Willi Oberkrome: "Deutsche Heimat". Nationale Konzeption und regionale Praxis von Naturschutz, Landschaftsgestaltung und Kulturpolitik in Westfalen-Lippe und Thüringen (1900-1960) (= Forschungen zur Regionalgeschichte; Bd. 47), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2004, IX + 666 S., ISBN 978-3-506-71693-4, EUR 54,00
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Man tut gut daran, die Betrachtung dieses Buches mit dem Ende zu beginnen. 120 Seiten umfasst das Verzeichnis der Akten, Bücher und Aufsätze, die für diese Freiburger Habilitationsschrift konsultiert wurden, und eine Unzahl dickleibiger Fußnoten dokumentiert, dass diese Materialien tatsächlich intensiv ausgewertet wurden. So entsteht eine material- und detailreiche Studie, die durch ein Personen- und Ortsregister erschlossen werden kann. Gerade in einer Disziplin, in der eine gewisse Schmalbrüstigkeit der empirischen Arbeit zeitweise zum Stilmerkmal zu werden drohte, nimmt man derart quellengesättigte Arbeiten dankbar zur Kenntnis.
Die Dichte der Belege ist umso willkommener, als es um eine ganze Reihe von Schlüsselfragen der Forschung geht. Im großen Brückenschlag vom Kaiserreich bis in die Nachkriegszeit analysiert Oberkrome den Heimatschutz als Scharnier mehrerer Themenfelder: Es geht um regionale Kulturpflege, um Konsumkritik, um Naturschutz und Landschaftsgestaltung und nicht zuletzt auch um ein Gegengewicht zum reichsdeutschen Zentralismus. Von Anfang an wurde Naturschutz in Deutschland als dezidierter Beitrag zur "Volkstumspflege" verstanden, womit sich Deutschland grundsätzlich von anderen Ländern unterschieden habe. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde diese Ausrichtung deutlich radikalisiert, ein "kulturräumlich substantiierter Ethnozentrismus" schloss auch das katholische Bildungsbürgertum in die nationale Gemeinschaft ein (525).
Für die NS-Zeit betont Oberkrome vor allem die wachsende Bedeutung eines gestalterischen Ansatzes der Landschaftspflege, die sich vom musealen Ansatz des traditionellen Naturschutzes deutlich unterschied. Für die planerischen Innovationen eines Alwin Seifert oder eines Heinrich Wiepking-Jürgensmann vermochten sich viele Heimatschützer jedoch nur sehr begrenzt zu erwärmen, man blieb vielmehr den traditionellen Deutungsmustern verhaftet.
Die Arbeit entstand am Westfälischen Institut für Regionalgeschichte in Münster, und die Wahl Westfalen-Lippes als regionaler Rahmen lag damit auf der Hand, obwohl sich Westfalen-Lippe unter heimatschützerischen Aspekten eher als Doppelregion präsentiert. Die Wahl Thüringens als Vergleichsregion erlaubt dabei eine Reihe reizvoller Kontraste. Anders als in Westfalen und Lippe musste sich eine regionale Identität im Thüringen der 1920er-Jahre zunächst gegen eine Vielzahl einzelstaatlicher Loyalitäten aus der Kaiserreichszeit etablieren. Vor allem aber gelingt es Oberkrome damit, die natur- und heimatschützerischen Kontinuitäten in beiden deutschen Staaten nach 1945 in den Blick zu nehmen. Der deutsch-deutsche Vergleich ist aufgrund der beeindruckenden Ähnlichkeiten aufschlussreich, und der Diktaturvergleich unter naturschutzgeschichtlichen Gesichtspunkten gehört zu den Höhepunkten des Buchs. Auch wenn Natur- und Heimatschutz im Dritten Reich deutlich mehr Wertschätzung erfuhren als in der "sozialistischen Heimat", ergeben sich frappierende Ähnlichkeiten: "In beiden Regimen wurde der Versuch unternommen, das einzellandschaftlich verankerte Natur- und Heimatbewußtsein auszuhöhlen. Es wurde hier wie dort als Äußerung einer absterbenden, rezenten Kultur desavouiert." (389).
Eine leichte Lektüre ist dieses Buch mit Sicherheit nicht. Aber es lohnt, sich in dieses Buch zu vertiefen, nicht zuletzt weil es an einigen Stellen zum Widerspruch reizt. War der Gegensatz von bewahrendem Natur- und Heimatschutz und gestaltender Landschaftsplanung wirklich so schroff und unversöhnlich, wie er hier erscheint? War die Wahrnehmung von Natur tatsächlich so eng an nationale und regionale Konzepte gekoppelt, dass Natur faktisch nicht ohne den Rekurs auf solche übergeordneten Referenzsysteme betrachtet werden konnte? War das Naturerlebnis nicht eher eine Primärerfahrung, die gerade dadurch so nachhaltig wirkte, dass sie eben nicht a priori an allgemeine Konzepte und Begriffe oder überhaupt an Worte gebunden war? Überhaupt: Ist es wirklich ratsam, in der Analyse von Natur- und Heimatschutz so stark auf Diskursanalyse zu setzen wie hier? Oberkromes Buch verdient eine kontroverse Debatte.
Frank Uekötter