Ralf-Peter Fuchs: Hexenverfolgung an Ruhr und Lippe. Die Nutzung der Justiz durch Herren und Untertanen (= Forum Regionalgeschichte; Bd. 8), Münster: Ardey-Verlag 2002, 202 S., ISBN 978-3-87023-080-7, EUR 12,90
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Guido von Büren / Ralf-Peter Fuchs / Georg Mölich (Hgg.): Herrschaft, Hof und Humanismus. Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg und seine Zeit, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2018
Ralf-Peter Fuchs: Ein 'Medium zum Frieden'. Die Normaljahrsregel und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges, München: Oldenbourg 2010
Bei der Erforschung der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung spielen die regionalgeschichtlichen Studien eine zentrale Rolle, stellen sie uns doch die Grundlagen zur Verfügung, um das Phänomen überhaupt im Detail erfassen zu können. Mithilfe des Vergleiches in europäischer Perspektive haben insbesondere Erik Midelfort (1972 zu "Southwestern Germany") und Wolfgang Behringer (1987 zu Bayern) Standardwerke vorgelegt. Viele weitere Arbeiten sind dieser Tradition inzwischen gefolgt, so auch der hier zu besprechende Band von Ralf-Peter Fuchs, der freilich an Umfang absichtlich hinter die Vorbilder zurück tritt und sich in der Fragestellung auf ausgewählte Aspekte konzentriert. Dafür fügt Fuchs eine Edition von Quellen an, die - sprachlich zum Teil recht anspruchsvoll - in den Anmerkungen auch für den Unterricht aufgearbeitet wurden.
Der Raum, den Fuchs in seiner Darstellung behandelt, deckt sich relativ weitgehend mit dem heutigen Regionalverband Ruhrgebiet. Die groben geografischen Eckpunkte der städteorientierten Arbeit sind Wesel, Hamm, Schwerte und Duisburg. Von der frühneuzeitlichen Territorialaufteilung bedeutet das eine spannende Mischung, geht es doch um ein größeres weltliches Herzogtum (die nördlichen Teile der Grafschaft Mark und die östlichen Teile des Herzogtums Kleve in Verwaltungseinheit), um Gebiete des geistlichen Kurfürstentums Köln (Vest Recklinghausen), um die Reichsstadt Dortmund, um Stadt und Stift Essen, um die Stifte Werden und Rellinghausen sowie einige kleinere Gerichte und Herrschaften, die sich eine gewisse Autonomie bewahrt hatten (etwa Horst und Witten).
Das zeitliche Fenster reduziert sich gegenüber vielen anderen Regionen deutlich: Nach einzelnen Zaubereiprozessen im späteren 15. und frühen 16. Jahrhundert setzte eine erste intensivere Verfolgungsphase 1579-1582 ein. Eine zweite Phase folgte von 1588 bis in die 1590er-Jahre, dann war der Höhepunkt der Verfolgungen schon überschritten. Eine Phase 1609-1613 forderte wenige Opfer, die große Verfolgungswelle im Reich um 1629/30 fand keinen Widerhall. Erst 1647-1650 gab es noch einmal eine letzte, "glimpflichere" Verfolgungsphase. Bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts endeten die tödlich Prozesse in der Region, von einer singulären Ausnahme 1705/06 abgesehen.
Bei 198 Opfern (82% Frauen, 18% Männer) konstatiert der Autor insgesamt eine "mittlere" Verfolgungsintensität, was allerdings nicht viel aussagt. Weit wichtiger sind die von Fuchs herausgearbeiteten Unterschiede in der territorialen Verteilung der Opferzahlen, die sehr gut die bisherigen Beobachtungen der Hexenforschung bestätigen: Die Schwerpunkte der Verfolgung lagen im Kurkölner Bereich (94 Opfer im Vest Recklinghausen) und in einigen der kleineren politischen Gebilde. Das dominierende größere weltliche Territorium Kleve-Mark hingegen zeichnete sich durch eine geringe Verfolgungsbereitschaft und wenige Hinrichtungen aus, die zudem überwiegend dort stattfanden, wo die Herzöge und ihre Rechtsnachfolger die Hochgerichtsbarkeit nicht voll und ungestört inne hatten. Bei seiner Suche nach den Ursachen für diese großen Unterschiede weist Fuchs den gegensätzlichen Hexereikonzepten der jeweiligen Herren und ihrer Eliten nur eine partielle Verantwortung zu.
Die markantesten Eckpunkte sind hier der Verfolgungseifer auf der Seite Kurkölns und eine von Fuchs bis in die 1530er-Jahre zurückverfolgte humanistische Skepsis auf der Seite Jülich-Kleve-Bergs, die in Johannes Weyer ihren bekanntesten literarischen Vertreter hatte. Fuchs weiß jedoch um die verschiedenen Faktoren, die zusammen kommen mussten, um eine Verfolgung ausbrechen zu lassen. Während er die wirtschaftlichen und sozialen Faktoren der "Krise des späten 16. Jahrhunderts" (146) und damit die Untertanen in diesem Buch eher kurz abhandelt, gilt sein hauptsächliches Augenmerk den politischen und verfassungsrechtlichen Verhältnissen, die die Verfolgungen jeweils begünstigten oder erschwerten. Ohne umfassendere theoretische Diskussionen über latente oder manifeste Funktionen anzustoßen, konzentriert er sich auf die "Justiznutzung durch die Herren".
Das Bild, das Fuchs von den verfolgenden Herrschaften zeichnet, hat viele Facetten und streicht die sich überlagernden Motivebenen heraus. Hexenprozesse boten vor allem für die kleineren Herrschaften die Möglichkeit zur Demonstration von Gerichts- und Herrschaftsrechten und konnten damit zum "Instrument zur Durchsetzung herrschaftlicher Unabhängigkeit" gegenüber den frühmodernen Staatsgebilden werden (147). Sie waren häufig Teil von Jurisdiktionsstreitigkeiten. Aber auch in Verfahrensfragen manifestierte sich die lokale Autonomie, wenn in der Vestischen Unterherrschaft Horst etwa gegen den obrigkeitlichen Willen Wasserproben zugelassen wurden. Wie wenig die Kurkölner Zentrale die lokale Hexenjustiz in dieser Zeit kontrollierte, zeigte sich sogar an den Verfolgungen, die im Vest Recklinghausen ab 1588 unter umgekehrten Vorzeichen standen. Im Kölner Krieg zwischen dem katholischen Erzbischof und seinem protestantischen Vorgänger stellte sich der junge, karrierebewusste Stadtrichter des Verfolgungszentrums Dorsten, Vinzenz Rensing, entschieden auf die Seite des Erzbischofs und vertrat auch gegenüber dem Rat eine stark landesherrliche Position. Trotzdem gehörten seine Hexenprozesse zu einer ganzen Reihe von militärischen und strafprozessualen Maßnahmen, die er in großer Selbstständigkeit zur Abwehr der inneren und äußeren Feinde ergriff. Seine Belohnung war die Ernennung zum ersten nichtadeligen Statthalter des Vestes.
Im verfolgungsarmen Kleve-Mark nimmt Fuchs im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts zwar eine partielle Erosion der ursprünglichen Skepsis gegenüber dem Hexenglauben wahr. Diese ging mit einer politischen Schwächung durch die Regierungsunfähigkeit der Herzöge, das Aussterben des Hauses und die folgenden Erbauseinandersetzungen einher. Gleichwohl blieben die Räte dauerhaft auf Distanz zu größeren, das Gemeinwesen destabilisierenden Hexenverfolgungen und waren stets mächtig genug, das durchzusetzen. Die zentralisierte (und professionalisierte) staatliche Justiz des frühmodernen Staates wirkte verfolgungshemmend. Man könnte diese Beobachtung über die deutschen Grenzen hinaus bestätigen. [1] Fuchs, durch diverse Studien mit der Reichsjustiz vertraut, rundet seine Betrachtungen mit einem Blick auf das Eingreifen des Reichskammergerichts im Bereich des heutigen Ruhrgebiets ab. Das Reichskammergericht griff den Hexenglauben nicht grundsätzlich an, stand aber mit seinem Festhalten an einem korrekten Verfahren den Hexenverfolgungen entgegen.
Fuchs liefert mit seiner Studie eine wertvolle Bestandsaufnahme des Prozessgeschehens in seiner Region. Das ist ein umso wichtigerer Mosaikstein, als sich im Augenblick eine ganze Gruppe von Hexenforschern mit Territorien beschäftigt, die im Ruhrgebiet zusammen stießen. [2] Fuchs' Ursachenanalyse konzentriert sich auf die herrschaftlichen Verhältnisse, ohne diese allein verantwortlich zu machen. Angesichts einer großenteils sehr schlechten Quellenlage muss sich der Autor manchmal mit seinen Erklärungsansätzen weit nach vorne wagen oder die Segel sogar fast ganz streichen (wie im Fall Dortmunds, 112). Das Dilemma postuliert er aber deutlich. So erweitert das Buch nicht nur unsere Kenntnisse von der Gestalt der Hexenverfolgung, es kann auch bei der Beantwortung der aktuellen Frage nach den Zusammenhängen von Staatsbildung und Hexenprozess nützliche Hinweise geben.
Anmerkungen:
[1] Alfred Soman: Decriminalizing Witchcraft: Does the French Experience Furnish a European Model?, in: Criminal Justice History 10 (1989), 1-22; Brian P. Levack: State-building and witch hunting in early modern Europe, in: Jonathan Barry u.a. (Hg.): Witchcraft in early modern Europe. Studies in culture and belief, Cambridge 1996, 96-115; vgl. auch Johannes Dillinger: Hexenverfolgungen in Städten, in: Gunther Franz / Franz Irsigler (Hg.): Methoden und Konzepte der historischen Hexenforschung (= Trierer Hexenprozesse, Quellen und Darstellungen; Bd. 4), Trier 1998, 129-165.
[2] Münster: Gudrun Gersmann; Kurköln / Köln: Thomas Becker, Peter Arnold Heuser, Gerd Schwerhoff; Herzogtum Westfalen: Rainer Decker; Jülich-Kleve-Berg: Erika Münster-Schröer.
Jürgen Michael Schmidt