Franz Mauelshagen: Geschichte des Klimas. Von der Steinzeit bis zur Gegenwart (= C.H. Beck Wissen), München: C.H.Beck 2023, 128 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-79148-2, EUR 12,00
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Der Klimawandel ist heutzutage allgegenwärtig. Menschen gehen auf die Straße, um die Aufmerksamkeit auf die vielleicht größte soziopolitische Herausforderung der Gegenwart zu lenken. Der Wandel klimatischer Bedingungen in Richtung eines außerhalb der Holozännorm liegenden Zustands ist, wie wir wissen, eng mit menschlichen Handlungsweisen wie etwa dem Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen oder dem anthropogenen Treibhauseffekt verbunden. Doch die engen Wechselwirkungen zwischen klimatischen Schwankungen und der Entwicklung menschlicher Zivilisationen reichen weit in die Geschichte zurück.
Die Historische Klimatologie, die als Fach zwischen Klimatologie und Umweltgeschichte angesiedelt ist und sich mit der Wirkung von Klimaveränderungen auf historische Gesellschaften beschäftigt, hat in den vergangenen dreißig Jahren eine Konjunktur erlebt. Als interdisziplinär ausgerichteter Forschungsbereich sieht sich das Feld besonderen Herausforderungen gegenüber, birgt jedoch zugleich vielversprechendes Potential, die großen Zusammenhänge zwischen erdsystemischen Faktoren einerseits und soziopolitischen und -ökonomischen Entwicklungen andererseits aufzudecken.
Als einer der wenigen Historiker, die sich der historischen Klimatologie verschrieben haben, gibt Franz Mauelshagen auf den rund 120 Seiten, die das vorliegende Büchlein umfasst, einen Abriss über die Klimageschichte des Holozäns. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf den komplexen Wechselwirkungen zwischen Klima und Witterung auf der einen und Gesellschaft und Mensch auf der anderen Seite - und das in großer geographischer Breite. Mauelshagen weist dabei wiederholt auf die Fallstricke hin, die eine Analyse dieses Wechselspiels mit sich bringen können und allzu oft in verkürzte Schlussfolgerungen resultieren. Dadurch zeugt das Buch nicht zuletzt aufgrund der kontinuierlichen Einbindung des aktuellen Forschungsstandes und wiederholten Hinweisen auf die Grenzen der historischen Datenlage von einem durchweg reflektierten Umgang mit diesen Herausforderungen und den Möglichkeiten, die klassische Geschichtsschreibung durch einen solchen Zugang zu bereichern. Dabei gelingt es Mauelshagen trotz der Kürze des Buches, tief in rund 12.000 Jahre Klimageschichte einzutauchen und detailreich über konkrete Ursachenzusammenhänge und Wirkungsweisen klimatischer Veränderungen aufzuklären, ohne dabei die übergreifende Perspektive aus den Augen zu verlieren.
Er erzählt diese Geschichte des sich stetig wandelnden Verhältnisses zwischen Menschen und Klima in der ersten Hälfte des Buches (Kapitel 1-3) anhand ausgewählter tiefgreifender Einschnitte in die Geschichte des Erdklimas - vom Neolithikum mit der sich im Zuge eines komplexen diachronen Prozesses verbreitenden Landwirtschaft über sich abwechselnde Kalt- und Warmperioden wie das Römische Optimum, die Spätantike kleine Eiszeit und die Mittelalterliche Warmzeit bis hin zur Kleinen Eiszeit. Natürliche Einflussfaktoren auf das Klima, wie Vulkanismus oder Schwankungen der Sonneneinstrahlung, finden dabei neben anthropogenen Modifikationen ebenso Beachtung und werden zu demographischen Veränderungen sowie politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Beziehung gesetzt. So konnten etwa witterungsbedingte Ernteausfälle zu sozialen Konflikten führen und "politische und soziale Systeme zeitweilig oder dauerhaft stabilisieren, wie sich am Wechsel von der Ming- zur Qing-Dynastie in China 1644 zeigen lässt" (47).
Der zweite Teil des Buches (Kapitel 4-5) widmet sich mit der agrarischen Beschleunigung in erster Linie dem Übergang zur industriellen Landwirtschaft sowie dem fossilen Energieregime seit der Industrialisierung. Dabei arbeitet Mauelshagen in eindrucksvoller Breite den zentralen Unterschied zwischen Klimaanomalien der vergangenen 11.700 Jahre und dem heutigen Klimawandel heraus: Zwar zogen die historischen Schwankungen, über die wir etwas wissen, auch Ernteausfälle, transatlantische Migrationsbewegungen oder demographische Veränderungen nach sich - dennoch waren sie regional begrenzt. Der heutige Klimawandel hingegen ist anthropogen verursacht und zeichnet sich durch seine globale Dimension aus.
Unter Rückgriff auf aktuelle Forschungsliteratur nehmen die Kapitel vier und fünf in chronologischer Reihenfolge eine historisch fundierte Einordnung unterschiedlicher Phänomene, etwa der Peaks in den Treibhausgasemissionen, vom ausgehenden 15. Jahrhundert bis heute vor. Das Buch thematisiert in diesem Zusammenhang nicht nur den demographischen Kollaps in den Amerikas nach 1492 oder die koloniale Expansion, sondern auch die in der Anthropozändebatte intensiv diskutierte These des Paläoklimatologen William Ruddiman, der auf Basis eines ungewöhnlichen Anstiegs der CO2- und Methankonzentration in der Atmosphäre 7000 und 5000 Jahre vor heute die Ansicht vertritt, "dass bereits die ersten agrarischen Zivilisationen ein anthropogenes Klima hervorbrachten" (69). Daneben gibt der stetig eingeflochtene Rekurs auf historisch geführte Klima-Debatten, wie etwa die koloniale Wald-Klima-Debatte im 18. Jahrhundert, in der erstmals der Mensch als verursachender Faktor gehandelt wurde, Aufschluss über zeitgenössische Deutungsmuster und trägt damit dem Anspruch der Historischen Klimatologie Rechnung, das Wechselspiel zwischen Klima und Mensch in historischer Perspektive zu beleuchten.
Bestehende Forschungslücken sowie vorhandene Grenzen mit Blick auf die Belastbarkeit und Existenz historischer Daten werden dabei stets kritisch reflektiert. Auf diese Weise illustriert die zweite Hälfte des Buches zum einen die lange Geschichte des menschlichen Einflusses auf die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre, unterstreicht jedoch zum anderen die Neuartigkeit desjenigen Zustandes, dessen Entwicklung sich Ende des 19. Jahrhunderts abzeichnete, mit der Großen Beschleunigung exponentiell fortsetzte und der von dem Erdsystemwissenschaftler Will Steffen so treffend als "Hothouse Earth" beschrieben wurde [1].
Die jüngsten IPCC-Sachstandsberichte lassen eine Anpassung an die sich bereits abzeichnenden, neuen klimatischen Bedingungen mit all ihren Konsequenzen wie in Anzahl und Intensität zunehmenden Extremereignissen oder der zu erwartenden Klimamigration notwendig erscheinen. Das letzte Kapitel thematisiert mit dem Verweis auf diese Berichte sowie auf multilaterale politische Unternehmungen im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes seit den 1970er Jahren Implikationen, die sich aus der historischen Betrachtung der gegenwärtigen Klimaveränderung ergeben. Mauelshagen nimmt hier mitunter erstens die globale Ungleichheit in den Blick, die mit der Einführung bestimmter Schlüsseltechnologien zu Beginn der Industrialisierung begann und darin resultierte, dass die "fossile Industrialisierung zum Modell für andere Länder" (96) wurde und es heute noch ist. Zweitens nimmt er die eng damit verbundene Frage nach der Verantwortung für die gegenwärtige Klimakrise auf.
Das Buch richtet sich an eine breite Leserschaft und ist für jeden, der einen kompakten Über- und Einblick in die Klimageschichte gewinnen möchte, ausdrücklich zu empfehlen. Es liegt an der Komplexität des behandelten Themenfeldes, dass die Lektüre an manchen Stellen voraussetzungsreich ist. Dennoch gelingt es Mauelshagen, die großen erdsystemischen Zusammenhänge der vergangenen rund 11.700 Jahre auf der Makroebene ebenso zu vermitteln wie die Wechselwirkungsprozesse zwischen den klimatischen Bedingungen und historischen Zivilisationen auf der Mikroebene, die er mit einem geographisch breit gelagerten Spektrum konkreter Fallbeispiele illustriert.
Anmerkung:
[1] Will Steffen / Johan Rockström / Katherine Richardson / Hans Joachim Schellnhuber: Trajectories of the Earth System in the Anthropocene, in: PNAS 115 (2018), H. 33, 8252-8259; https://doi.org/10.1073/pnas.1810141115.
Fabienne Will