Axel Kuhn / Jörg Schweigard: Freiheit oder Tod. Die deutsche Studentenbewegung zur Zeit der Französischen Revolution (= Stuttgarter Historische Forschungen; Bd. 2), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, 481 S., ISBN 978-3-412-14705-1, EUR 49,90
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Die Studentengeschichte der frühen Neuzeit ist ein nur gelegentlich umfassender bearbeitetes Feld. Insbesondere der Blick auf das 18. Jahrhundert ist ungeachtet neuerer Studien insgesamt geprägt von einer Geschichtsschreibung studentischer Korporationen, die nach der "Vorgeschichte" ihrer Sitten und Organisationsformen suchte. Axel Kuhn und Jörg Schweigard streben keine Gesamtdarstellung des Studentenlebens an, aber sie möchten ein Einzelphänomen, die Reaktion der deutschen Studenten auf Gedanken und Ereignisse der Französischen Revolution, umfassend ausbreiten und damit belegen, dass die Politisierung der deutschen Studentenschaft nicht erst eine Folge der Befreiungskriege ab 1809 war. Kuhn / Schweigard laden den Leser ein, "sich einzulassen auf eine Zeit voller Hoffnung, wieder jung zu werden mit den Hauptpersonen unserer Darstellung und hinzuspüren auf das, was die Begegnung mit einer vergangenen Welt in uns heute bewirkt" (1). Ihr Ansatz ist explizit politisch, würden wir doch "mit größerer Sympathie den Prozeß studentischer Politisierung verfolgen", wenn "an deren Anfang das Bekenntnis zu den völkerverbindenden Werten von Freiheit und Gleichheit gestanden hätte" (2). Die Absicht, "demokratische Traditionen des heutigen Deutschlands zu erhellen" (18), bestimmte auch die Begrenzung des Untersuchungsgebiets.
Die von den Autoren gewählte kleinteilige Darstellungsweise macht eine kurzgefasste Angabe des Inhalts der achtzehn Kapitel kaum möglich. Ein erstes Kapitel versucht, auf 20 Seiten den "Studentenalltag am Ende des 18. Jahrhunderts" zu umreißen, zehn davon befassen sich unter Überschriften wie "Studentenleben", "Studentenunruhen" und "Studentenverbindungen" mit den disziplinarischen Problemen an den Universitäten. Das zweite Kapitel zeichnet den "Wandel studentischer Mentalitäten" nach, vom Appell an religiöse Tugenden zu philosophischen Haltungen, in denen die persönliche Freiheit größere Bedeutung erhält. Ein drittes Kapitel stellt einen Bezug zur kritischen Philosophie Kants und "jakobinischen Gedanken" in der Philosophie Fichtes und deren studentischer Rezeption her.
Nach diesen drei vorbereitenden Kapiteln beginnt, ansetzend im Juli 1790, eine ungefähr chronologische Erzählung verschiedener Studentenunruhen und auffallender Studenten- und Professorenpersönlichkeiten, die jeweils auf ihren politisch revolutionären Gehalt abgeklopft werden. Mehrere Professoren exponierten sich so weit, dass sie ihre Anstellung verloren. Auf dieser Grundlage entstanden politische Interessen und Aktivitäten einzelner Studenten und kleiner Gruppen. Zunächst waren es aber ganz altständisch ablaufende Unruhen in Göttingen, Halle, Jena, Helmstedt und Leipzig, konstatiert werden kann lediglich, dass die Obrigkeit im Kontext der Französischen Revolution noch sensibler auf Unruhen reagierte (104). Mit der Darstellung der Revolutionsbegeisterung an der Hohen Carlsschule (die man nicht unbedingt als Universität ansehen kann) geraten tatsächlich Schüler und Lehrer in den Blick, die auf Revolutionsparolen Bezug nahmen. Zu den bedeutungsvollen und folgenschweren Höhepunkten der Darstellung zählen die Ereignisse im Tübinger Frühjahr 1792, die kurzzeitigen Umwälzungen in Mainz mit der Übergabe an die französischen Truppen im Oktober 1792, die Auseinandersetzungen um die Chokoladisten in Jena und die Aktivitäten verschiedener Göttinger Studenten 1792/93, die sich in einem regierungskritischen Flugblatt und verschiedenen Unruhen äußerten. Inzwischen organisierten sich Studenten an verschiedenen Universitäten in politischen Klubs oder Lesegesellschaften und trugen zuweilen auch einen politischen Impetus in die Ereignisse. Es folgt unter dem Titel "Unbotmäßige Gesinnungen in der akademischen Provinz" ein Blick auf Ereignisse und handelnde Personen an verschiedenen anderen Universitäten (wobei man zwar versteht, warum etwa Duisburg oder Bonn, aber nicht, warum Leipzig akademische Provinz sein soll), um dann zurückzuschwenken auf die Ereignisse in Tübingen, in die auch Hölderlin verwickelt war, und die "Radikalisierung der Studenten in Halle 1792/94": Dort vertrieben Studenten sogar zwei Berliner Regierungskommissare gewaltsam, weil jene die angeblich zu "progressive" Lehre einiger Professoren untersuchen sollten. Zwei weitere Kapitel beschreiben unter der Überschrift "Studenten zur Zeit der Jakobiner" Studentenunruhen ab Juli 1794 in Frankfurt, Leipzig, Kiel, Rostock, Göttingen, Erlangen und Altdorf.
Zusammenfassend sehen die Autoren einen "Politisierungsprozess" in drei Phasen (430 ff.). Der ersten Phase ordnen sie die Entstehung der Studentenorden seit den 1770er Jahren zu, die sozusagen unter einer neuen - nichtregionalen - Organisationsform Gewohnheiten des alten Studentenlebens pflegten. In einer zweiten Phase gingen die Studentenorden dann unter, weil sie nicht mehr in die neue Zeit passten, in der die Studenten begannen, sich "für Menschenrechte, Verfassung und Republik, aber auch für Reformen des Universitätslebens zu erwärmen". Als dritte Phase dieser Entwicklung sehen sie die bisher bereits viel beschriebene Zeit seit 1813/14, als es mit der Politisierung auch zu einer nationalen Orientierung der Studenten kam. Schlagwortartig nennen sie die drei Phasen "Formierung, Revolutionierung und Nationalisierung" (436). Eine Häufung von Stammbuchsprüchen ab 1794, die den "Heldentod" verherrlichen, deuten sie als Militarisierung und Übergang zum Anfang der dritten Phase in den Befreiungskriegen. Zugleich verlor sich die Revolutionsbegeisterung einzelner, da die französischen Truppen nun nicht mehr als Befreier gesehen wurden. Die Studenten wandten sich einstweilen wieder ihren traditionellen Beschäftigungen zu.
Die Autoren listen am Ende die verwendeten Stammbücher auf, verzichten aber ganz auf ein Literaturverzeichnis. Die Auswahl der benutzten bzw. zitierten Literatur ist denn auch eher willkürlich. Die Autoren wollen zwar nicht den Eindruck erwecken, "als seien noch nie Bücher über Studenten geschrieben worden", aber sie schreiben die Geschichte bewusst von den ausgesuchten Quellen aus und halten die Auseinandersetzung mit der Literatur sehr knapp bzw. verzichten darauf, sie über die Quellenermittlung hinaus zu rezipieren, weil ihre "politische Voreingenommenheit [...] die Darstellung beeinträchtigt" (9 f.).
Leider fällt dieser (unbelegte) Vorwurf auf die Autoren selbst zurück. Häufig werden Ereignisse und Stammbuchquellen einfach nebeneinander gestellt und suggerieren so Zusammenhänge, auch wenn sie nicht explizit behauptet werden. Da wird ein ganz traditionell motivierter Studentenauszug in Helmstedt beschrieben, anschließend folgen "freiheitliche" Stammbuchsprüche einiger Helmstedter Studenten (91 f.). Manche Eintragungen gehören eher noch in den Umkreis eines sozialromantischen "Sturm und Drang" (zum Beispiel 238). Kuhn / Schweigard sind sich natürlich der Wandlungen des studentischen Freiheitsbegriffs bewusst, aber sie zitieren großzügig. Was sagt es uns aber, wenn Schüler der "Hohen Carlsschule" in Stuttgart in Stammbüchern von Freiheit träumen, wenn Schiller hier sein "freiheitliches Schauspiel" "Die Räuber" schrieb? (106 f.). Kann man die Freiheitsträume von Internatsschülern mit einem revolutionären Freiheitsbegriff gleichsetzen? Bei einem einzigen Schüler der Carlsschule ist seine "Politisierung" nachvollziehbar. Dieser dient dann aber als zentraler Beleg für eines der wichtigsten Kapitel. Wenn er in einer offiziellen Rede an den Herzog die Förderung von Krankenanstalten und Armenhäusern anregt (eine klassische Aktivität schon der Frühaufklärung) wird dies für die Autoren zu einem Zitat aus dem Forderungskatalog der Jakobiner (109 f.).
An anderer Stelle wird der Gerichtsschulze nach den Göttinger Handwerker- und Studententumulten im Juli 1790 zitiert. Tatsächlich sieht er im Tragen roter Kokarden einen bedenklichen Unternehmungsgeist und beobachtet "widrige Gesinnungen" der Bürger im Aufruhr. Kuhn / Schweigard sehen nicht ganz zutreffend Kokarden ausschließlich als Revolutionssymbol, behaupten, nach dem Bericht würden die widrigen Gesinnungen der Bürger durch das Tragen von Kokarden deutlich und fühlen sich so an die Ereignisse in Frankreich erinnert (84).
Wer seine Darstellung 1790 beginnt und auf ein Phänomen konzentriert, mag bei einem Handwerkeraufruhr zum Schluss kommen, dass die Handwerker sich "nun nicht mehr alles gefallen" ließen (85). Aber das geht an der Realität altständischer Auseinandersetzungen vorbei. In Rostock baten Handwerker nach einem Studentenauszug um die Rückholung der Studenten. Kuhn / Schweigard sehen hier im Kontext der Revolution eine Solidarisierung mit den Studenten, die den traditionellen Antagonismus aufbricht (331 f.). Aber könnten die Handwerker nicht einfach - wie an anderen Universitäten - ihre auch nahe liegenden ökonomischen Interessen gesehen haben?
Es wurde zwar die enorme Menge von 460 Stammbüchern ausgewertet und aufgelistet. Aber sie dienten nur dazu, eine groß erscheinende Menge von Freiheitsparolen zusammenzutragen, die in einen Zusammenhang mit der Kernthese zu bringen waren. Die "ergebnislos" durchgesehenen Stammbücher bleiben unberücksichtigt, die Bedeutung der Parolen im Kontext der Stammbücher bleibt weitgehend offen. Es gibt gute Gründe, Memoiren kritisch zu sehen, in denen häufig die eigenen Aktivitäten der Studentenzeit distanziert referiert werden (4 f.), aber eine ähnliche Kritik könnte man auch an den euphemistischen Freiheitsausrufen in den Studentenstammbüchern üben. Der Sammeleifer der Autoren stellt überzeugende neben weniger überzeugende Belege. Leider ergibt sich durch die Fragwürdigkeiten und Unschärfen in der Quellenbehandlung aber gerade kein klares Bild, wie viele einzelne Studenten und Studentengruppen tatsächlich Ideen der Französischen Revolution aufnahmen und vertraten. Das Verdienst der Darstellung liegt im Versuch einer neuen detaillierten Gesamtschau der deutschen Universitäten, wenn auch nur für eine bestimmte Frage und einen sehr eng begrenzten Zeitraum.
Stefan Brüdermann