Rezension über:

Leofranc Holford-Strevens / Amiel Vardi (eds.): The Worlds of Aulus Gellius, Oxford: Oxford University Press 2004, XVI + 392 S., ISBN 978-0-19-926482-7, GBP 70,00
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Rezension von:
Dennis Pausch
Institut für Altertumswissenschaften, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Dennis Pausch: Rezension von: Leofranc Holford-Strevens / Amiel Vardi (eds.): The Worlds of Aulus Gellius, Oxford: Oxford University Press 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 5 [15.05.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/05/8063.html


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Leofranc Holford-Strevens / Amiel Vardi (eds.): The Worlds of Aulus Gellius

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Nachdem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Aufarbeitung dieses lange Zeit vernachlässigten Autors in einer Reihe von Monografien vorangetrieben wurde [1], ist nun der erste Aulus Gellius gewidmete Sammelband überhaupt erschienen, dessen zwölf englischsprachige Beiträge ein breites Spektrum der in der Forschung relevanten Fragestellungen widerspiegeln und in gelungener Weise repräsentieren. Hervorgegangen ist diese Publikation aus einem am 17. Mai 2003 am 'Centre for the Study of Greek and Roman Antiquity' des Corpus Christi College in Oxford von Ewen Bowie veranstalteten Kolloquium zu 'Aulus Gellius and his Works', an dem viele der an der 'Gellius-Renaissance' der letzten Jahrzehnte maßgeblich beteiligten Personen teilgenommen haben. Der Sammelband ist gegenüber dem Programm der eintägigen Konferenz deutlich erweitert und gliedert sich - nach einer kurzen, aber sehr informativen Einführung der Herausgeber zu der sich im Laufe der Jahrhunderte mehrfach radikal wandelnden Wertschätzung des Gellius - in die folgenden drei thematischen Abschnitte:

"Contexts and Achievements"

Die fünf Beiträge dieser umfangreichsten Sektion beschäftigen sich mit verschiedenen Aspekten von Gellius' Sprache und Stil sowie mit seinem Verhältnis zur literarischen Tradition und zu anderen zeitgenössischen Schriftstellern. Während Simon Swain ("Bilingualism and Biculturalism in Antonine Rome") Gellius' 'code-switching' zwischen der lateinischen und griechischen Sprache gewinnbringend vor dem doppelten Hintergrund der Verwendung des Griechischen durch frühere römische Schriftsteller und der spezifischen kulturellen Situation des 2. Jahrhunderts nach Christus diskutiert, zeichnen Alessandro Garcea und Valeria Lomanto ("Gellius and Fronto on Loanwords and Literary Models") anhand eines Fallbeispiels (Kap. 19,13) und im Vergleich mit Fronto seinen Umgang mit griechischen Lehnwörtern nach. Die zahlreichen etymologischen Erklärungen in den noctes Atticae werden von Franco Cavazza ("Gellius the Etymologist") einem ausführlichen Vergleich mit anderen antiken Deutungen und den Ergebnissen der modernen Linguistik unterzogen und größtenteils durchaus positiv bewertet. Komplementär dazu nimmt Andrew Stevenson ("Gellius and the Roman Antiquarian Tradition") allgemein Gellius' Verhältnis zur antiquarischen Literatur in Rom in den Blick und kann dabei über die Gattungsgrenzen hinweg enge Parallelen hinsichtlich der thematischen Interessen und der Methoden der Wissenspräsentation aufzeigen. Vervollständigt wird diese Sektion durch eine Analyse der narrativen Technik durch Graham Anderson ("Aulus Gellius as a Storyteller"), deren für Gellius wenig freundliches Ergebnis er als repräsentativ für den antiken 'Durchschnittsliteraten' verstanden wissen will.

"Ideologies"

Im Mittelpunkt des zweiten Abschnittes steht die von Gellius mit seinem Werk verfolgte Intention, die in allen Beiträgen - wenn auch mit jeweils unterschiedlicher Akzentsetzung - in einer moralpädagogisch aufgeladenen Vermittlung der zeitgenössisch relevanten Bildungsinhalte erblickt wird. Von der Bedeutung der jeweiligen Gattung für die Wahrnehmung des Werkes durch seine Rezipienten ausgehend, kann Amiel Vardi ("Genre, Conventions, and Cultural Programme in Gellius' Noctes Atticae") überzeugend nachweisen, dass die Abweichungen der noctes Atticae von der Tradition der Buntschriftstellerei in engem Zusammenhang mit Gellius' Ziel der Vermittlung einer bestimmten Form von Bildungswissen stehen. Aus einer anderen Perspektive heraus legt Teresa Morgan ("Educational Values") dar, dass Gellius Bildung weniger im eigentlichen Sinne vermitteln als seinen Lesern die mit ihr verbundenen gesellschaftlichen Vorteile vor Augen stellen will, und begreift dies als Teil einer allgemeinen ethischen Zielsetzung, die jedoch nicht anhand eines theoretischen Systems, sondern im Medium exemplarischer Einzelfälle entwickelt wird. Erneut mit einer etwas anderen Nuancierung wird die bildungspädagogische Ausrichtung der noctes Atticae von Stephen Beall ("Gellian Humanism Revisited") beschrieben, der eine modifizierte Form des auf René Marache zurückgehenden Konzepts der philosophisch grundierten humanitas Gelliana zur Diskussion stellt. [2]

Weniger mit einer Gesamtdeutung des Werkes, sondern mit dem bislang nicht adäquat behandelten Aspekt der satirischen Darstellung von zeitgenössischen Intellektuellen beschäftigt sich Wyste Keulen ("Gellius, Apuleius, and Satire on the Intellectual"), dem es gelingt, enge Parallelen zu Apuleius (vor allem im Rekurs auf die Sokrates-Figur und der selbstironischen Charakterisierung der eigenen persona) plausibel und für die Interpretation der noctes Atticae fruchtbar zu machen.

"Reception"

Der letzte Teil des Sammelbandes ist dem 'Nachleben' der noctes Atticae gewidmet und stellt dabei mit dem Mittelalter und vor allem der frühen Neuzeit die Epochen der intensivsten Gellius-Rezeption in den Vordergrund. Ausgehend von einem textkritischen Einzelproblem (Kap. 3,6) gibt Leofranc Holford-Strevens ("Recht as een Palmen-Bohm") einen umfassenden und kenntnisreichen Überblick über die Beschäftigung mit Gellius im Mittelalter und die handschriftliche Überlieferungsgeschichte. Die Bedeutung der noctes Atticae für die französischen Schriftsteller des 16. Jahrhunderts stellt Michael Heath ("Gellius in the French Renaissance") dar und betont dabei neben der Überlieferung antiker Inhalte auch ihre Rolle als literarisches Modell (zum Beispiel für Montaignes Essais). Diese beiden Funktionen der noctes Atticae können von Anthony Grafton ("Conflict and Harmony in the Collegium Gellianum") auch für das Italien des 15. Jahrhunderts nachgewiesen werden; darüber hinaus stellt er überzeugend die Rolle des gellianischen Vorbildes für die Entwicklung der spezifischen humanistischen Form der Wissenskultur dar.

Der Sammelband wird durch ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie drei sehr nützliche Indizes, die eine rasche Orientierung ermöglichen, abgerundet.

Wenn man abschließend versucht, eine zusammenfassende Würdigung dieses rundum gelungenen Sammelbandes zu geben, so könnte allenfalls die methodische Uneinheitlichkeit der einzelnen Beiträge Anlass zu Kritik geben. Doch erweist sich die Mischung aus traditionelleren und moderneren Ansätzen nicht als störend, sondern wirkt eher anregend auf den Leser und gibt zudem einen weitgehend repräsentativen Überblick über die in der aktuellen Gellius-Forschung relevanten Fragestellungen. 'The Worlds of Aulus Gellius' bietet sich daher als Ausgangspunkt für denjenigen an, der sich bislang noch nicht näher mit den hier behandelten Themen beschäftigt hat. Da darüber hinaus aber auch eine Reihe neuer Ergebnisse vorgelegt werden, ist er auch denjenigen, die sich für Gellius als Autor, seine Interaktion mit dem zeitgenössischen Kontext der 'Bildungskultur' des 2. Jahrhunderts nach Christus oder die spätere Rezeption seines Werkes bereits länger interessieren, nachdrücklich zu empfehlen.


Anmerkungen:

[1] Vgl. v.a. B. Baldwin: Studies in Aulus Gellius, Lawrence, Kansas 1975; S. M. Beall: Civilis eruditio. Style and content in the 'Attic nights' of Aulus Gellius, Diss. Berkeley 1988; L. Holford-Strevens: Aulus Gellius. An Antonine scholar and his achievement, London 1988 (2. Aufl. 2003); und M. L. Astarita: La cultura nelle 'Noctes Atticae', Catania 1993.

[2] Vgl. v.a. R. Marache: La Critique littéraire de langue latine et le développement du goût archaissant au IIe siècle de notre ère, Rennes 1952, 249 ff., und ferner Beall 1988 (s.o. Anm. 1).

Dennis Pausch