Rezension über:

Zbigniew Mazur / Aleksandra Pietrowicz (Hgg.): "Ojczyzna" 1939-1945. Dokumenty - Wspomnienia - Publicystyka. ["Vaterland" 1939-1945. Dokumente - Erinnerungen - Publizistik] (= Biblioteka Przeglądu Zachodniego; 19), Poznań: Instytut Zachodni 2004, 691 S., ISBN 978-83-87688-44-8
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Rezension von:
Markus Krzoska
Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Marco Wauker
Empfohlene Zitierweise:
Markus Krzoska: Rezension von: Zbigniew Mazur / Aleksandra Pietrowicz (Hgg.): "Ojczyzna" 1939-1945. Dokumenty - Wspomnienia - Publicystyka. ["Vaterland" 1939-1945. Dokumente - Erinnerungen - Publizistik], Poznań: Instytut Zachodni 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 7/8 [15.07.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/07/8820.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Zbigniew Mazur / Aleksandra Pietrowicz (Hgg.): "Ojczyzna" 1939-1945. Dokumenty - Wspomnienia - Publicystyka

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Die Geschichte des polnischen Untergrunds während des Zweiten Weltkriegs nachzuzeichnen, ist seit jeher eine schwierige Aufgabe gewesen. Dazu trägt nicht nur der naturgemäß konspirative Charakter aller Aktivitäten bei, der es dem Historiker fast unmöglich macht, einigermaßen sichere Aussagen vor allem über Netzwerkstrukturen zu treffen, im polnischen Fall kommt zudem noch die Verfolgung bzw. die Angst vor Verfolgung vieler (bürgerlicher) Widerstandskämpfer durch die Kommunisten und ihre Helfer nach 1945 hinzu, die verhindert hat, dass sie ihre Erinnerungen schriftlich festhielten. Seit 1989 haben sich die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen zwar verändert, doch ist die Zeit knapp geworden, denn nur die wenigsten Aktivisten leben heute noch.

So war es auch im Falle der trotz ihrer Bedeutung für die Zukunft Polens bis heute weitgehend unbekannten Widerstandsgruppe "Ojczyzna" höchste Zeit, sich mit den bis dato zumeist unveröffentlichten Dokumenten zu ihrer Geschichte zu beschäftigen und hierzu einen kommentierten Quellenband zu erstellen. Es lag dabei nahe, dass die Herausgabe des Bandes vom Posener Instytut Zachodni übernommen wurde, das sich als Erbe dieser Widerstandsgruppe sieht und sich seit 1989 auch öffentlich dazu bekennen kann. Die beiden Herausgeber, der inoffizielle Institutschronist Zbigniew Mazur und seine Mitarbeiterin Aleksandra Pietrowicz, haben auf der Suche nach Materialien eine Vielzahl von Archiven und Bibliotheken besucht, private Nachlässe gesichtet und an entlegener Stelle veröffentlichte publizistische Texte zusammengetragen.

Das umfangreiche Werk ist nach einer Einleitung der Herausgeber, in der die Geschichte der Organisation nachgezeichnet wird, und editorischen Hinweisen in vier Teile gegliedert: Teil 1 enthält Dokumente verschiedenster Art, insbesondere Briefe, Depeschen und Memoranden, aber auch inhaltliche Texte der Gruppe, Teil 2 umfasst Erinnerungen, Berichte und Briefe aus der Zeit nach 1945, Teil 3 liefert die (auszugsweise) Veröffentlichung von - häufig nur schwer zugänglichen - Broschüren und Teil 4 Auszüge aus den teilweise kurzlebigen Untergrundzeitschriften. Abgeschlossen wird die Edition durch ein kompaktes Personenverzeichnis, das auch die "noms de guerres" der Beteiligten nennt, so sie denn entschlüsselt werden konnten.

Die zentrale Bedeutung dieser Dokumentensammlung für die Geschichte Polens im 20. Jahrhundert liegt darin, dass sie bestimmte Verbindungen und Kontinuitäten von der Zwischenkriegszeit zu den ersten Jahren der Volksrepublik deutlich werden lässt. Dies betrifft vor allem die Nationaldemokratie und ihre Anhänger: Auch wenn die Mitglieder der vor allem in Großpolen und in Warschau angesiedelten Widerstandsbewegung immer wieder ihren überparteilichen Ansatz betonten, so ist doch das Anknüpfen an die Endecja-Tradition in beinahe allen Texten deutlich sichtbar. Selbst als man sich nach Kriegsende eher auf Seiten der Bauernpartei um Stanisław Mikołajczyk wiederfand, beanspruchte man doch, den früheren Ideen treu geblieben zu sein. Worin diese Ideen bestanden, ist etwa den "für den inneren Dienstgebrauch" bestimmten "Ideellen Anleitungen" vom 15.12.1943 zu entnehmen, die sieben Ziele benannten, die man im Übrigen ganz ähnlich in einem beliebigen Parteiprogramm der heutigen National-Klerikalen finden könnte: Es ging um die Errichtung eines katholischen, nationalen, gerechten, lebendigen, arbeitsamen, expansiv-(missionarischen) Staates aller tüchtigen Polen. Diese Ideologie verband sich mit dem West-Gedanken in der Tradition Roman Dmowskis zu einer Mixtur, die zwar teilweise mit den Vorstellungen der Londoner Exilregierung konform gehen konnte, nach dem Scheitern des Warschauer Aufstandes aber ihre eigenen Wege suchte und auf die russische Karte setzte, weniger aus Überzeugung als aus geopolitischen Zwängen heraus. Die organisatorischen Verbindungen zur Emigration und zur Delegatur in Polen waren schon vorher, teils durch die Situation, teils durch politische Differenzen bedingt, allmählich lockerer geworden.

Auf die Vielzahl der Details kann hier nicht weiter eingegangen werden. Wer sich jedoch über die Positionen des Chefideologen der Gruppe, Zygmunt Wojciechowski, und seiner Freunde, die zum Teil dessen enge Mitarbeiter im West-Institut werden sollten (Kirył Sosnowski, Jan Jacek Nikisch usw.), informieren möchte, stößt hier auf eine Fundgrube von Texten, die im Übrigen vorbildlich ediert wurden. Besonders über die Entwicklung der Politik gegenüber der Sowjetunion, aber auch insgesamt über das Funktionieren von Widerstand gegen die deutsche Besatzung erfährt man in diesem Buch viele wichtige Dinge im Detail.

Dass der Konstruktionscharakter des zugrunde liegenden Geschichtsbildes nicht erkannt wird und sich die Herausgeber ohne Zögern in die "Ojczyzna"-Tradition stellen, ist dabei nicht weiter verwunderlich. So erstaunt es auch nicht, wenn die Geschichte der Mitglieder dieser Gruppe für die Jahre 1945 bis 1956 ausschließlich als eine Geschichte erlittener Verfolgungen dargestellt wird. So sehr dies in Einzelfällen auch zutrifft, so wenig ist man offenbar auch heute noch willens, sich mit der herrschaftsstabilisierenden Funktion des Posener Milieus auseinanderzusetzen. Es wird nur angedeutet, dass Teile der nationaldemokratischen Bewegung im Exil gegenüber den politischen Entwicklungen durchaus anderer Meinung waren. Aber letztlich ist es auch weniger die Aufgabe eines Dokumentenbandes, diese Aufarbeitung zu leisten, sodass man grosso modo eher die grundlegende Bedeutung des Bandes für die polnische Zeitgeschichtsschreibung würdigen sollte.

Markus Krzoska