Brockhaus: Enzyklopädie Digital, Brockhaus 2005, 2 DVD-ROM, USB-Stick, Docking-Station, ISBN 978-3-7653-4131-1, EUR 1.499,00
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Microsoft: Encarta Premium 2006. Enzyklopädie, Unterschleißheim: Microsoft 2005, 4 CD-ROM, 1 DVD, EUR 43,95
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Der Inhalt von 30 Brockhausbänden auf einem 50 Gramm leichten, mundharmonikagroßen USB-Stick, der ortsunabhängig an jeden Windowsrechner angeschlossen werden kann - gewissermaßen das Wissen der Welt für die Westentasche: Das ist der spontan faszinierende Reiz der neuen Brockhaus Enzyklopädie digital, mit der die 21., völlig neu bearbeitete Auflage des Lexikons als "Wissenszentrale auf jedem PC" (so das beigefügte Handbuch) eingerichtet werden kann.
Diese Neuerung signalisiert den Durchbruch der digitalen Revolution auf einem schwierigen, weil prinzipiell wertkonservativen Feld: Der Brockhaus steht schließlich wie kein anderes Nachschlagewerk im deutschsprachigen Raum für solides, vertrauenswürdiges und fundiertes Wissen, die in edelstes Leder gebundenen und mit Kopfgoldschnitt versehenen Bände sind geradezu eine gesellschaftliche Institution, ein Symbol bürgerlicher Bildungs- und Wohnkultur. Gleichberechtigt neben diese etablierte Marke tritt nun die digitale Brockhausversion. Sie besteht nicht länger aus einer abgespeckten Lexikonausgabe mit einigermaßen beliebig ausgesuchten Video- und Audioschnipseln für die jüngere Generation, sondern aus dem vollwertigen, rund 300.000 Stichwörter umfassenden Lexikon, das gegenüber der gedruckten Form auch noch zusätzlich aufgewertet wird durch modernste Such- und Visualisierungstechnologien und einen rund 1.000 Euro günstigeren Preis.
Der Brockhaus als Element des vielzitierten "Digital Lifestyle": Man hätte bei den Verlagssitzungen, auf denen diese strategische Neuausrichtung diskutiert wurde, gerne mitgelauscht, denn ganz leicht kann den Verantwortlichen die Entscheidung nicht gefallen sein. Offenbar kalkuliert man bei Brockhaus, dass das Doppelangebot aus Gedrucktem einerseits und Digitalem andererseits keine wechselseitige Kannibalisierung auslösen, sondern neue Interessenten anziehen wird, die ihren enzyklopädischen Wissensdurst bislang über Wikipedia, Yahoo, Google und Co. stillen und sich dabei nicht immer optimal aufgehoben fühlen. Die Stoßrichtung des digitalen Brockhaus gegen diese sich rasant verbreitenden freien und kostenlosen Netzangebote ist jedenfalls unverkennbar. Gewiss nicht zufällig kritisierte Brockhaus' Pressesprecher Holoch im August 2005, wenige Wochen vor der Markteinführung des digitalen Lexikons, in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur die mangelnde Qualität der freien Enzyklopädie Wikipedia: "Das einzige, was mich stört ist, dass so getan wird, als ob das ein verlässliches Lexikon ist, und das ist es beileibe nicht." Brockhaus hingegen setze auf "Qualität, auf Fachredakteure, auf Fachautoren und wir haben ein System, was diese Qualität und diese Verlässlichkeit absolut absichert und dass jeder, der aus dem Brockhaus zitiert, auch wirklich sicher sein kann, dass das, was er da zitiert, stimmt." Die Schlussfolgerung Holochs spiegelt die Hoffnungen der Brockhausstrategen wider: "Wenn der Kunde am Ende des Tages entscheiden muss, will ich etwas haben, auf das ich mich wirklich verlassen kann oder will ich etwas eher zufälliges haben, die kommen also ganz klar zu Brockhaus." [1] Die digitale Enzyklopädie richtet sich demnach in erster Linie an eine zahlungskräftige Klientel, welche die Brockhaus'sche Solidität dem freien Informationsangebot im Netz vorzieht, zugleich aber flexibel einsetzbare, technologisch moderne und hochvariabel aufbereitete Information sucht und regelmäßig nutzt.
Ganz widerspruchsfrei gelingt Brockhaus der Spagat zwischen traditionell Gedrucktem und fortschrittlich Digitalem indes nicht. Der Käufer der Digitalversion wird wohl ins Grübeln kommen, wenn er in der beigefügten Verlagsbroschüre lesen darf, dass das von Brockhaus verwendete Papier bestimmt 400 Jahre halten wird und dann auf den lapidaren Satz stößt: "Zur Haltbarkeit von elektronischen Medien gibt es keine vergleichbaren Erfahrungswerte." Tatsächlich dürfte die Frage, wie lange dieses auf spezifische Hardware (USB / DVD) und Software (Windows 2000 / XP) angewiesene Lexikon problemfrei verwendbar ist, so manchen Interessenten vor dem Kauf intensiver beschäftigen. Umgekehrt legt die Update-Funktion der digitalen Variante stärker als bisher ein ganz unvermeidliches Defizit der gedruckten Enzyklopädie bloß: Der Datenbestand des USB-Sticks wird bis Ende 2010 monatlich aktualisiert; das digitale Lexikon bleibt auf diese Weise stets aktuell und wird sich inhaltlich immer weiter von der Druckversion entfernen, die zwar äußerlich die nächsten Jahrhunderte unversehrt überstehen, inhaltlich aber wahrnehmbarer und rascher als bisher altern wird. Da ist der sowohl für Käufer der digitalen wie der gedruckten Form angebotene personalisierte Zugang zum Online-Portal des Lexikons nur ein schwacher Trost, denn er ist lediglich bis Ende 2010 garantiert. Unter http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de können registrierte Käufer am PC, am Handy oder am PDA diese dritte Variante des 21. Brockhaus nutzen: die regelmäßig ergänzte und aktualisierte Textsubstanz der 30 Bände, die von einer Reihe weiterer Features ergänzt wird.
Wie funktioniert die Brockhaus Enzyklopädie digital, und was bietet sie generell und speziell für geschichtswissenschaftliches Arbeiten?
Der flexibel einsetzbare USB-Stick ist im traditionellen Brockhaus-Rot gehalten und misst 9 x 3,6 Zentimeter; er kann an jeden Windowsrechner ab Pentium III mit Windows XP oder 2000 ohne weitere Formalitäten oder Installationsmühen angeschlossen werden. Wer mag, verwendet zum Anschluss die mitgelieferte gleichfarbige Dockingstation, mit der sich der Stick repräsentativ auf dem Schreibtisch platzieren lässt - so wie ehedem die luxuriösen Bände das heimische Bücherregal zierten. Der Stick meldet sich beim PC als eigenes Laufwerk mit einem knappen GB Kapazität an. Er enthält die gesamte, rund 300.000 Stichwörter umfassende Textsubstanz des neuen Brockhaus und weitere Zusatz- und Quellentexte. Der Stick ist mobil, digital und doch (an-)fassbar, und insofern ein gelungenes Zwischending zwischen gedrucktem Buch und virtuellem Onlineportal.
Die ganze Dimension der Brockhaus Enzyklopädie digital erschließt sich indes erst bei zusätzlicher Nutzung der zwei beigefügten DVDs. Um komfortabel und ohne ständiges Scheibenwechseln arbeiten zu können, empfiehlt es sich, ihren kompletten Inhalt auf der Festplatte zu speichern, wofür allerdings fast 13 GB Speicherplatz nötig sind. Raubkopierer haben keine Chance, denn der USB-Stick fungiert nun als 'Dongle': Das auf dem Rechner gespeicherte Programm startet nur, wenn der Originalstick an der USB-Schnittstelle hängt. Deswegen sollte man den Stick auch besser nie verlieren, denn das wäre das Ende der Brockhausrecherchen. Nach der glücklichen - wenn auch nicht immer ganz reibungslosen - Installation bietet die Brockhaus Enzyklopädie digital unter anderem mehr als 25.000 Fotos und Abbildungen sowie den Online-Zugang zur riesigen dpa-Bilddatenbank, 280 Videos und 140 Animationen, 3.000 Hörbeispiele mit insgesamt 70 Stunden Länge, einen digitalen, dreh- und zoombaren Atlas mit rund zwei Millionen Ortseinträgen und unterschiedlichen Ansichtsoptionen (etwa topografisch, politisch, tektonisch), ständig gepflegte Verweise auf 22.000 Weblinks, ein Englischwörterbuch, ein Anatomieprogramm mit einem 3-D-Modell des menschlichen Körpers, den kompletten Brockhaus von 1906, ein Kinder- und Jugendlexikon sowie schließlich den Bereich "Schule und Lernen" mit Links zu zehn Schülerlexika für verschiedene Jahrgangsstufen.
Die Recherche im Lexikon funktioniert einfach und annähernd intuitiv. Im Stichwortfeld lassen sich Suchbegriffe einzeln oder auch mit den üblichen Bool'schen Verknüpfungen eingeben; Trunkieren ist nicht vorgesehen, aber auch nicht nötig, weil das Programm mit einer automatischen Suchwortergänzung arbeitet, die zu jedem Wortteil eine Fülle von Ergänzungsmöglichkeiten generiert. Eine Profisuchmaske bietet weitere Optionen. Die Trefferliste, die bei jeder Recherche erzeugt wird, verweist nicht nur auf die klassischen Lexikonartikel, sondern auch auf Zusatztexte, Tabellen, Bilder, Videos, Hörbeispiele etc. In Extraspalten gibt es u. a. Verweise auf Einträge im Brockhaus von 1906 sowie im Kinder- und Jugendlexikon, auf Bilder in der dpa-Bilddatenbank und auf externe Weblinks - alles ist gleichzeitig auf dem Schirm und alles ist nur jeweils einen Mausklick entfernt.
Völlig neu ist die so genannte natürlichsprachliche Suchfunktion, mit der das Lexikon auf W-Fragen geeignete Artikelangebote zu liefern versucht. Diese Funktion ist ein alter Traum der Zunft und scheint nun - mit gewaltigem Aufwand - realisiert. Fragt man beispielsweise "Welches Tier hat zwei Höcker?", öffnet sich der Artikel über Kamele. Auf die Frage "Wo wird das meiste Erdöl gefördert?" erhält man immerhin, wenn auch nicht ganz passgenau, eine Tabelle der größten Erdölvorkommen. Das alles ist zwar durchaus spektakulär, weil ungewohnt, nichtsdestotrotz darf man nicht vergessen, dass sich die Substanz lexikalisch beantwortbarer Fragen in aller Regel vollkommen problemlos in Stichworte zerlegen und über Bool'sche Verknüpfungen recherchieren lässt. Das gefeierte Recherchesystem hat zudem durchaus Grenzen: Auf die Frage "Wo übersetzte Luther die Bibel?", erhält man in der Trefferliste u. a. die einschlägigen Artikel zu Luther, zur Bibel und zur Wirkung der Bibelübersetzung angeboten; die Antwort selbst muss man sich nun aber dort noch zusammensuchen - mit der Eingabe der drei Begriffe "Luther Bibel Übersetzung" erreicht man übrigens dasselbe Resultat.
Eine wirklich zweckmäßige Neuerung ist der dreidimensionale "Wissensraum", an dessen vom Bundesbildungsministerium geförderter Entwicklung u. a. das Fraunhofer-Institut für Integrierte Publikations- und Informationssysteme in Darmstadt beteiligt war. Hier generiert die Brockhaus Enzyklopädie digital für jeden Lexikonartikel inhaltlich verwandte Begriffe, zu denen mit einem Mausklick gewechselt werden kann und die nun wiederum das Zentrum eines sich neu aufbauenden Wissensraumes ausbilden. Sucht man beispielsweise unter dem Stichwort "Antiterrorkrieg", kreisen im 3-D-Wissensraum um diesen Zentralbegriff 24 verlinkte Lemmata, die mit dem gesuchten Thema auf ganz unterschiedliche Weise verbunden sind, darunter etwa "ethnische Konflikte", "Afghanistan - Der Sturz des Taliban-Regimes im Krieg", "Bin Ladin, Osama". Vielen Artikelsymbolen im Wissensraum sind auch noch Kontextinformationen zugeordnet, die systematisch auf der gleichen oder einer höheren Hierarchieebene liegen; so gelangt man zum Beispiel über den Eintrag "Leopold" sofort per rechten Mausklick zu anderen deutschen Kaisern, aber auch zu belgischen Königen, zu Markgrafen, Erzherzögen etc. Auch wenn nicht jeder Verknüpfungsvorschlag sinnvoll ist, hilft dieses Navigationsinstrument tatsächlich, größere Themengebiete assoziativ und intuitiv zu durchstreifen. Und in Verbindung mit der millionenfachen Verlinkung der einzelnen Lemmata per Hypertext führt dieses Konzept des vernetzten Wissensraums vor allem auch dazu, dass viele Problemfelder die ursprüngliche Komplexität zurückerhalten, die ihnen durch das in deutschen Enzyklopädien lange Zeit übliche Anlegen kleinteiliger Stichwörter abhanden gekommen ist. Wer wenig Zeit hat, sollte sich allerdings disziplinieren, denn sowohl die Verlinkung als auch der dreidimensionale Wissensraum verleiten zu unbeabsichtigt ausgedehnten enzyklopädischen Streifzügen.
Der erste 1809/1811 erschienene Brockhaus umfasste rund 4.000 Seiten, und es waren darin laut Vorwort "bloß diejenigen Kenntnisse enthalten, welche ein jeder als gebildeter Mensch wissen muss, wenn er an einer guten Conversation Theil nehmen oder ein Buch lesen will." [2] Nähme man dies zum Maßstab, wären mit der Brockhaus Enzyklopädie digital ziemlich ausgedehnte Unterhaltungen möglich. Gegenüber der 20. Auflage sind noch einmal 40.000 Stichwörter hinzugekommen. Sie tragen u. a. dazu bei, dass der Brockhaus sich neuen Wissensgebieten geöffnet hat: Biotechnologie, Biometrie, DSL, HDTV, Spam, MP3-Player und iPod sind beispielsweise berücksichtigt. Auch sonst lässt die Aktualität keine Wünsche offen: Anfang März 2006 war unter dem Stichwort "Vogelgrippe" bereits der Ausbruch der Seuche in der Türkei im Januar verzeichnet. Darüber hinaus hat sich die Enzyklopädie stärker als bislang globalen Themen geöffnet. So sind etwa alle 193 Staaten der Erde mit je einem ausführlichen Länderartikel bedacht worden, der neben Staat und Gesellschaft auch Kultur und Kunst, Medien und Bildung berücksichtigt. Karten, Tabellen, Statistiken und Übersichten ergänzen diese Informationen. Zahlreiche grundlegende Übersichtsartikel spannen ebenfalls einen weiten Bogen, etwa zu Weltreligionen, Weltliteratur usw.
Interessant speziell für Historikerinnen und Historiker sind u. a. eine Zeitleiste, die von der Altsteinzeit bis zur Gegenwart reicht und gut mit dem Artikelbestand des Lexikons verknüpft ist, sowie die über 700 Quellentexte, deren Auswahl allerdings einigermaßen beliebig wirkt: Bauernregeln ("Ist der Mai recht warm und trocken, macht er alles Wachstum stocken", nun ja ...) stehen neben Erörterungen Benjamin Franklins zur Elektrizität und Aussagen zum Zinsverbot in der Bibel und im Koran. Und nicht alles, was unter der Rubrik "Quellentexte" vermerkt ist, gehört hierher: Eine aktuelle lexikalische Erörterung über die Entwicklung der Autofarben ist hier am falschen Ort, die zahlreich aufgeführten Stätten des Weltkultur- und Weltnaturerbes sind ebenfalls keine Quellentexte und zudem auch noch leer angegeben, die Verlinkung zum Artikeltext ist verborgen und nur zufällig zu entdecken.
Im Bereich der grundlegenden Artikel ist eines der neun Themenfelder dem Komplex "Geschichte & Politik" gewidmet und hier in chronologische und systematische Fragestellungen aufgefächert. Die noch einmal in 13 Einzelartikel unterteilte Rubrik "Geschichtswissenschaft" findet sich ebenso wie "Entdeckungsgeschichte", "europäische Integration" und "Menschenrechte". Vieles ist tief schürfend und mit weitem Horizont verfasst, manches verwundert, etwa dass im Bereich "Emanzipation" zwar Arbeiter, Bauern, Bürger und Frauen aufgeführt sind, nicht aber religiöse Minderheiten (Judenemanzipation z. B.) oder dass im Bereich der Geschichtswissenschaften eine junge, aber doch wichtige und dynamische Subdisziplin wie die Umweltgeschichte achtlos zu den "historischen Hilfswissenschaften" gepackt wird. Manches ist angesichts des stolzen Preises dieses Werks ärgerlich, etwa wenn sich zum Stichwort "Kolonialismus" ein Artikel zur Reiseliteratur öffnet, weil augenscheinlich der Link nicht funktioniert.
Die enzyklopädischen Einzelartikel zu historischen Fragen sind - wie gewohnt - auf sicherem Grund gebaut und in konzentrierter, klarer Sprache abgefasst. Hin und wieder hätte der Schwung, mit dem sich der Brockhaus neuen Wissenschaftsfeldern und globalen Themen geöffnet hat, noch stärker auch auf jene Themengebiete einwirken sollen, die bereits länger etabliert sind und deshalb schon in früheren Auflagen besprochen wurden. Während beispielsweise die preußischen Reformen in der napoleonischen Ära gleich in mehreren Artikeln ausführlich behandelt werden, bleibt das Lexikon beim Stichwort "Rheinbundreformen" stumm; das ist angesichts der Forschungen der vergangenen 30 Jahre nicht mehr so recht einzusehen.
Merkwürdig und irritierend sind zahlreiche Doppelungen und fehlende Bezüge: So finden sich etwa unter den Stichworten "Märzrevolution" und "Revolution von 1848/49" zwei vollkommen eigenständige Artikel, die nicht einmal aufeinander verweisen - beide behandeln aber denselben Gegenstand; zur "Glorious Revolution" gibt es ebenfalls zwei unterschiedliche, nicht miteinander verbundene Artikel, einen unter dem deutschen Stichwort "Glorreiche Revolution", einen anderen unter der englischen Bezeichnung. Der Sinn dieser Mehrfacheinträge erschließt sich mir zumindest nicht.
Wie ist nun die Brockhaus Enzyklopädie digital im Vergleich mit preiswerteren oder gar kostenlosen Enzyklopädien einzuordnen? Dazu soll zunächst ein Blick auf zwei wichtige Vertreter der Konkurrenz geworfen werden.
Die deutschsprachige Variante der Wikipedia ist online am Rechner und darüber hinaus auch am PDA und mit dem Handy nutzbar. Sie umfasst momentan rund 362.000 Artikel und damit etwas mehr als der Brockhaus. [3] Eine jüngst erschienene, sehr kostengünstige DVD-Version mit ebenfalls über 300.000 Artikeln macht die Wikipedia auch bequem offline nutzbar. [4] Über Wikipedia Commons sind aktuell rund 460.000 Mediendateien (Audios, Videos, Animationen etc.) online abrufbar [5], betrachtet man nur das Volumen, ist der Brockhaus weit abgeschlagen. Die bei Wikipedia fehlende 3-D-Erdkugel findet man bekanntermaßen bei Google Earth kostenlos, mit ähnlich vielen Anwendungsmöglichkeiten wie sie der Brockhaus-Globus bietet. [6] Die Recherchemöglichkeiten in der Wikipedia sind indes auf eine Art Volltextsuche begrenzt. Die Qualität der Artikel schwankt angesichts der offenen Struktur stark, man findet glänzend geschriebene und bestens recherchierte Abhandlungen genauso wie Missglücktes, Tendenziöses und Verunklärendes. Bekanntlich kam es in den zurückliegenden Jahren auch immer wieder zu Manipulationen an einzelnen Einträgen [7]; ein Artikel, der heute noch völlig einwandfrei ist, kann morgen schon von einem Anonymus komplett umgeschrieben worden sein. Angesichts dessen ist die Wikipedia gewiss immer einen Blick wert und sie ist in vielerlei Hinsicht auch besser als ihr Ruf, aber man kann sie wohl umso gefahrloser nutzen, je mehr man mit einem Thema schon vertraut ist.
Microsofts Encarta, die nach Angaben des Herstellers "meistverkaufte Enzyklopädie" in Deutschland [8], bietet für knapp 60 Euro über 50.000 Artikel, mehr als 24.000 Fotos und Abbildungen, über 300 Videos und Animationen, 2.800 Audios und Musikclips, ebenfalls den dreh- und zoombaren Weltatlas mit 1,8 Millionen Karteneinträgen sowie schließlich 6.200 gepflegte Weblinks. Integriert sind zudem u. a. die Encarta Kids sowie ein Wörterbuch (Deutsch und Deutsch-Englisch / Englisch-Deutsch). Das Programm umfasst knapp fünf GB und wird sowohl auf vier CDs als auch auf einer DVD geliefert; es kann komplett auf die Festplatte kopiert werden. Die Encarta kann wie der Brockhaus online aktualisiert werden, allerdings ist die Laufzeit dieses Angebots hier deutlich kürzer, weil Microsoft jährlich neue Versionen (und Updates) der Encarta auf den Markt bringt.
Die Encarta erscheint in einer Art Webseitenoptik - was sicher Geschmacksache ist - und ist intuitiv benutzbar. Zentrales Rechercheinstrument ist die Volltextsuche, daneben kann man auch in neun großen Themengebieten (darunter Geschichte) stöbern. Anstelle des Brockhaus'schen Wissensnetzes bietet die Encarta einen zweidimensionalen "Wissenskompass", bei dem die mit einem gewählten Stichwort inhaltlich verwandten Artikel auf einer Art virtuellem Karussell aufscheinen. Alles wirkt weniger komplex und sophisticated als beim Brockhaus, hat aber im Grunde einen ähnlichen, vernetzenden Effekt. Enttäuschend sind die nur wenige Sekunden kurzen und qualitativ eher dürftigen Filmchen, die in kleinen Fenstern abgespielt werden. Speziell für die historische Recherche bietet die Encarta ein vom Tertiär bis zur Gegenwart reichendes "Historama", das sich mit der Brockhaus'schen Zeitleiste vergleichen lässt. Auch hier gibt es zahllose Links zum Textbestand des Lexikons. Darüber hinaus bietet die Rubrik Geschichte 50 Quellentexte, historische Reden und Karten sowie virtuelle Reisen, u. a. nach Pompeji, Westminster Abbey und Abu Simbel.
Die Artikel der Encarta sind meist gut recherchiert und klar geschrieben, in der Regel sind sie kürzer gefasst als die Brockhauseinträge. Natürlich ist auch der Radius der Encarta deutlich schmaler als jener des Brockhaus, schließlich enthält die Encarta viel weniger Artikel. Gleichwohl: Wer für den Alltag zuverlässige, vernünftig aufbereitete Informationen sucht und die Recherche gerne multimedial begleitet, ist bei der Encarta gut aufgehoben, sie ist ein einfach benutzbares, inhaltlich solides, familientaugliches Lexikon zu einem bezahlbaren Preis.
Ein Fazit: Die Brockhaus Enzyklopädie digital ist im Vergleich zu konkurrierenden Angeboten verlockend, weil sie stets zuverlässige und in der Regel ausgezeichnet recherchierte und vorzüglich präsentierte Informationen bietet, weil sie durch den USB-Stick besonders flexibel einsetzbar ist und weil sie mit außergewöhnlich aufwändigen Recherchemöglichkeiten ausgestattet ist. Sie ist aber auch viel, viel teuerer als alle anderen Enzyklopädien am Markt, von denen viele für weniger als ein Zehntel des Brockhauspreises durchaus solide informieren. Angesichts dieses hohen Preises ist die Frage der langfristigen Hardware- und Softwarekompatibiltät des digitalen Brockhaus sicher zentral und sollte vom Verlag gelegentlich einmal ausführlich beantwortet werden. Unabhängig davon: 1.500 Euro für ein Lexikon wird nur ausgeben, wer es intensiv nutzt, und das setzt bei der digitalen Enzyklopädie eine spezifische Arbeitsweise oder Lebenseinstellung voraus. Wer diese Version des Brockhaus kauft, hat den beruflichen oder privaten Rechner in der Regel beständig eingeschaltet, denn niemand wird extra den PC hochfahren, um beispielsweise herauszufinden, ob das Zaupelschaf nun unter die mischwolligen oder unter die schlichtwolligen Schafe zählt oder was gesprengte und gekröpfte Giebel unterscheidet.
Anmerkungen:
[1] URL: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kulturinterview/403449/ (28.02.2006); vgl. auch URL: http://www.heise.de/newsticker/meldung/62531 (10.03.2006).
[2] URL: http://www.bsz-bw.de/depot/media/3400000/3421000/3421308/97_0085.html (10.03.2006).
[3] URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Willkommen (10.03.2006).
[4] Wikipedia. Das Buch - Mit der DVD-ROM Wikipedia 2005/2006, 272 Seiten + 1 DVD-ROM, ISBN: 3-86640-001-2, € 9,90.
[5] URL: http://commons.wikimedia.org/wiki/Hauptseite (10.03.2006).
[6] URL: http://earth.google.com (10.03.2006).
[7] Vgl. etwa FAZ vom 03.02.2006 (Nr. 29), S. 38: "Es riecht nach Kuhmist".
[8] URL: http://www.microsoft.com/germany/encarta/prof_overview.mspx (10.03.2006).
Wolfgang Piereth