Michael Hochedlinger / Anton Tantner (Hgg.): "... der größte Teil der Untertanen lebt elend und mühselig". Die Berichte des Hofkriegsrates zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Habsburgermonarchie 1770-1771 (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs; Sonderband 8), Innsbruck: StudienVerlag 2005, 184 S., ISBN 978-3-7065-4154-1, EUR 43,50
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Die theresianisch-josephinische Epoche zeichnete sich bekanntlich u.a. dadurch aus, dass in dieser Zeit eine erkleckliche Anzahl an statistischen Werken entstand - von den Katastern bis zu den Konskriptionen wurden auf den unterschiedlichsten administrativen Ebenen Daten zur Bevölkerung erhoben. Die vorliegende Edition befasst sich mit qualitativen Ausführungen, die im Zusammenhang mit statistischen Erfassungen entstanden sind.
Es handelt sich dabei um neun Situationsberichte des Hofkriegsrates, der obersten Militärverwaltungsbehörde der Habsburgermonarchie, die auch als "politische Anmerkungen" bezeichnet wurden. Sie waren sozusagen Nebenprodukte jener Volkszählung und Häusernummerierung, die die Basis für die Reform des Rekrutierungssystems in den böhmisch-österreichischen Erbländern, wozu damals die Provinzen Görz-Gradisca, Krain, Kärnten, Steiermark, Oberösterreich, Niederösterreich, Böhmen, Mähren sowie Österreichisch Schlesien gehörten, bilden sollte. Vorrangig geben die Quellen zur sozialen und wirtschaftlichen Lage in den einzelnen Ländern, teilweise in Kreise oder Regionen getrennt, Auskunft. Vorrangig steht - wie die beiden Herausgeber im Vorwort anmerken - vor allem der Zusammenhang von Rekrutierungsreform, Volkszählung und 'Bauernbefreiung' im Mittelpunkt des Interesses. Eine vergleichende Analyse der Berichte ermöglicht so auch einen Einblick in den Komplex von Militär und Agrarsozialreformen, wobei ersterem eine nicht unbedeutende Rolle zukam.
In der sehr ausführlichen, mehr als 70 Seiten umfassenden Einleitung versuchen die beiden Herausgeber eine erste Einordnung der Quelle in den Gesamtzusammenhang. Sie gliedert sich in vier zentrale Punkte, die sich mit der Einführung des Konskriptions- und Werbebezirkssystems befasst, dabei die Entwicklung vom Landesaufgebot hin zur Landrekrutenstellung, den Reformen und Reformdebatten bis hin zur Durchsetzung der Reformen in den Blick nimmt. Michael Hochedlinger verweist in diesem Zusammenhang zum einen auf das Vorbild des preußischen Kantonsystems und zum anderen auf die daraus folgende zunehmende Militarisierung des Staates. Dies zeigte sich gerade im Ringen um die Reformen innerhalb des Militärs und besonders des Hofkriegsrates bis hin zum Eingreifen Josephs II. und der Darstellung seiner Positionen im Gegensatz etwa zum "Preußenfeind", dem Staatskanzler Kaunitz. Vor allem die Art der Rekrutierung war heftigst umstritten, deren Auswirkungen - die lebenslange Dienstpflicht - wollte man etwa mit der Heiratserlaubnis für Soldaten oder der Befreiung aus der Leibeigenschaft abschwächen. Die "Conscribirung des männlichen Geschlechts" erfolgte dann in Form einer Seelen- und Zugviehbeschreibung sowie einer Häusernummerierung, wobei die belgischen und italienischen Provinzen, Tirol und Vorderösterreich sowie Ungarn ausgenommen blieben. Nach wie vor ging es dabei jedoch nicht um eine allgemeine Wehrpflicht, sondern viel mehr darum zu ermitteln, wer wirtschaftlich entbehrlich war, denn Zivil- und Wirtschaftsleben waren nach wie vor vorrangig. Zahllos waren demnach auch die Befreiungen vom Militärdienst.
Der zweite Teil der Einführung, der bis ins 17. Jahrhundert zurückgreift, ist den Seelenkonskriptionen gewidmet, da diese in der Erfassung bestimmter Bevölkerungsteile ihren Ursprung hatten. So befasst sich Anton Tantner etwa mit den Judenkonskriptionen, die u.a. als Experimentierfelder der Registrierungstechniken dienten und zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Böhmen durchgeführt wurden. Hatten sie zwar ursprünglich fiskalische Zwecke, erleichterten sie schlussendlich die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung. Seit der zweiten Hälfte 18. Jahrhunderts wurden die Konskriptionstechniken inklusive der Häusernummerierung auf die gesamte Bevölkerung angewandt. Gerade die eindeutige Benennung einer Person - mit Vor- und Nachnamen - zwecks Sicherung der Identität war dabei von enormer Wichtigkeit. In der Folge spielte die Bevölkerungsaufnahme sowohl für die Durchführung der Gegenreformation als auch bei der Bekämpfung des Bettler- und Vagantenwesens, wie überhaupt bei der Feststellung von Mobilität eine ebenso große Rolle wie die fiskalischen Zwecke. Bei den Konskriptionen wurde auf die altbewährte Technik der Kommunikantenverzeichnisse der Pfarren zurückgegriffen. Klassische Probleme, wie unterschiedliche Befolgung der Anweisungen und unterschiedliche Ergebnisse und Ungenauigkeiten führten in der Folge dazu, dass die Hausnummerierung in Diskussion kam.
Im dritten Abschnitt schildert Anton Tantner die Militarisierung im Konskriptionswesen der Jahre 1770/72. Es sollte nun die Nummerierung der Häuser in das Konskriptions- und Werbbezirkssystem integriert werden und die geplante Militärkonskription in eine allgemeine Konskription - inklusive Frauen und landesfürstlicher Städte - umgewandelt werden. Dabei wird nicht nur auf die genaue Kategorisierung, den Instanzenweg und die technischen Probleme eingegangen, sondern auch auf die Einbeziehung des "Volkes" sowie die lokalen Instanzen vor Ort, die jeweils sowohl aus Militär- als auch Zivilpersonen bestanden.
Im abschließenden Teil beurteilt Michael Hochedlinger den Wert der Quelle und verweist in diesem Zusammenhang wiederum auf das preußische Beispiel mit seiner engen Verbindung von Militär und Agrargesellschaft - der Junker als Gutsherr und Offizier, dem die Idee der Bauernbefreiung durch die allgemeine Wehrpflicht gegenübergestellt wurde - und betont, dass in Preußen die Bauernbefreiung stets ein Kompromiss zwischen König und Gutsherren, die ja quasi das Offizierskorps stellten, war. In der Habsburger Monarchie hingegen ging diese Deckung von Adel und Offizierskorps nie derart auf, demnach konnte das Militär auch als "Instrument" der Bauernbefreiung Verwendung finden. Dennoch waren weniger das Wohl der Untertanen als vielmehr populationistische und fiskalische Überlegungen typisch für die späte Regierungszeit Maria Theresias und demnach trachtete sie danach, die grundherrlichen Belastungen zugunsten der staatlichen einzuschränken.
Die Aufforderung zur Erstellung der "Politischen Anmerkungen" erfolgte per Rundschreiben, in dem der Hofkriegsrat den Generalkommandanten auftrug, Hintergrundberichte und Zusatzinformationen nach Wien zu senden, um ein Bild der sozioökonomischen Lage in den einzelnen Provinzen zu erhalten. Es handelte sich dabei um einen Fragenkatalog von 14 Punkten, wobei auch gleichzeitig die Reaktion der Bevölkerung auf die Konskription selbst, ebenso wie die Zusammenarbeit mit der Zivilverwaltung und der Geistlichkeit reflektiert werden sollten. Darüber hinaus wurden die hygiene- und Gesundheitsverhältnisse, Erbrechtsangelegenheiten und Arbeitsmoral der bäuerlichen Bevölkerung ebenso wie Kontakte zur Grenzbevölkerung oder der Zustand des Zugviehs angesprochen. Untere Ebenen der Hierarchie erfuhren jedoch nichts von diesem Auftrag. Jedenfalls wurden alle wichtigen Bereiche der Debatten um die Agrarsozialreformen in den Berichten thematisiert.
Die Edition der Quelle ist vorbildlich gestaltet, ebenso der dreigeteilte Index, wie schon die ausführliche Einleitung in die Thematik die Wichtigkeit des Themenkomplexes und ihre zentralen Stellenwert für die spättheresianische Regierungszeit verdeutlicht.
Andrea Pühringer