zum 15. Juni 1948, ist nun auch in deutscher Übersetzung erschienen. Eine gewichtige Edition: die drei Bände bringen es zusammen auf gut 2600 Druckseiten. Sie bieten 496 Dokumente, die vor allem für die Nachkriegszeit großenteils noch gar nicht oder nur in russischer Sprache veröffentlicht waren.
Die Herausgeber und Bearbeiter, Jochen Laufer vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung und Georgij Kynin vom Historisch-Dokumentarischen Departement des Moskauer Außenministeriums, haben für die Edition russischer Dokumente Maßstäbe gesetzt: Die Dokumente sind mit wenigen Ausnahmen ungekürzt wiedergegeben; alle Bemerkungen, die im Zuge ihrer Verwendung auf den Dokumenten gemacht wurden, sind festgehalten; in einem Anmerkungsteil von insgesamt über 300 Seiten werden Entstehung, Bezüge und Folgen der Dokumente erläutert. Auch wenn das bisweilen zu umfangreich ist, so sind die zahlreichen Verweise auf weitere veröffentlichte und unveröffentlichte Dokumente, zum Teil sogar mit Textzitierungen, zweifellos ein Gewinn. Inhaltliche Einleitungen, regestenartige Verzeichnisse der Dokumente, Personenregister mit den wichtigsten biografischen Angaben sowie Sach- und geografische Register erleichtern dem Benutzer die Arbeit und zeugen von Sorgfalt und Sachkenntnis.
Die Dokumente bieten Einblicke, die man sich zu Sowjetzeiten nicht einmal zu erträumen gewagt hätte. Die Deutschlandpolitik gehörte zu den Bereichen, in denen Stalin sich die Entscheidungen selbst vorbehielt beziehungsweise an die er niemanden unaufgefordert heranließ, wie Wjatscheslaw Molotow und Nikita Chruschtschow später ihren Zuhörern oder Lesern mitteilten. Nach dem Ende der Sowjetunion hat nur Wladimir Semjonow, 1945-1953 als "Politischer Berater" und Vertreter des Außenministeriums in Berlin-Karlshorst tätig, in seinen Erinnerungen etwas von seinem Wissen über die sowjetische Deutschlandpolitik der Stalin-Zeit preisgegeben. Allerdings hat er seine Erinnerungen ohne schriftliche Unterlagen verfasst, und so ist vieles von dem, was er als Tatsachen berichtet, fraglich.
Hier nun bedeutet die Publikation von Originaldokumenten erheblichen Gewinn. Sie ist durch die verbesserte Freigabepraxis in Russland, durch den Einsatz der von Kanzler Kohl und Präsident Jelzin eingerichteten deutsch-russischen Historikerkommission zur gemeinsamen Erforschung der jüngeren Vergangenheit der deutsch-russischen Geschichte und das Entgegenkommen des Archivs für Außenpolitik der Russischen Föderation möglich geworden. Wir haben nun Einblicke in interne Anweisungen an die Vertretungen im Ausland und, umgekehrt, deren Berichte an das Außenministerium, in Memoranden von Kommissionen und Abteilungen für die Vorgesetzten bis hin zum Minister und gelegentlich auch Stalin, in Aufzeichnungen von Gesprächen zwischen ausländischen Botschaftern und Vertretern des Ministeriums.
Allerdings ist das politische Gewicht der Dokumente im Kriegsband größer als in den Nachkriegsbänden, und es werden keineswegs alle Fragen beantwortet, die zur sowjetischen Deutschlandpolitik noch offen sind. Was wir vor uns haben, das sind vielmehr Mosaiksteinchen, die sich irgendwann zu einem bislang nur in Umrissen aufscheinenden Gesamtbild zusammensetzen lassen werden. Die Herausgeber machen daraus keinen Hehl. Es sind für dieses Defizit vor allem folgende Gründe verantwortlich:
1. Es werden mit Ausnahme zweier Aufzeichnungen von Gesprächen Stalins mit SED-Führern nur Dokumente aus dem Archiv des Außenministeriums veröffentlicht. Doch das Ministerium (bis März 1946 Kommissariat) war weder in den Deutschland als ganzes noch in den allein die Sowjetische Besatzungszone betreffenden Fragen die einzige oder ausschlaggebende Instanz. Das gilt besonders für die Nachkriegszeit, weil aus der sowjetischen Politik gegenüber Deutschland angesichts des Konflikts unter den Alliierten mehr und mehr sowjetische Politik in der eigenen Besatzungszone Deutschlands wurde. In vielen Fragen war das Außenministerium gar nicht beteiligt, bisweilen nicht einmal informiert. Das gilt selbst für Fragen, die das Verhältnis zu den Alliierten direkt betrafen und beeinflussten: Demontagen, Reparationen, Entnazifizierung, Zulassung politischer Parteien. So wurden zum Beispiel die deutschen Zentralverwaltungen, ein wichtiger Diskussionspunkt in den Beziehungen zu den Westmächten, unter Umgehung des Außenministeriums am 27. Juli 1945 in der SBZ gegründet (2/ LXV). Über viele Maßnahmen in der SBZ musste man sich durch die Nachrichtenagentur TASS oder Zeitungen informieren lassen (2/ 26). Die Herausgeber selbst konstatieren deshalb (2/ X): "Die entscheidenden Impulse für die sowjetische Politik in Deutschland gingen auch nach der deutschen Kapitulation nicht vom Außenkommissariat in Moskau aus."
2. Entscheidungsvorgänge der höheren Ebenen wie Regierung, Politbüro und "Instanz" (Stalin) sind, auch wenn das Außenministerium beteiligt war, praktisch nicht dokumentiert. Aus den Dokumenten selbst geht nicht hervor, warum Vorlagen aus dem Ministerium abgelehnt oder weiterverfolgt wurden. Selbst die Ansicht Molotows zu den Vorlagen wird nur ganz selten und wenn, dann sehr wortkarg ("einverstanden") sichtbar. Es werden zwar viele Memoranden und Berichte für die Vorgesetzten bis hin zur höchsten Instanz, aber insbesondere für die Nachkriegszeit kaum Anweisungen von oben nach unten dokumentiert.
3. Den Bearbeitern standen weder alle Deutschland betreffenden Dokumente noch auch nur die vollständigen Bestandsverzeichnisse des Archivs des Außenministeriums zur Verfügung. Der Benutzer und zumindest auch der deutsche Bearbeiter wissen deshalb nicht einmal, um welche Fragen es in den nicht zugänglichen Dokumenten geht. Besonders wichtige und deshalb chiffrierte Telegramme zwischen den Auslandsvertretungen und dem Ministerium sind zum Beispiel gar nicht enthalten. Es ist wenig tröstlich zu wissen, dass selbst hochrangige Ministeriumsmitarbeiter keineswegs alle Informationen erhielten, die man für selbstverständlich hält. So führen die Herausgeber die bezeichnende Klage des stellvertretenden Außenkommissars Maiski vom 24. November 1944 darüber an, dass "die chiffrierten Telegramme der Botschaft zu den in seine Zuständigkeit fallenden Fragen mit beträchtlicher Verspätung oder überhaupt nicht bei ihm eingingen" (1/ XXIX).
Nach all diesen Einschränkungen hinsichtlich der Reichweite der Dokumentation ist allerdings ebenso zu betonen, dass sie wichtige neue Kenntnisse vermittelt. So ist es für unser Verständnis des Stalinschen Systems höchst interessant zu erfahren, dass das Außenministerium und sein Apparat in vielen genuin außen- und deutschlandpolitischen Fragen offenbar entbehrlich waren und dass Funktionäre, die von außen wie Machtteilhaber wirkten, tatsächlich eher Ohnmacht als Macht teilten. An der im Außenkommissariat seit 1943 intensiv betriebenen Planung zur Behandlung Deutschlands ist die tatsächliche Politik jedenfalls weitgehend vorbeigegangen, ebenso an vielen Vorschlägen, die nach Kriegsende im Moskauer Ministerium oder in seiner Berliner Dependance, beim Politischen Berater Semjonow, ausgearbeitet wurden.
Viele Beobachtungen ließen sich zu diesen und anderen Fragen anführen. Wichtiger ist es jedoch, auf das aufmerksam zu machen, was sich mit allem Vorbehalt als roter Faden sowjetischer Deutschlandpolitik erkennen lässt und unsere Kenntnisse, vielleicht sogar Erkenntnisse fördert. Für die Kriegszeit gilt dies insbesondere hinsichtlich der Frage der Aufteilung Deutschlands in Einzelstaaten. Mit aller Klarheit wird deutlich, dass Stalin schon am 21. November 1941 nicht nur die Abtrennung von Randgebieten und die Wiedererrichtung eines unabhängigen Österreich, sondern auch die Aufteilung des restlichen Deutschland in mehrere Staaten für notwendig erklärte und an dieser Auffassung bis Ende des Krieges festgehalten hat.
Aufschlussreich ist dabei allerdings auch das taktische Vorgehen. Aus Misstrauen gegenüber den Alliierten und im Interesse der Außenwirkung, nicht zuletzt auf die Deutschen, sollte den Alliierten die Initiative in dieser und anderen Fragen der Bestrafung Deutschlands überlassen werden. So geht es etwa aus einem Memorandum des stellvertretenden Außenkommissars Wyschinski vom Oktober 1943 zur Vorbereitung der Konferenz von Teheran hervor (1/ 231). Das Misstrauen Stalins gegenüber den Verbündeten war nach Aussage der Dokumente von Anfang bis Ende des Krieges abgrundtief. Die Furcht, in der Aufteilungsfrage von den Alliierten den "Schwarzen Peter" zugeschoben zu bekommen, kommt auch in Anweisungen an den sowjetischen Vertreter in der Aufteilungskommission zum Ausdruck, die nach Jalta gebildet wurde (1/555). Stalins öffentliches Bekenntnis zur Einheit Deutschlands vom 9. Mai 1945 lag ganz auf dieser Linie. Sie hat es der Sowjetunion jahrzehntelang ermöglicht, sich als Wahrer der Einheit Deutschlands auszugeben.
Der Kern der "deutschen Frage" - Teilung oder Einheit - betrifft allerdings nicht die Kriegs-, sondern die Nachkriegszeit. Die Herausgeber meinen, auf Grund der Dokumente eine gerade Linie von den Aufteilungsabsichten Stalins während des Krieges über dessen Besatzungszonenstrategie zur bewusst angesteuerten Teilung ziehen zu können. Aber diese Auffassung muss man nicht teilen. So wird, um nur ein Indiz anzuführen, in keinem der publizierten Nachkriegsdokumente diese Absicht direkt ausgesprochen und, wie während des Krieges hinsichtlich der Aufteilungspläne, betont, dass den Alliierten aus taktischen Gründen der "Schwarze Peter" für eine solche Entwicklung zugeschoben werden soll. Dennoch wird man den Dokumenten eine durchgängige Präferenz zur Bewahrung absoluter Handlungsfreiheit in der eigenen Besatzungszone entnehmen, sobald nur die Rede auf die Einrichtung gesamtdeutscher Institutionen und Regelungen kam. Die Mitsprachemöglichkeit in den Westzonen schien dagegen zweitrangig zu sein.
Die sowjetischen Dokumente weisen sogar für den Fall, dass alliierte Regelungen sowjetischen Wünschen entsprochen hätten, wenig Interesse aus. So verwendete Molotow auf der Potsdamer Konferenz keinerlei Energie darauf, einen unter Federführung Maiskis ausgearbeiteten Reparationsplan durchzusetzen, bezeichnete dagegen das in Potsdam beschlossene "Zonenprinzip" als "Schritt nach vorn" (2/ 81). Bewahrung der Handlungsfreiheit in der eigenen Zone - das war die Maxime in diesen und ähnlichen Fragen, etwa der Festlegung eines Industrieniveaus in Deutschland, der Währungsreform und der Einführung von Zentralverwaltungen. Man lehnte beispielsweise im August 1946 amerikanische Vorschläge zur Währungsreform aus durchaus legitimen Gründen ab, konnte sich aber erstaunlicherweise auch nicht auf einen eigenen Vorschlag verständigen (2/ LIII, 630-632). Entsprechende Entwürfe wurden aus Gründen, die aus den Dokumenten nicht hervorgehen, nicht weiterverfolgt.
Das ist besonders pikant, weil die einseitige Währungsreform in den Westzonen und den Westsektoren Berlins den Anlass für die Aufkündigung der Kontrollratszusammenarbeit am 20. März 1948 und die Blockademaßnahmen in Berlin bildete. Soweit aus den sowjetischen Dokumenten ersichtlich, wurde der Beschluss zu den Blockademaßnahmen jedoch intern keineswegs mit dem Vorgehen der Westmächte begründet. Auch die Währungsreform in der eigenen Zone wurde unabhängig von den Maßnahmen der Westmächte vorbereitet. Nach Maßgabe der vorliegenden Dokumente muss man deshalb mit den Bearbeitern schließen, dass der Zweck der Blockade nicht die Verhinderung der separaten Weststaatsbildung und die Erzwingung der Zusammenarbeitsbereitschaft der Westmächte, sondern ihre Vertreibung aus Berlin war. Diese Absicht brachte Stalin am 26. März 1948 gegenüber den SED-Führern zum Ausdruck (3/ 546).
Das letzte Wort hinsichtlich der sowjetischen Absichten in Berlin und in Deutschland ist damit sicher noch nicht gesprochen. Vielleicht ist die DDR, wie man in Anlehnung an Wilfried Loth sagen könnte, ein ungeliebtes, aber doch gewolltes Kind Stalins gewesen.
Bernd Bonwetsch