Werner Freitag (Hg.): Die Salzstadt. Alteuropäische Strukturen und frühmoderne Innovation (= Studien zur Regionalgeschichte; Bd. 19), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2004, 250 S., ISBN 978-3-89534-509-8, EUR 24,00
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Der Sammelband, der auf den Beiträgen einer Sektion des Historikertages 2002 in Halle basiert, setzt sich zum Ziel, Salzstädte als "alteuropäisches Phänomen" zu klassifizieren. Dies geht vor allem aus der Einführung des Herausgebers hervor, die den Titel des Gesamtwerkes aufgreift. Damit wird aber, dies sei bereits hier vorweggenommen, ein Anspruch erhoben, der letztlich nicht eingelöst werden kann. Selbst wenn stillschweigend angenommen wird, dass ausschließlich die Salzstadt im deutschsprachigen Raum Gegenstand der Untersuchung ist, erscheint dennoch die Anzahl der untersuchten Salzstädte sowohl absolut zu gering als auch geografisch zu sehr auf den mittel- und norddeutschen Raum beschränkt.
Der Beitrag "Salinen als exemte Gerichts- und Rechtsbezirke in mittelalterlichen Salzstädten" von Heiner Lück ist trotz des auf Allgemeingültigkeit zielenden Titels fast ausschließlich auf die Stadt Halle an der Saale beschränkt. Der Autor selbst räumt ein, dass die von ihm getroffene "Auswahl nicht repräsentativ" ist (40). Zudem widerspricht die zeitliche Begrenzung des Beitrags auf das Mittelalter ganz offensichtlich einer wichtigen Intention des Sammelbandes, der für den Typus "Salzstadt" die Epochengrenze Mittelalter - Frühe Neuzeit infrage stellt. Davon abgesehen bietet der Aufsatz eine exakte, quellengestützte Darstellung der Gerichtsverhältnisse im Salinenbezirk von Halle, dem so genannten "Tal".
Auch die Untersuchung von Andreas Deutsch zum Schwäbisch Haller "Haalgericht" konzentriert sich auf die Sondergerichtsbarkeit einer Saline. Allerdings wird hier - der Intention des Sammelbandes entsprechend - die Übergangszeit zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit besonders beleuchtet. Anders als in Halle, wo der Stadtherr maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung des salinarischen Sondergerichts hatte, entwickelte sich dieses in Schwäbisch Hall autonom. Ursache hierfür scheint die genossenschaftliche Struktur der Saline mit den stark aufgespalteten Eigentumsanteilen und Siederechten gewesen zu sein. Die zunehmende Verkomplizierung der Berechtigungsverhältnisse führte aber seit dem 16. Jahrhundert dazu, dass die Autonomie der Siederschaft sukzessive zu Gunsten des reichsstädtischen Magistrats verloren ging. Bereits im 17. Jahrhundert fungierte das "Haalgericht" als städtisches Untergericht bei gleichzeitiger Professionalisierung und Kompetenzerweiterung. Als Fazit der Untersuchung kann festgehalten werden, dass im Gegensatz zur These des Sammelbandes, die Epochengrenze zwischen Mittelalter und Neuzeit sei in den Salzstädten ohne Bedeutung, von einer deutlichen Zäsur in der Entwicklung des Schwäbisch Haller "Haalgerichts" um 1500 ausgegangen werden muss.
Michael Hecht bestätigt dagegen in seinem Beitrag zum Salzpatriziat die in der Einleitung als Untersuchungsschwerpunkt vorgegebene These einer epochenübergreifenden Existenz des Typus "alteuropäische Salzstadt". Nach einem Überblick über den Stand der Patriziatsforschung untersucht er für einige mittel- und norddeutsche Salinen, inwieweit ein "Salzpatriziat" als geschlossene Gruppe über die Epochengrenze Mittelalter - Frühe Neuzeit ausgemacht werden kann. Als Kriterien dienen der Einfluss der "Pfänner" auf das Stadtregiment, ihre Besitz- und Einkommensverhältnisse sowie die jeweiligen Versuche, durch Repräsentation die eigene Herrschaft zu legitimieren. Hecht kommt zu dem Ergebnis, dass die Gruppe der Nutznießer der Salinen bis ins 18. Jahrhundert eine Sonder- und Vorrangstellung halten konnten. Als Defizit des Beitrages ist wiederum der Ausschluss der Mehrzahl der deutschen Salinenstandorte zu sehen (vergleiche 84, Anm.5). Damit basiert die Konstituierung eines Typus "alteuropäische Salzstadt" von Anfang an auf einer Engführung.
Die auf der Auswertung auch neuen Quellenmaterials fußende Spezialuntersuchung über "Die Pfännerschaft der Stadt Halle im ausgehenden 15. Jahrhundert" von Manfred Straube kommt - was die Verhältnisse in Halle anbelangt - partiell zu anderen Ergebnissen als Hecht. Straube arbeitet heraus, dass bereits vor den Auseinandersetzungen der Pfänner mit dem Magdeburger Erzbischof (1479 beziehungsweise 1482) die Stadtpolitik keineswegs allein oder überwiegend von der Pfännerschaft geprägt wurde. Andererseits bestätigt Straube, dass die Pfännerschaft trotz der Strafmaßnahmen des Erzbischofs mittelfristig ihre wirtschaftliche Stellung und damit ihren stadtpolitischen Einfluss bewahren konnte, wenn auch die Stadt Halle den Verlust ihrer Eigenständigkeit hinnehmen musste. Wichtig erscheint der Hinweis Straubes, dass es kaum möglich ist, die Rolle eines "Salzpatriziats" ohne Berücksichtigung territorialpolitischer Aspekte zutreffend zu beschreiben. Verdienstvoll ist der Abdruck mehrerer Listen (von 1479 bis 1509), aus denen die Namen der Pfänner hervorgehen, sodass sich der Leser selbst ein Bild von Wandel beziehungsweise Konstanz machen kann. Etwas aus dem Rahmen des Sammelbandes fällt der Beitrag von Michael Rockmann über die "Lutherische Kirchenzucht" in Groß Salze. Die rechtsgeschichtliche Untersuchung bestätigt zwar indirekt die Sonderstellung der Pfännerschaft von Groß Salze, aber der eigentliche Gegenstand der Betrachtung ist doch sehr speziell. Es handelt sich nämlich um die Auseinandersetzung des Pfarrers von Groß Salze mit einigen Mitgliedern der adeligen Pfännerschaft wegen "öffentlicher Unzucht".
Direkten Bezug zur Hauptthese des Sammelbandes nimmt dagegen die Darstellung der "Lüneburger Saline im 18. Jahrhundert" von Axel Janowitz, da hier der Frage nachgegangen wird, inwieweit "alteuropäische" Strukturen Stadt und Saline Lüneburg bis ins 18. Jahrhundert hinein geprägt haben. Der Autor stellt die Gründe für den wirtschaftlichen Niedergang der Saline seit dem 14. Jahrhundert und verstärkt infolge des Dreißigjährigen Krieges dar. Die Absatzkrise schwächte die Position der Sülfmeister und eröffnete dem Landesherrn zunehmend Interventionsmöglichkeiten. Während allerdings technologische Innovationen, die auch die komplizierten Besitz- und Nutzungsstrukturen betroffen hätten, vom Rat der Stadt weitgehend blockiert werden konnten, gelang es dem Landesherrn bereits seit der Reformation, wirtschaftlichen Einfluss auf die Saline zu gewinnen und sukzessive in die Administration der Saline einzugreifen. Dadurch konnte etwa die staatliche Kontrolle der Salzhandelspreise durchgesetzt werden. Dennoch hatten die Maßnahmen zur völligen Umgestaltung der Saline, die auf Initiative des Landesherrn in den Jahren 1794-99 durchgeführt wurden, eine völlig neue Qualität, da nun entscheidend in die seit dem Mittelalter bestehende Organisationsstruktur der Saline eingegriffen wurde. Am Ende der Reformmaßnahmen stand ein technologisch fortschrittlicher, staatlich gelenkter Betrieb. Auch wenn der Autor "das Attribut 'alteuropäisch'" für die Beschreibung der Verhältnisse in Lüneburg für angemessen betrachtet, zeigen seine eigenen Ausführungen, dass die große Salinenreform am Ende des 18. Jahrhunderts nur der konsequente Schlusspunkt eines Prozesses der zunehmenden landesherrlichen Einflussnahme seit dem 16. Jahrhundert war.
Mit den Protagonisten des beschleunigten Wandels, den von aufklärerischem Gedankengut geprägten Beamten, beschäftigt sich der Beitrag von Jakob Vogel, der den treffenden Titel "Visionäre des Fortschritts" trägt. Vogel vergleicht preußische und österreichische Salzstädte um 1800 miteinander und macht deutlich, dass die Umstrukturierung der vom Salz geprägten Städte technologische, soziale, rechtliche und stadttopografische Aspekte aufwies und Teil eines umfassenderen Veränderungsprozesses war. Auch wenn sich Vogel bemüht, Parallelen zwischen den Verhältnissen in Preußen und Österreich zu finden, stechen doch die Unterschiede deutlicher ins Auge. Entscheidend für alle von der Wandlung betroffenen Bereiche ist die völlig unterschiedliche Ausgangslage in beiden Ländern, da in Österreich das Salzwesen bereits in der Frühen Neuzeit vom Landesherrn monopolisiert werden konnte.
Die Folgen des einschneidenden Wandels am Ende des 18. Jahrhunderts untersucht Thomas Hellmuth im abschließenden Aufsatz des Sammelbandes. Am Beispiel der beiden österreichischen Salzstädte Hall in Tirol und Hallein geht er der Frage nach, wie sich die ökonomischen Veränderungen im Laufe des 19. Jahrhunderts auf das soziale Gefüge sowie dessen kulturelle Ausdrucksformen ausgewirkt haben. Der historische Rückblick auf die Produktionsbedingungen sowie auf die Eigentumsverhältnisse der Salinen im Alpenraum macht nochmals deutlich, dass hier gänzlich andere Bedingungen gegeben waren als in Mittel- und Norddeutschland. Materialreich arbeitet der Verfasser die ökonomische und demografische Entwicklung in den beiden Städten heraus und identifiziert die verspätete Modernisierung der beiden Salinen als Hauptursache der wirtschaftlichen und sozialen Krise im 19. Jahrhundert. Sehr aufschlussreich ist Hellmuths Analyse des ökonomischen Bedeutungsverlusts des Salinenwesens und seiner Aufwertung durch Bewahrung beziehungsweise Kreierung von Traditionen. Dadurch konnte etwa die ehemals mit dem Nimbus sozialer Exklusivität ausgestattete Salinenbelegschaft der drohenden Proletarisierung gegensteuern und diese partiell beziehungsweise zeitweise aufhalten. Der an sich sehr verdienstvolle Beitrag von Hellmuth trägt allerdings nichts zur Stützung der These des Sammelbandes bei. Zu bedauern ist, dass der einzige Aufsatz, der sich eingehender mit den Salinen des alpinen Raums beschäftigt, weder zeitlich noch inhaltlich Bezüge zur Zielsetzung des Bandes aufweist. Insgesamt wird der propagierte heuristische Wert des Terminus "alteuropäische Salzstadt" nicht recht nachvollziehbar. Wenig überzeugend ist auch die These, dass die Epochengrenze Mittelalter - Frühe Neuzeit für "Die (!) Salzstadt" keine Bedeutung haben sollte. Dies mag für einzelne Städte vor allem Mitteldeutschlands mit gewissen Einschränkungen zutreffen. Hier kann man der Argumentation des Herausgebers in seinem Basisartikel durchaus folgen. So scheinen für die von ihm gewählten Städte Groß Salze, Halle, Staßfurt, Kolberg, Lüneburg und Werl hinsichtlich Verfassung und rechtlicher Autonomie der Salinenbezirke, der Wirtschaftspolitik sowie des städtischen Patriziats gewisse Strukturen über die Frühe Neuzeit hinaus Bestand gehabt zu haben. Ob allerdings die geringe Auswahl an Salinenstandorten es rechtfertigt, von einem "Typus" zu sprechen, sei infrage gestellt. Eine Verallgemeinerung der These dürfte kaum den Realitäten gerecht werden. Dies hätte etwa ein Blick auf die bayerischen Salinen gezeigt, der jedoch unterblieben ist, obwohl Reichenhall einer der bedeutendsten Salinenstandorte Deutschlands war und - im Gegensatz zu den meisten anderen "Salzstädten" - hier heute noch Salz aus Sole erzeugt wird. Dennoch wäre es um der teilweise recht beachtenswerten Einzelbeiträge Willen schade, wenn dieser Band nicht breit rezipiert würde.
Alfred Kotter