Edith Feistner (Hg.): Das mittelalterliche Regensburg im Zentrum Europas (= Forum Mittelalter. Studien; Bd. 1), Regensburg: Schnell & Steiner 2006, 296 S., 101 Abb., ISBN 978-3-7954-1803-8, EUR 29,90
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"Das mittelalterliche Regensburg im Zentrum Europas". Schon der Titel des hier anzuzeigenden Sammelbandes erweckt Interesse. Die Stadt an der Donau, die nach einer Quelle des 13. Jahrhunderts in einer Reihe mit Rom, Trier und Köln zu den vier vornehmsten Metropolen der Christenheit gezählt wurde, wies in der Tat Beziehungen in nahezu alle Teile Europas auf.
Insgesamt 18 Beiträge unterschiedlichster Couleur und Zielsetzung, durch die einigende Klammer des Oberthemas verbunden, versammeln sich zu einem bunten Strauß zur mittelalterlichen Geschichte der Domstadt. Sämtliche hier veröffentlichten Artikel basieren dabei auf Vorträgen, die Ende September / Anfang Oktober 2004 anlässlich einer Regensburger Tagung präsentiert wurden.
Die Aufsätze lassen sich grob in mehrere Gruppen untergliedern: Ein erster Abschnitt hat die früh- und hochmittelalterliche Geschichte der Stadt zum Inhalt. So widmet sich Peter Landau, "Regensburg und die Entstehung der Lex Baiuvariorum" (9-24), einem zentralen Thema der frühmittelalterlichen bayerischen Geschichte. Seine wohl begründete und überzeugend vorgetragene Hypothese lautet: Die Lex Baiuvariorum sei in den Jahren 737 bis 743, als die fränkischen Hausmeier ohne die rois fainéants, die Schattenkönige aus dem Geschlecht der Merowinger, regierten, wahrscheinlich im bedeutenden Regensburger Kloster St. Emmeram entstanden. Bei diesem Beitrag handelt es sich über weite Strecken um den wortgleichen Abdruck einer bereits anderweitig publizierten Studie. [1] Einem wohl ebenso oft behandelten Sujet gilt die Aufmerksamkeit des hieran anschließenden Aufsatzes. Im Zentrum steht dabei das Bauwerk, welches neben dem gotischen Dom bis heute als das Wahrzeichen Regensburgs schlechthin angesehen werden kann, die Steinerne Brücke. Im vorliegenden Band nahm sich Artur Dirmeier, "Die Steinerne Brücke in Regensburg" (25-41), erneut der Geschichte dieses Flussüberganges an. Dirmeier entwickelt hierbei einige Neuinterpretationen, die den weiteren Gang der Erforschung dieses bedeutenden Brückenbauprojektes sicherlich befruchten werden. Thematisch eng anlehnend, unternimmt Heinrich Wanderwitz, "Regensburg, ein früh- und hochmittelalterliches Handelszentrum" (43-54), eine seit Langem als Desiderat geltende Neubewertung der früh- und hochmittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte der Domstadt. Reichlich Diskussionsstoff dürfte freilich seine Interpretation bieten, derzufolge man bereits im 9. Jahrhundert in Regensburg einen Umschlagplatz für Erzeugnisse der Oberpfälzer Waffenproduktion erblicken könne. Dagegen zielt der Beitrag von Andreas Angerstorfer, "Die Ausstrahlung der Talmudschule und des Bet Din von Regensburg von Frankreich bis nach Kiew (1170 bis 1220)" (55-69), auf die bildungsgeschichtlich hoch interessanten Wirkkreise der ersten und zweiten Gelehrtengeneration einer der vornehmsten und größten Judengemeinden des Reiches.
Eine zweite Gruppe von Forschern rückt die Kunst- und Architekturgeschichte des Regensburger Domes ins Zentrum. Während Marc Carel Schurr, "Der Regensburger Dombau und die europäische Gotik um 1300" (71-89), eine Einordnung der frühen Bauphase der Kathedrale in den europäischen Kontext vornimmt, zeigt Friedrich Fuchs, "Mittelalterliche Steinmetzzeichen am Regensburger Dom: Ansätze für vergleichende Bauforschung (Regensburg-Prag)" (91-104), die Möglichkeiten einer quantifizierenden und EDV-gestützten Erfassung dieser Symbole. Insgesamt 10.500 Steinmetzzeichen aus dem Zeitraum von 1275 bis 1450 wurden im Rahmen eines zeitweise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes zur Erforschung des Regensburger Domes erfasst. Deren erste Auswertung erbrachte gerade auch sozialgeschichtlich relevante und nachgerade äußerst bemerkenswerte Ergebnisse. In einen ähnlichen Kontext ist auch der Beitrag von Peter Morsbach, "Die Regensburger Werkmeisterfamilie Roriczer" (105-122), einzuordnen. Morsbach schildert die Geschichte dieser berühmten Familie vom Auftreten des ersten fassbaren Vertreters Wenczlaw bis zur Enthauptung des Dombaumeisters Wolfgang Roriczer im Jahre 1514.
Dem Regensburger Schottenkonvent gilt die Aufmerksamkeit der folgenden zwei Beiträge. Ermöglicht Frank Shaw, "Karl der Große und die schottischen Heiligen: Die fiktive Gründungslegende des Regensburger Schottenklosters" (123-133), dem Leser einen ersten Zugang zu Überlieferung, Inhalt und Wahrheitsgehalt dieser Legende, so liefert Hermann Reidel, "Iroschottische Kunst und Kultur in Regensburg: Europäische Beziehungen und Einflüsse im Mittelalter" (135-143), einen gedrängten, jedoch gleichermaßen historischen wie kunsthistorischen Überblick zur europäischen Dimension des Regensburger Schottenklosters.
Eine weitere Gruppe von Aufsätzen befasst sich in unterschiedlichsten Zugängen mit der Geschichte der Mendikanten im mittelalterlichen Regensburg. Isnard W. Frank, "Frömmigkeits- und Bildungstransfer: Das europäische Profil der Bettelorden im 13. Jahrhundert" (145-157), zeigt, vornehmlich am Beispiel des Predigerordens, dass die hohe personelle Mobilität in den Bettelorden sowie die Wertschätzung, welche insbesondere die Dominikaner dem Studium entgegenbrachten, den Transfer von Frömmigkeits- und Bildungsinhalten ermöglichten.
Während das Interesse von Rolf Schönberger, "Albertus Magnus und Thomas von Aquin: Zu einem Lehrer-Schüler-Verhältnis", (159-176), den beiden wohl bedeutendsten Dominikanern des Mittelalters und ihrem Werk gilt, behandelt Edith Feistner, "Regionalisierung und Individualisierung in europäischen Dimensionen: Der Blick Lamprechts von Regensburg auf den Heiligen Franziskus von Assisi", (177-189), das Werk eines weitgehend unbeachteten franziskanischen Dichters des 13. Jahrhunderts. Feistner weist vor allem auf die zahlreichen lokalen Einschübe hin, die Lamprecht seiner deutschen Bearbeitung der Vita prima des Heiligen Franz aus der Feder des Thomas von Celano beigab. Einer ungleich bekannteren Persönlichkeit dieses Saeculums wendet sich dagegen Reinhard Saller, "Predigtwandel und städtische Ökonomie: Zum ökonomischen Rationalismus in Predigttexten Bertholds von Regensburg" (191-199), zu.
Gleichfalls einem vornehmlich philologisch-historischen Zugriff verpflichtet sind die folgenden beiden Aufsätze von Sonja Emmerling, "Daz ich niuwe mînen sanc: Zur Rezeption französischer Minnelyrik im Regensburger-Rietenburger-Corpus" (201-210), und Sylvie Stanovská, "Zur alttschechischen Liebeslyrik des 14. und 15. Jahrhunderts im Verhältnis zum deutschen Minnesang und zur späteren deutschen Liebeslieddichtung" (211-222). Während Emmerling eine in der mediävistischen Germanistik seit Langem kontrovers diskutierte Frage, ob die Burggrafen von Regensburg und Rietenburg ein und dieselbe Person waren, wohl zu Gunsten einer personalen Identität entscheiden kann, gibt Stanovská einen Überblick zu Überlieferung, Umfang und Charakter einer in Deutschland nur wenig bekannten alttschechischen Literaturgattung.
Lenkte bereits Stanovskás Beitrag den Blick in östliche Richtung, so orientieren sich auch die letzten drei hier anzuzeigenden Aufsätze dorthin. Václav Bok, "Zum Kult der Regensburger Heiligen Emmeram und Erhard in den böhmischen Ländern" (223-233), zeigt, dass eine Verehrung Emmerams in Böhmen schon seit dem Frühmittelalter anzunehmen ist und sich in allen gesellschaftlichen Schichten bis in das 15. Jahrhundert hinein zumindest sporadisch fortsetzte. Dagegen lassen sich Zeugnisse einer dem Heiligen Erhard geltenden Wertschätzung erst seit dem 14. Jahrhundert nachweisen. Einen umfassenden, aus dem Erfahrungsschatz einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit diesem Komplex schöpfenden Überblick zum Beziehungsgeflecht Regensburgs mit seinen östlichen Nachbarn gibt Paul Mai, "Regensburg und der Osten" (235-247). Der Bogen spannt sich dabei vom Frühmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, wobei der Schwerpunkt unverkennbar auf der mittelalterlichen Dimension der Thematik liegt. Abgerundet wird der Band schließlich durch Rudolf Šrámek, "Die Westorientierung der tschechischen Exonyme" (249-258). Auch in diesem Fall wird die exzeptionelle Stellung Regensburgs für die frühmittelalterliche Geschichte Böhmens noch einmal deutlich. Řezno, das tschechische Exonym für Regensburg, darf nämlich wohl als eines der ältesten Exonyme der Tschechischen Sprache überhaupt gelten.
Gerade angesichts der Breite und Heterogenität der hier versammelten Aufsätze ist ein fehlendes Register umso mehr zu bedauern. Erfreulich nimmt sich dagegen die offensichtlich sorgfältig durchgeführte Redaktionsarbeit aus, gerade in Zeiten vieler nur unzureichend redigierter Publikationen ein nachdrücklich hervorzuhebendes Positivum.
"Das mittelalterliche Regensburg im Zentrum Europas". Auch wenn naturgemäß bei Weitem nicht alle Aspekte dieser breiten Thematik Behandlung finden konnten, so zeigt sich doch eindrucksvoll, wie unterschiedlich die Forschungsfelder sind, auf denen die mittelalterliche Vergangenheit Regensburgs bearbeitet wird und wie ertragreich zugleich die Früchte dieser vielfältigen Bemühungen ausfallen. Auch blieb die viel und oft beschworene Forderung nach Interdisziplinarität in diesem Falle kein bloßes Lippenbekenntnis.
Insgesamt bleibt also der Eindruck eines Sammelbandes, dessen Einzelbeiträge der Forschung mehr oder weniger nachdrücklich neue Impulse geben dürften. Man darf daher schon gespannt und voller Erwartung der Publikation der Tagungsakten 2005 entgegenblicken.
Anmerkung:
[1] Peter Landau: Die Lex Baiuvariorum. Entstehungszeit, Entstehungsort und Charakter von Bayerns ältester Rechts- und Geschichtsquelle (= Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist. Klasse, Jahrgang 2004, Heft 3) München 2004.
Bernhard Lübbers