Rezension über:

Carsten Krohn: Buckminster Fuller und die Architekten, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2004, 237 S., 100 Abb., ISBN 978-3-496-01303-7, EUR 49,00
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Rezension von:
Carsten Ruhl
Kunstgeschichtliches Institut, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Carsten Ruhl: Rezension von: Carsten Krohn: Buckminster Fuller und die Architekten, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 6 [15.06.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/06/10185.html


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Carsten Krohn: Buckminster Fuller und die Architekten

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Das Verhältnis zwischen dem Erfinder, Ingenieur und Philosophen Richard Buckminster (1895-1983) und den Architekten war stets ein gespaltenes. Der Autodidakt und rastlose Handlungsreisende verunsicherte in seinen Leib und Seele gleichermaßen strapazierenden Vortragsexzessen die Grundfesten der Disziplin und schien dabei zu allem Überfluss auch noch eine charismatische Wirkung auf die jungen Studenten auszuüben. Nicht wenige der etablierten Architekten suchten sich dieses unliebsamen Störenfrieds zu entledigen, indem sie sich weigerten, dessen Entwürfe als Architektur zu akzeptieren. Andere hingegen erkannten das große Potenzial von Fullers Ideen, wobei mal der mythische, mal der technische oder utopische Gehalt seiner unzähligen Erfindungen hervorgehoben wurde.

In seiner 2004 publizierten Dissertation 'Buckminster Fuller und die Architekten' widmet sich Carsten Krohn erstmals wissenschaftlich jener ambivalenten Rezeption des häufig missverstandenen Außenseiters Fuller und zeichnet die mitunter verschlungenen Pfade seiner Wirkung in den USA, Großbritannien und Japan nach. Dass es hierbei nicht um eine Rezeptionsgeschichte herkömmlichen Charakters gehen kann, liegt bereits in der Natur des behandelten Gegenstands: Buckminster Fuller, der sich selbst nicht als Architekt im klassischen Sinne betrachtete, hinterließ kein homogenes katalogisierbares Werk, das als Fundus für nachfolgende Architekten zu gebrauchen war. Fuller entwickelte vielmehr vielseitig verwendbare, industriell herzustellende Konstruktionen, die die Frage nach ihrem Autor als unsinnig erscheinen ließen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich Fuller in die Anonymität zurückgezogen hätte. Im Gegenteil, wie Krohn plausibel darstellt, stürzte sich Fuller leidenschaftlich in die Aufgabe, seine Ideen in Publikationen, Vorträgen und Filmen zu erläutern und zu verteidigen. Wie wichtig ihm die öffentliche Resonanz auf seine häufig irritierenden Präsentationen war, zeigt Fullers gigantisches Privatarchiv aus rund 260.000 Briefen und 37.000 Artikeln, mithilfe dessen er nach eigenen Aussagen Fremd- und Selbstwahrnehmung zu harmonisieren suchte. Dass Originalität und Beweglichkeit seines die disziplinären Grenzen stets überschreitenden Geistes tatsächlich auch anerkannt waren, zeigt die Tatsache, dass Fuller, der selbst nie einen akademischen Titel erwarb, eine Reihe von Auszeichnungen in solch unterschiedlichen Bereichen wie den Geistes- und Naturwissenschaften, den Künsten, der Literatur, dem Design, der Architektur und den Ingenieurswissenschaften erhielt. Fullers Präsenz in der Öffentlichkeit stand somit in keinem Verhältnis zu seinen oft als unverständlich empfundenen kryptischen Schriften und ihren kaum nachvollziehbaren Neologismen.

Letztere stehen auch nicht im Zentrum von Carsten Krohns Untersuchung. Der Autor widmet sich vielmehr der programmatisch diskursiven Haltung Buckminster Fullers und zieht erstmals den konsequenten Schluss, dass Vermittlung und Rezeption hierin stets mitgedacht sind und daher nicht vom eigentlichen Werk getrennt betrachtet werden können. Sie bilden gleichsam die Grundlage zu einer Theorie des Synergetischen, die Fullers Projekte als work in progress erscheinen lassen und daher mit dem traditionellen Verständnis von Architektur kaum zur Deckung zu bringen waren. Wie sehr Fuller von dieser radikal offenen Haltung einer Architektur als Potenz geprägt ist, zeigt bereits seine frühe in den Zwanzigerjahren entwickelte Wohnmaschine Dymaxion. Ganz im Sinne Le Corbusiers, jedoch auf der Grundlage eines ganz anderen Selbstverständnisses, manifestiert sich hierin der Wunsch, die Architektur in jeder Hinsicht zu rationalisieren und dadurch zu dynamisieren. Ökonomie des Materials, der Räume und der Konstruktion sind für Buckminster Fuller die Voraussetzungen, um den gestellten Aufgaben angemessen und ohne die Vorurteil beladende Attitüde des Architekten zu bewältigen. Formale und ästhetische Fragen interessierten Fuller daher kaum. Als Designer suchte er die logische Form wie sie sich aus der gestellten Aufgabe ergab, egal, ob es sich hierbei um ein Auto oder um ein Haus handelte. Auf dieser Grundlage sah er einen engen Zusammenhang zwischen der verborgenen Ordnung der Welt und den Hervorbringungen des Menschen, was er gelegentlich mit höchst idealistischen Zielen verband. Etwa, wenn er vorschlägt, Waffen einzuschmelzen, um hieraus anschließend Häuser zur Behebung der globalen Wohnungsnot in Serie herzustellen.

Im ersten Kapitel seiner Studie arbeitet Carsten Krohn jene für die Fünfzigerjahre ungewöhnliche Perspektive auf die Architektur heraus und formuliert sie als Rezeptionsvorgaben, die Fuller an die Architekten adressierte und die diese in unterschiedlicher Weise aufzunehmen verstanden. Denn obwohl sich nur wenige Vertreter des Faches offen zu Fuller bekannten, vermag Krohn in den nachfolgenden Kapiteln die breite Rezeption Fullers nachzuweisen.

Große und anhaltende Resonanz erfuhr Buckminster Fuller erstmals mit der Entwicklung seiner geodätischen Kuppeln Anfang der Fünfzigerjahre. Krohn weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass vor allem diejenigen Architekten, die über die disziplinären Grenzen hinaus dachten, Gefallen an den ungewöhnlichen Einfällen Fullers fanden. Fuller hatte sich während seiner Zeit am Black Mountain College mit geometrischen Formen beschäftigt und auf dieser Grundlage Gitternetze aus gleichschenkligen Dreiecken entwickelt die sich zu unterschiedlich großen Kuppeln zusammenfügen ließen und somit für eine Vielzahl von Bauaufgaben in Frage kamen. Mit seiner größten Kuppel überspannte er 1967 den amerikanischen Pavillon auf der Weltausstellung in Montreal. Krohn vermag gut nachvollziehbar darzustellen, auf welchen Wegen und durch welche biografischen Verflechtungen die kühnen Konstruktionen Ray und Charles Eames' sowie Konrad Wachsmanns hiervon beeinflusst wurden. Und selbst Louis Kahn, der Fuller seit den dreißiger Jahren kannte, zeigte sich schon bei seinem ersten bahnbrechenden Entwurf für die Yale Art Gallery von Fullers Kuppelkonstruktionen inspiriert.

Weitere Stationen einer breiten Rezeption finden sich in England, wo moderne Architekten wie Peter und Alison Smithson sowie technologiebegeisterte Visionäre wie Archigram vom schier grenzenlosen Erfindergeist des Amerikaners angesteckt wurden. In Japan indessen waren es die Metabolisten um Kenji Ekuan, in Italien Gruppen wie Superstudio und in Deutschland Architekten wie Frei Otto, die sich intensiv hiermit auseinander setzten. Die Heterogenität der genannten Architekten könnte also nicht größer sein und verweist darauf, dass Fuller weniger auf der motivischen, als auf der strukturellen Ebene, gleichsam im Verborgenen, wirkte.

Heute, da alle Welt von intelligenter Architektur spricht, kann die Aktualität von Fullers ungewöhnlichen, zum Großteil schon damals realisierbaren Ingenieursleistungen nicht zu hoch eingeschätzt werden. In den letzten beiden Jahrzehnten machte insbesondere Norman Foster in diesem Sinne auf sich aufmerksam, wenngleich der missionarische Eifer eines Fullers jenem global player der Architekturszene nicht ferner liegen könnte. Gerade aber Fosters Maschinenästhetik, die auf jede Aufgabenstellung programmatisch flexibel reagiert, verrät die heutige Bedeutung von Fullers Auffassung der Architektur als Industriedesign.

Carsten Krohn, der selbst Architektur, Kunstgeschichte und Stadtplanung in Hamburg und New York studiert hat und dessen Dissertation im Rahmen des Hamburger Graduiertenkollegs für politische Ikonografie entstanden war, weiß wovon er redet. Als ehemaliger Angestellter im Büro Foster ist er mit jener Tradition bestens vertraut und vermag so erstmals, ein Panorama der Einflüsse Fullers auszubreiten. Auch wenn dies am Ende gelegentlich etwas additiv geschieht und man sich stellenweise einen größeren Einblick in das theoretische Denken Fullers gewünscht hätte, stellt das vorliegende Buch einen grundlegenden Beitrag zum Verständnis eines häufig Unverstandenen dar.

Carsten Ruhl