Stefan Reichmuth / Mark Bodenstein / Michael Kiefer et al. (Hgg.): Staatlicher Islamunterricht in Deutschland. Die Modelle in NRW und Niedersachsen im Vergleich (= Islam in der Lebenswelt Europa; Bd. 1), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006, 143 S., ISBN 978-3-8258-8830-5, EUR 14,90
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Im September 2006 lädt Innenminister Wolfgang Schäuble zu einer "Islamkonferenz". Dort - so heißt es - will er einen langfristig angelegten "Gesellschaftsvertrag" mit führenden Muslimen und deren Institutionen vorbereiten. Unter anderem beabsichtigt der Minister, den Muslimen in Deutschland die Einführung eines bundesweiten Islamischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen anzubieten. Ihm ist sicherlich bewusst, dass das eigentlich nicht in sein Ressort fällt, denn in Deutschland ist Schulpolitik Sache der Länder. Aber Innenminister Schäuble geht es wohl mehr um die Signalwirkung für die ca. 3,3 Millionen Muslime in Deutschland. Im Hinblick auf die aktuelle Integrationsdebatte soll den Muslimen gezeigt werden, dass die Gleichberechtigung der muslimischen Kinder mit ihren christlichen und jüdischen Schulkameraden hinsichtlich des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts nicht mehr weit ist. Ebenso macht der Minister gegenüber den Ländern Nägel mit Köpfen. Denn liegt erst einmal eine Absichtserklärung des Bundesministers des Inneren zum Islamischen Religionsunterricht vor, werden selbst zögernde Länder diesem Thema nicht mehr ausweichen können. Die Einführung eines solchen Unterrichts würde im Übrigen nicht bei Null beginnen, existieren doch in einigen Bundesländern bereits langjährige Schulversuche zum Islamischen Religionsunterricht. Dennoch stellt die bundesweite Einführung eines Islamischen Religionsunterrichts eine logistische Herausforderung für die Länder dar, denn für 700.000 Schüler muslimischen Glaubens würden ca. 4.500 Lehrer benötigt, ganz abgesehen von den ca. 10-15 Lehrstühlen für islamische Theologie (Islamische Religionspädagogik), die die Lehrerausbildung tragen müssten.
Wenn man so will, ist jetzt so etwas wie das Begleitbuch zur geplanten "Islamkonferenz" unter dem Aspekt Islamischer Religionsunterricht in Deutschland erschienen. Der vorliegende Band dokumentiert die Ergebnisse des Panels Staatlicher Islamunterricht in Deutschland, das auf dem 29. Deutschen Orientalistentag am 24. September 2004 in Halle durchgeführt wurde.
Die Autoren der Beiträge befassen sich dabei vor allem mit dem islamkundlich orientierten Schulversuch Islamkunde in deutscher Sprache in NRW sowie dem Schulversuch Islamischer Religionsunterricht in Niedersachsen. Sicher ist für die Autoren, dass der Islamische Religionsunterricht analog zu dem christlichen kommen wird. "Es ist dabei bemerkenswert, dass sich mittlerweile ein breiter gesellschaftlicher Konsens für einen islamischen Religionsunterricht im Sinne des Grundgesetzes (Art. 7 Abs. 3) gebildet hat." (Reichmuth/Kiefer, Einleitung, 7). Die Frage ist daher nicht mehr, ob der Unterricht kommt, sondern nur wann und in welcher Form. Der bisherige Hemmschuh, nämlich die Problematik, wer denn nun auf muslimischer Seite der zentrale Ansprechpartner sei, der eine den Kirchen vergleichbare Funktion gegenüber den Ländern einnehmen könne, scheint auch von Juristen (siehe dazu den Beitrag von Martin Stock) immer flexibler gesehen zu werden, so dass man mittlerweile anscheinend von staatlicher Seite auch bereit ist, mit Provisorien zu leben, um den Islamischen Religionsunterricht überhaupt auf den Weg bringen zu können.
Als äußerst sinnvollen Einstieg in die Thematik erläutert Michael Kiefer in seinem Beitrag (15-26) erst einmal den aktuellen Sachstand aller Unterrichtsmodelle bezüglich staatlichen Islamunterrichts in Deutschland (Stand: Schuljahr 2004/2005). Derzeit existierten dabei zwei Modellstränge: Auf der einen Seite gäbe es den Islamkundlichen Unterricht, der zumeist ohne oder nur mit geringen Mitwirkungsmöglichkeiten der Islamischen Religionsgemeinschaften realisiert werde, wobei das größte derzeitige Projekt in NRW angesiedelt sei. Auf der anderen Seite existiere das Modell des Islamischen Religionsunterrichts, bei dem in Kooperation mit lokalen Zusammenschlüssen von islamischen Vereinen bzw. Verbänden der Weg für einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht im Sinne von Art. 7 Abs. 3 geebnet werden sollte. Hier nimmt bisher das Land Niedersachsen eine Vorreiterrolle ein.
Im Beitrag von Klaus Gebauer, einem Veteranen des Schulversuchs Islamkunde aus NRW, der als Verantwortlicher des Landesinstituts für Schule in Soest die "Islamische Unterweisung" seit 1979 begleitet hat, geht es detailliert - auch mit der Darstellung von Lehrplänen - um den Schulversuch in NRW. Er spannt dabei den zeitlichen Bogen von den Anfängen im Rahmen des muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts bis hin zum heutigen versetzungsrelevanten Schulfach Islamkunde in deutscher Sprache an 140 Schulen (Schuljahr 2005/2006), der von ca. 120 Lehrern mit Planstellen unterrichtet werde (28). Man erreiche so 9.000 der geschätzten 100.000 muslimischen Schüler im Land. Obwohl der Unterricht vom Land ohne Einbeziehung der Verbände (juristische Klagen dieser sind noch anhängig) allein verantwortet werde, könnten im Schulversuch nur muslimische Lehrer unterrichten und langfristig sollte ein regulärer Islamischer Religionsunterricht erfolgen. "Zum Selbstverständnis des 'Projekts Islamkunde' in NRW ist deutlich zu betonen, dass dieser Unterricht als Platzhalter für einen möglichen islamischen Religionsunterricht in der Zukunft angesehen wird" (28). Muslimische Lehrer könnten am Lehrstuhl "Religion des Islam" der Universität Münster ausgebildet werden, der im Wintersemester 2003/2004 seine Arbeit aufgenommen habe.
In anschließenden Beiträgen beleuchten zwei Mitarbeiter des Schulversuches, Bülent Ücar und Kays Mutlu, die Akzeptanz des Schulversuches auf islamischer Seite in NRW. Auf Seite der islamischen Verbände scheint besonders die türkeinahe "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB)" der Islamkunde skeptisch gegenüberzustehen. Es werde befürchtet, dass die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache zur Germanisierung der hiesigen Türken beitrage (55). Andere Verbände, die sich nicht so stark mit dem jeweiligen Herkunftsland identifizierten, stünden dem Vorhaben aber eher positiv gegenüber. Kays Mutlu schließlich gewährt auch amüsante Einblicke in seine Tätigkeit als Lehrer, etwa wenn er mit einer Schülerin außerhalb der Klasse Türkisch redet und diese meint: "Deutsch steht Ihnen besser!" Insgesamt haben beide positive Erfahrungen gemacht und mittlerweile nehmen 80% der fraglichen muslimischen Schüler an der Islamkunde teil.
In Niedersachsen stellt sich die Lage des Islamischen Religionsunterrichts etwas anders dar, wie Birgit Väth in ihrem Aufsatz berichtet. Dort begann der Modellversuch erst im Schuljahr 2003/2004 an acht ausgewählten Grundschulen. Der Versuch ist dabei auch als eine verstärkte Bemühung zur Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft vor dem Hintergrund der Ereignisse des 11. Septembers 2001 zu verstehen (73). Das Kultusministerium lud, in Ermanglung eines zentralen islamischen Ansprechpartners verschiedene islamische Verbände zu einem "Runden Tisch" ein, der die Grundlagen des Schulversuchs erarbeitete, die Väth dann auch darstellt. Durch die Einbeziehung der Verbände denken die niedersächsischen Verantwortlichen, der Auflage des Grundgesetzes bezüglich des Religionsunterrichts eher zu entsprechen. Allerdings solle der "Runde Tisch" nur eine Übergangslösung darstellen, bis sich ein einheitlich auftretender Gesprächspartner auf Seite der Muslime herausgebildet habe (74). Gleichzeitig zum Schulversuch findet zurzeit in Niedersachsen eine Weiterbildung für Lehrer statt, die später Islamischen Religionsunterricht unterrichten wollen. Von dieser Weiterbildungsmaßnahme berichtet Mark Bodenstein in seinem lesenswerten Beitrag. Bodenstein, der den Bereich Islamstudien in der Weiterbildung verantwortet, erklärt die Struktur und Lehrinhalte der dreijährigen Maßnahme. Darüber hinaus widmet er einige Passagen der konkreten Durchführung, die doch einigen Problemen begegnet sei, wie der mangelnden Fremdsprachenkenntnis der muslimischen Teilnehmer oder des Fehlens islamischer kanonischer Texte auf Deutsch. Insgesamt scheint die Bewertung der Weiterbildung aber positiv zu sein, denn an der Universität Osnabrück ist ab 2007 die Einrichtung eines Masterstudiengangs Islamische Religion geplant, der die Lehrerausbildung des bisherigen Weiterbildungsprogramms ablösen soll.
Positiv am vorliegenden Band fällt auf, dass der Kritik von Muslimen an den bestehenden Projekten Raum gegeben worden ist. So bemängeln Djavad Mohagheghi und Firouz Vladi von dem Rat der islamischen Gemeinde Niedersachsens ("Schura Niedersachsen") die auch am "Runden Tisch" teilnahmen, dass die Muslime dem Versuch zwar sehr positiv gegenüber stünden, sie aber bei der Auswahl der Lehrer überhaupt nicht beteiligt worden seien (98). Mit Verwunderung wird hier auch zur Kenntnis genommen, dass das Ministerium für den Unterricht den Bereich der rituellen Praxis ausgeklammert habe, also Beten, Fasten, Feiern von religiösen Festen etc. "Inwieweit ein konfessioneller Unterricht dies rechtfertigt - auch in Relation zu Weihnachtsfeiern etc. in der Schule - wäre zu untersuchen." (97). Ismail Kaplan schließlich gibt in seinem Beitrag zu bedenken, dass sich die aus dem Islam hervorgegangene religiöse Splittergruppe der hauptsächlich türkischen Aleviten (Schätzungen sprechen von 400-600.000 Aleviten in Deutschland) in keinem der beiden Schulversuche wieder fände, weshalb sie in beiden Ländern einen eigenen Antrag zur Erteilung alevitischen Religionsunterrichts gestellt hätte, der zumindest in NRW schon positiv beschieden worden sei. Abschließend bewertet dann Martin Stock die Lage des islamischen Unterrichts an öffentlichen Schulen in NRW aus juristischer Sicht und plädiert für möglichst flexible und am Kindeswohl orientierte Lösungen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Buch einen sehr wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte zum Islamischen Religionsunterricht im Speziellen und zur Integrationsdebatte im Allgemeinen leistet. Es scheint nach der Lektüre klar zu sein, dass dem Islamischen Religionsunterricht die Zukunft gehört, wobei um Struktur und Inhalte noch gerungen wird. Die bisherigen Modelle sind im Buch klar und verständlich dargestellt. Besondere Stärke entwickelt das Buch, wenn es zwischen den Zeilen, vor allem in den Berichten aus der Praxis, etwas "menschelt", wenn also klar wird, dass hier nicht starre Konzepte die Zukunft des Islamischen Religionsunterrichts bestimmen, sondern dass es eine aktive und positive Interaktion aller hieran beteiligten Menschen gibt.
Anmerkung der Redaktion:
Für eine komplette Darstellung der arabischen Umschrift empfiehlt es sich, unter folgendem Link die Schriftart 'Basker Trans' herunterzuladen: http://www.orientalische-kunstgeschichte.de/orientkugesch/artikel/2004/
reichmuth-trans/reichmuth-tastatur-trans-installation.php
Albrecht Fuess