Werner Freitag (Hg.): Mitteldeutsche Lebensbilder. Menschen im Zeitalter der Reformation, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, 255 S., ISBN 978-3-412-08402-8, EUR 22,90
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Die "Mitteldeutschen Lebensbilder" sind eines von vielen hilfreichen biografischen Unternehmen regionaler historischer Kommissionen. Sie wurden von der 1876 gegründeten Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt 1926 begonnen, mussten jedoch ähnlich wie einige andere Lebensbilderreihen nach nur fünf Bänden mit insgesamt 177 biografischen Porträts von Persönlichkeiten des 18. und 19. Jahrhunderts abgebrochen werden. Seit 2002 gibt es eine neue Folge, die im Auftrag der 1990 wieder gegründeten Historischen Kommission für Sachsen-Anhalt mit leicht verändertem Konzept herausgegeben wird. Zum einen erscheinen nun Epochenbände, unter denen der aus der Reformationszeit hier anzuzeigen ist. Zum anderen suchen die Herausgeber bewusst die Nähe zur aktuellen Forschung. Dies bedeutet nicht nur, dass neben den großen Gestalten auch Menschen aus der zweiten Reihe aufgenommen werden, sondern auch, dass in die Lebensbilder gesellschaftliche und kulturelle Brüche sowie frühneuzeitliche Lebensweisen, religiöses Handeln und politisches Kalkül eingebunden werden sollen. Als Kriterium für die Aufnahme dient ein "kleinmitteldeutsches" Konzept, das von der gegenwärtigen Grenzziehung ausgeht, aber zugleich an die Debatte um die Konstruktion eines mitteldeutschen Raumes der 1920er Jahre anknüpfen kann. Dies bedeutet, dass ausschließlich Personen aufgenommen werden, die in den Territorien und Städten auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts gewirkt haben. Damit bildet diese Reihe eine sinnvolle Ergänzung zu den sächsischen Lebensbildern, die von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften seit 1999 wieder herausgegeben werden.
Wie der 2002 erschienene erste Band der neuen Folge zum Spätmittelalter enthält auch der vorliegende Band zehn Biografien von jeweils rund 20 Seiten. Sie sind in drei auf Martin Luther und die Reformation bezogenen Kategorien zusammengestellt. Zu der ersten Gruppe, die seine Wegbereiter und Gegner behandelt, gehört der Dramatiker Joachim Greff. Andrea Seidel enthebt ihn der Vergessenheit, indem sie die zeitgenössische Wirkung seiner auf die konfessionelle Auseinandersetzung bedachten Reformationsdramen herausarbeitet. Monika Lücke porträtiert im Anschluss daran den weitaus bekannteren Zeitgenossen Luthers, Lucas Cranach d. Ä. Es gelingt ihr zu zeigen, dass seine Tätigkeitsfelder weit über das malerische und grafische Schaffen hinauswiesen. Cranach betrieb nicht nur eine Malerwerkstatt, sondern war auch Inhaber einer Apotheke, einer Druckerei sowie einer Weinschenke in Wittenberg. In der letzten Biografie dieser Gruppe stellt Franz Schrader das literarische Schaffen des Kontroverstheologen Michael Vehe in den Mittelpunkt.
Bekannte und unbekannte Fürsten versammelt die zweite Gruppe. Hier begegnet dem Leser der katholisch gebliebene Kardinal Albrecht von Brandenburg (Michael Scholz), der fast vergessene Wolfgang von Köthen-Bernburg (Michael Thomas), der als erster Fürst Anhalts zum lutherischen Glauben übertrat, sowie Georg III. von Anhalt (Peter Gabriel), dem als Bischof im Hochstift Merseburg wenig Erfolg bei der Durchsetzung der Reformation beschieden war.
Während diese Fürstenporträts Einblicke in die politisch-religiösen Handlungsmöglichkeiten in der Reformationszeit eröffnen, sind in der letzten Kategorie vier Gelehrte und Theologen der Generationen nach Luther zusammengefasst. Matthias Meinhardt zeichnet den Karriereweg des aus einfachen Verhältnissen stammenden Theodor Fabricius zu einem der führenden Theologen und Philologen nach und verweist damit einmal mehr auf die Möglichkeiten sozialen Aufstiegs, die Bildung und ein Netzwerk von Förderern und Freunden auch im 16. Jahrhundert boten. Gekonnt skizziert Thomas Kaufmann den Lebensweg des in der Republik Venedig sozialisierten Matthias Flacius Illyricus, der sich als Verfasser der Magdeburger Zenturien dauerhaft in die protestantische Erinnerung eingeschrieben hat. Während ein Großteil des Personals des Luthertums um 1600 einer gründlichen biografischen Aufarbeitung bedarf, leistet Markus Friedrich dies für den streng lutherischen Superintendenten von Halle, Johannes Olearius. Abschließend bindet Heiner Lück den Rechtslehrer Matthäus Wesenbeck in die europäische Rechtsgeschichte während der 'Rezeption' ein und verweist auf das trotz eingehender biografischer Würdigung bestehende Desiderat, seine über 500 im Universitätsarchiv Halle erhaltenen Spruchkonzepte einer gründlichen Auswertung zu unterziehen.
Insgesamt gelingt es dem Band, das klassische Lebensbild neu zu akzentuieren. Dabei zeichnen sich die Beiträge nicht nur durch eine Anbindung an die aktuelle Forschung aus, sondern vielen gelingt es zudem auf der Basis von bisher unbekannt gebliebenem Archivmaterial neue Impulse zu setzen. So erfreulich die Wiederbelebung der "Mitteldeutschen Lebensbilder" ist: Mit etwas Bedauern stellt man fest, dass es Andreas Ranft, der Vorsitzende der Historischen Kommission von Sachsen-Anhalt, und Werner Freitag, der Herausgeber, offen lassen, ob es eine Fortsetzung dieser Reihe geben wird.
Eric-Oliver Mader