Ralf-Peter Fuchs: Ein 'Medium zum Frieden'. Die Normaljahrsregel und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges (= bibliothek altes Reich (baR); Bd. 4), München: Oldenbourg 2010, X + 427 S., ISBN 978-3-486-58789-0, EUR 59,80
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Das historische Bewusstsein verortet das sogenannte Normaljahr gemeinhin als Teil der Regelungen des Westfälischen Friedens, in denen die Streitfrage gelöst wurde, wem welche geistlichen Güter gehören sollten. Mit dem 1. Januar 1624 wurde ein Stichdatum festgelegt, das als rechtsverbindliche Richtschnur im Streit um den Kirchenbesitz und den damit verbundenen Rechten zu gelten hatte. In seiner Münchener Habilitationsschrift aus dem Jahr 2008 zeigt Ralf-Peter Fuchs, wie weit und umfassend diese Thematik fast die gesamte Periode des Dreißigjährigen Kriegs bestimmt hat. Denn die Diskussionen um eine möglichst eindeutige, kompromissfähige Bestimmung des Besitzes von Kirchengut mithilfe einer Normaljahrsregel setzten bereits früh ein und sollten von da an nicht mehr verstummen. Entsprechend dieses Verlaufs ist die Arbeit chronologisch angelegt.
Der Einstieg mit dem böhmischen Krieg ist mit der Frage nach dem Wesen des Konflikts als Religionskrieg verbunden; die religiöse Konnotation gewinnt mit der Verkündigung des Restitutionsedikts von 1629 erheblich an Bedeutung. Hier erhielt die Frage nach dem Verbleib des Kirchenguts erneut brennende Aktualität, die sich in entsprechenden Anstrengungen äußerte, konfliktregulierende Mechanismen zu entwickeln. Zu ersten Sondierungen kam es im Umfeld des Regensburger Kurfürstentags von 1630, deren Impulse dann der Frankfurter Kompositionstag im darauffolgenden Jahr aufnahm. Ungeachtet der sich ändernden machtpolitischen Lage im Reich suchte man weiter nach einer Lösung in der Kirchengutsfrage, wobei der Prager Frieden 1635 eine neue Regulierung festzuschreiben versuchte. Die Brüchigkeit dieses Friedens beförderte auch neuerliche Diskussionen um das Normaljahr, bis dieses schließlich auf dem Westfälischen Friedenskongress endgültig fixiert wurde.
Allerdings blieben auch noch 1648 viele Fragen offen, wie sich bereits auf dem Nürnberger Exekutionstag zeigen sollte; auch der Reichshofrat als Institution, die die Kommissionen zur Restitution von Kirchengütern einsetzte, traf auf Schwierigkeiten. Der Praxistest des Normaljahrs 1624 steht somit im Mittelpunkt des zweiten Teils der Untersuchung, wobei unterschiedliche Beispiele vorgestellt werden, am prominentesten sicher der Normaljahrskrieg von 1651 zwischen Kurbrandenburg und Pfalz-Neuburg. Hier erweist sich die Normaljahrsregelung als entscheidender Ansatz zum Verständnis eines Konflikts, der bislang durch die dumme Etikettierung als "Kuhkrieg" eher verniedlicht wurde, nun aber in seiner eigentlichen Brisanz deutlich an Kontur gewinnt. Ein Ausblick auf die Behandlung der Restitutionsfrage in den Jahren und Jahrzehnten nach dem Krieg sowie auf weiterhin offen gebliebene Forderungen nach Restitutionen beschließen diesen Part.
Im Laufe des Krieges wurden viele Daten ins Spiel gebracht, die als Normaljahr hätten fungieren können: Jahre des Kriegsbeginns, also 1618/19 und 1620, aber auch frühere Daten wie 1612, und natürlich eine Fülle von Jahren aus dem Verlauf des Kriegs selbst wie 1622, 1627, 1629, 1630 usw. Sicherlich spiegeln diese Daten immer auch die jeweilige Interessenlage des Vorschlagenden sowie die derzeitige militärisch-politische Situation. Dazu verkomplizierten andere Vorstellungen die Verhandlungen. So blieb das Prinzip der Restitution keineswegs unangefochten, trat es doch in Konkurrenz zu dem seit Langem praktizierten Prinzip des "uti possidetis", das gewohnheitsrechtliche Besitzverhältnisse bevorteilte. Hinzu kamen Aspekte, die ganz anders gelagert waren als der Streit über den Besitz von Klöstern und das Recht der Religionsausübung bzw. der Verfügung über den Religionsstatus. Seit den frühen 1630er Jahren spielte verstärkt die Frage nach der Amnestie, also dem friedwirkenden Vergessen, für die am Krieg Beteiligten (die andernfalls erwarten mussten, zur Rechenschaft gezogen zu werden), eine Rolle: Auch hier ging es wiederum um Fristsetzungen, ab wann etwa Kriegshandlungen amnestiert werden sollten.
Ohnehin war die Suche nach einem allseits akzeptablen Normaljahr gar nicht so sehr ein Spiel um Zahlen. Fuchs zeigt vielmehr bereits in der Einleitung, dass hier vielfach der Aspekt der reichsfürstlichen Ehre handlungsleitend war. Zur Stabilisierung und Mehrung der eigenen Ehre konnte nicht nur Wehrhaftigkeit, sondern genauso auch Friedfertigkeit beitragen, eine Tugend, die durchaus dazu geeignet war, die eigene Konfession sichern und den territorialen Bestand wahren zu helfen. Gerade vor diesem Hintergrund lässt sich denn auch ermessen, welch vehementen Schlag das Restitutionsedikt für eine auf Ausgleich setzende Politik, wie etwa im Falle Kursachsens oder Hessen-Darmstadts, bedeuten musste. Das energische Eintreten gegen diesen Akt der kaiserlichen Politik geriet somit zum Dreh- und Angelpunkt der politischen Bemühungen, wobei es nicht nur um die Revision des Edikts ging, sondern auch um die Wiederherstellung des gegenseitigen Vertrauens als Grundlage für einen tragfähigen Frieden.
Dies führt zur Frage nach den eigentlichen Trägergruppen der verschiedenen Normaljahrskonzepte. Als die wichtigsten Exponenten werden hier Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen und Kaiser Ferdinand II. vorgestellt (siehe vor allem 144-149). Die Studie geht allerdings nicht soweit, die Prozesse der Entscheidungsfindung an den jeweiligen Höfen nachzuvollziehen und das Meinungsbild etwa am Dresdner Hof aufzufächern, das sicher nicht so homogen gewesen ist, wie es mitunter erscheint. An dieser Stelle hätte zweifellos schon die grobe Unterscheidung in die beiden Gruppen der theologici und der politici geholfen (Hardliner und Maximalisten die ersteren, Kompromissbereite die anderen), von denen es auf jeder Seite Vertreter gab. Ohnehin enthält die Studie etliche Passagen, in denen man sich eine tiefergehende Problematisierung oder auch nur eine umfassendere Einordnung ins Gesamtgeschehen gewünscht hätte. Dies gilt etwa auch für die hier zahlreich ausgewerteten zeitgenössischen Flugschriften, deren Kontextualisierung mitunter allzu knapp ausfällt. Hier bleiben noch viele Fragen offen, die aber erst in Spezialuntersuchungen zu klären sein werden.
Genauso bleiben in manchen Partien einige Unschärfen im Detail bestehen (beispielsweise beim Regensburger Kurfürstentag 1630). Doch wird man einer Studie solche Lücken zubilligen müssen, wenn sie den schwierigen Versuch unternimmt, ein Phänomen tatsächlich über die gesamte Kriegsdauer zu untersuchen. Überhaupt besteht genau darin der besondere Wert der Arbeit. Es geht nicht bloß um einen Teilaspekt des großen Konflikts, sondern um eine Problematik, die wie nur wenige andere (hier wird man noch an die Frage der pfälzischen Kur denken) nicht nur in bestimmten Phasen des Krieges, sondern permanent von Bedeutung war. Anhand der Normaljahrsfrage entfaltet sich somit ein zentrales Charakteristikum dieses Krieges, das diesen überhaupt erst in seiner Komplexität und Dauer begreifbar macht.
Fuchs geht jedoch noch einen Schritt weiter, wenn er die Wirkungen der Normaljahrsregelung in den Jahrzehnten nach dem Krieg zumindest kursorisch in den Blick nimmt. Der Feststellung, dass das Normaljahr generell einen entscheidenden Impuls für eine gütliche Einigung gegeben habe, stehen immerhin Befunde gegenüber, die darauf hinweisen, dass das Normaljahr immer wieder schlichtweg missachtet oder zumindest lautstark bekämpft, oftmals aber auch für die jeweiligen Belange stark modifiziert und angepasst worden sei. Dieses Ergebnis mag ernüchternd sein, lässt es doch das langjährige Ringen um eine tragfähige Lösung als beinahe gescheitert erscheinen. Zweifellos existierte in Bezug auf das "Medium des Friedens" ein Umsetzungsproblem, und Fuchs selbst wundert sich am Ende der Studie über die "Verordnungsmentalität" (389) der Verhandlungsparteien auf dem Friedenskongress, die Regularien für eine Friedensordnung entwarfen, die nur sehr schwer den betroffenen Untertanen vermittelbar bzw. ihnen gegenüber durchsetzbar waren.
Dies alles darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Studie von Fuchs ein ausgesprochen sperriges Thema über die gesamte Periode des Dreißigjährigen Kriegs hinweg grundlegend erschließt. (Sperrig ist die Thematik übrigens auch deswegen, weil die Begrifflichkeit des Normaljahrs, annus decretorius oder annus normalis, nicht zeitgenössisch ist, sondern sich erst deutlich später, seit Beginn des 18. Jahrhunderts, herausgebildet hat.) Die Arbeit verweist eindrücklich auf den Faktor Konfession im Rahmen dieses Konflikts, stellt insbesondere aber die handlungsleitenden Maximen der reichsfürstlichen Akteure in den Vordergrund und befördert das weitere Verständnis für bestimmte Handlungsmuster. Dabei wird ein weiteres Mal deutlich, welch zentrale Rolle Kursachsen in diesem Krieg zukommt (allerdings auch, wie wenig wir immer noch über diesen Machtfaktor tatsächlich wissen). Die Arbeit kann man im weiteren Umfeld auch als Beitrag zur Erforschung der vormodernen politischen Kultur im Alten Reich betrachten, vor allem aber handelt es sich um eine gewichtige Untersuchung zur Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs.
Michael Kaiser