Karin Nowak: Spanien zwischen Diktatur und Republik. Korporatismus, organisierte Interessen und staatliche Sozialpolitik 1919-1936 (= Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen. Schriftenreihe A: Darstellungen; Bd. 29), Essen: Klartext 2004, 344 S., ISBN 978-3-89861-240-1, EUR 39,00
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Spanien nimmt in der Geschichte der Arbeitsbeziehungen und Sozialpolitik gemeinhin keine prominente Rolle ein, erscheint es im europäischen Vergleich doch als Nachzügler. In Abgrenzung zu seinen nordwestlichen Nachbarn wird Spanien häufig mit archaischen Sozialbeziehungen identifiziert, deren ungeregelte Konflikthaftigkeit als wichtige Ursache des blutigen Bürgerkriegs der Dreißigerjahre gilt. Die Bochumer Dissertation von Karin Nowak gibt nun gute Gründe an die Hand, die Vernachlässigung des spanischen Falles zu korrigieren. Sie zeigt in einer breit angelegten und materialreichen Untersuchung, dass die spanischen Arbeitsbeziehungen nach 1920 durch einen intensiven Modernisierungsschub gekennzeichnet waren, der in eine der weit reichendsten Arbeitsordnungen der Zeit mündete. Über den engeren Bereich der Sozialpolitik hinaus gewinnt Nowak damit auch eine neue Sichtweise auf die Vorbürgerkriegszeit als Epoche konfliktreichen Ringens um die Moderne in Staat und Gesellschaft. Im Einklang mit revisionistischen Tendenzen der Spanienhistoriografie argumentiert sie überzeugend für eine enge Integration der spanischen Entwicklung in die gesamteuropäische Geschichte.
Nowak verfolgt die formative Phase der staatlichen und korporativen Interventionspolitik von Anfang der Zwanzigerjahre bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs 1936 über die unterschiedlichen politischen Regime der späten Restaurationsmonarchie, der Diktatur Manuel Primo de Riveras (1923-1930) und der Zweiten Republik (1931-1936/39) hinweg. Durch eine umfassende Betrachtung des Wechselspiels zwischen den Interessengruppen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, der staatlichen Administration und Gesetzgebung sowie der Konfliktaustragung in der lokalen Praxis gelingt es ihr, die Modernisierung der Arbeitsverfassung als dynamischen und mehrdimensionalen Prozess zu erklären.
Ein wichtiges Ergebnis stellt die Relativierung der politischen Zäsuren für den Bereich der Sozialpolitik dar. Die Regimewechsel erweisen sich dabei zwar als Einschnitte, nicht aber als grundlegende Wendepunkte der längerfristigen Entwicklung. Die Diktatur Primo de Riveras stellte die zentrale sozialpolitische Umbruchzeit dar. Nach ersten zögernden Ansätzen unter der Restaurationsmonarchie war es die Diktatur, die, eingebettet in ein Programm der autoritären Modernisierung von Staat und Gesellschaft "von oben", den Aufbau einer professionellen Arbeitsverwaltung und eine umfassende Verrechtlichung der Arbeitsverfassung in Angriff nahm. Sie versuchte durch die Etablierung neuer, korporativer Formen der Arbeitsregulierung eine Antwort auf die schweren sozialen Unruhen zu finden, die Spanien seit 1917 erschütterten und die Frage der Einbindung der Arbeiterschaft zu einem zentralen Problem für alle politischen Regime der folgenden Jahre machten. Das Dekret über die Organización Corporativa Nacional vom November 1926 legte die Grundlagen eines korporativen Systems des Interessenausgleichs, das zunächst autoritär-paternalistisch geprägt war, sich in der Folgezeit jedoch als ideologisch erstaunlich flexibel erwies. Die neue Arbeitsordnung ließ sich sowohl mit ständestaatlichen und sozialkatholischen Vorstellungen verbinden als auch in Richtung sozialistischer, wirtschaftsdemokratischer Ziele weiterentwickeln.
Die Ausgangslage einer wenig entwickelten staatlichen Verwaltung einerseits und der geringen korporativen Überformung der industriellen Beziehungen andererseits bestimmte die Ausgestaltung des neuen korporativen Systems der Arbeitsbeziehungen. Die ungleiche Industrialisierung Spaniens und regionale Gegensätze behinderten bis in die Zwanzigerjahre die Entstehung starker, monopolartiger Interessenorganisationen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern und drängten den Staat in eine aktive Rolle als Schlichter industrieller Konflikte. Das 1920 gegründete Arbeitsministerium konnte angesichts schwacher Verbände rasch seine Kompetenzen ausweiten und sich als zentraler Akteur auf dem Gebiet der Sozialpolitik und Arbeitsverfassung etablieren. Da die chronische Finanzschwäche des Staates der Expansion der staatlichen Arbeitsverwaltung in den Provinzen und Gemeinden enge Grenzen setzte, war das Ministerium jedoch auf das Mitwirken der industriellen Interessengruppen zur Durchsetzung seiner Bestimmungen vor Ort angewiesen. Zu diesem Zweck gab es Kompetenzen im Bereich der Arbeitsmarktverwaltung, des Schlichtungswesens und der Arbeitsgerichtsbarkeit an paritätisch aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzte lokale Branchenkomitees ab, die als eine spanische Besonderheit die wichtigste Innovation der Reformpolitik darstellten.
Es ist ein besonderes Verdienst der Studie, einer höchst lückenhaften Quellenlage zum Trotz die Bedeutung und Eigenlogik der lokalen Praxis der Konfliktregulierung herauszuarbeiten. Das Wirken der paritätischen Komitees, die im Zentrum der öffentlichen Konflikte um eine Neugestaltung der Arbeitsbeziehungen standen, beschreibt Nowak plausibel als eine Modernisierung gegen die Intentionen ihrer Schöpfer. Entgegen den Absichten der Diktatur förderte die Arbeit der Comités Paritarios (ab 1931 Jurados Mixtos) eine Konsolidierung und Expansion der sozialistischen Gewerkschaften sowie eine flächendeckende Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen. Die Gesetzgebung der Diktatur legte damit wichtige Grundlagen für die reformorientierte Sozialpolitik der Zweiten Republik. Deren erster Arbeitsminister, der Sozialist Francisco Largo Caballero, bemühte sich zwar um ein neues Selbstverständnis der Arbeitsverwaltung als Anwalt der Arbeiterschaft, behielt aber die sozialpolitischen Instrumente der Diktatur bei. Die Komitees wirkten unter anderem Namen weiter und wurden auf den bisher vernachlässigten Bereich der Landwirtschaft ausgedehnt.
Die paritätischen Komitees erwiesen sich als der eigentliche Agent der Modernisierung der spanischen Arbeitsverfassung. Sie konnten zwar die wirtschaftlichen Grundsatzkonflikte nicht lösen, entfalteten aber in ihrer täglichen Arbeit als "erfolgreiches Gegenmodell zur gesellschaftlichen Polarisierung" (316) eine bislang wenig beachtete Wirksamkeit als Schieds- und Rechtsinstanzen. Die Erfolge der Komitees beruhten wesentlich auf der Mitarbeit der Sozialisten. Diese sahen in ihnen nicht nur einen Hebel zu einer umfassenden Demokratisierung der spanischen Wirtschaftsordnung, sondern auch ein Mittel, die starken anarchosyndikalistischen Gewerkschaften zu schwächen. Trotz des starken Wachstums der sozialistischen Bewegung lag jedoch gerade in der fehlenden Einbindung der Anarchosyndikalisten das wichtigste strukturelle Defizit der Komitees. Die anarchistischen Gewerkschaften sahen in ihnen nicht zu Unrecht feindliche Organe und versuchten aktiv, die Autorität der Komitees durch Streiks zu untergraben. Insbesondere in den anarchistischen Hochburgen vermochten die Komitees nicht die Monopolstellung in der Regulierung von lokalen Arbeitskonflikten zu erlangen, die für eine langfristige Befriedung der Arbeitsbeziehungen nötig gewesen wäre. Die Auseinandersetzungen auf der Arbeitnehmerseite begünstigten auch die Obstruktionspolitik wichtiger Gruppen der Arbeitgeber, die angesichts vermeintlich untragbarer Zugeständnisse an die Arbeiterseite nach neuen repressiven Alternativen zu den kooperativen Modellen der Konfliktlösung Ausschau hielten.
Nowak gelingt es eindrucksvoll die Konturen und Widersprüche des spanischen Weges hin zum modernen sozialpolitischen Interventionsstaat herauszuarbeiten. Gegen die bisherige Auffassung betont sie überzeugend die Konflikt entschärfenden Erfolge von Professionalisierung und Verrechtlichung der Arbeitsverfassung. Etwas weniger in den Blick gerät die Frage nach möglichen Ambivalenzen sozialpolitischen Fortschritts. Wirkten die neuen Instrumentarien in bestimmten Bereichen auch Konflikt verschärfend? Die Lektüre der Arbeit legt dies oft nahe. Die Diskrepanz zwischen weit reichenden Reformzielen und den Unzulänglichkeiten des institutionalisierten Interessenausgleichs im Alltag scheint etwa auf allen Seiten die Überzeugung in die Notwendigkeit einer umfassenden Lösung der industriellen Konflikte gefördert zu haben. Die zentrale Bedeutung des Arbeitsministeriums in den Arbeitsbeziehungen ließ dabei die Eroberung des Staates als wichtigstes Mittel erscheinen, um die eigenen Vorstellungen zu verwirklichen.
Till Kössler