Stefan Reichmuth: The World of Murtaḍā az-Zabīdī (1732-91). Life, Network and Writings, London: Gibb Memorial Trust 2009, 288 S., ISBN 978-0-906094-60-0, GBP 50,00
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Im Mittelpunkt dieses Buches steht der 1791 verstorbene Murtaḍā az-Zabīdī, allen fortgeschrittenen Studierenden der Islamwissenschaft bekannt als Verfasser des umfangreichen Arabisch-Lexikons Tāj al-ʿarūs ("Die Krone der Braut"). Stefan Reichmuth hat sich nun der mühevollen Aufgabe unterzogen, Leben und Schriften dieses herausragenden muslimischen Gelehrten des 18. Jahrhunderts zu untersuchen, um eine geschlossene und überzeugende Biographie vorlegen zu können. Dies ist ihm auch in bester Weise gelungen. Der Leser kann fasziniert Murtaḍā az-Zabīdīs Karriere verfolgen, von seinen indischen Wurzeln über seine Aufenthalte im Jemen und im Ḥiǧāz bis hin nach Kairo, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbrachte. Wir bestaunen sein bemerkenswert weit gespannte Netzwerk von Kontakten zu anderen Gelehrten und verfolgen aufmerksam Reichmuths Analyse und Interpretation seiner beiden zentralen Arbeiten, d.h. seines genannten lexikographischen Werkes und seines voluminösen Itḥāf al-Sāda al-muttaqīn ("Die Gabe der gottesfürchtigen Sayyids"), ein Kommentar zu al-Ġazzālīs (gest. 1111) Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn ("Die Wiederbelebung der Religionswissenschaften").
Das erste Kapitel ("From India to Cairo: Murtaḍā az-Zabīdī's Life and Times", 1-84) ist, wie gesagt, Murtaḍā az-Zabīdīs Lebensweg gewidmet. Ausführlich geht Reichmuth auf den historischen und kulturellen Hintergrund ein und zeigt sehr schön, wie az-Zabīdī, der nie als Oberkadi wirkte oder Professor an der Azhar war, im Laufe der Zeit zu einem der führenden Gelehrten in der islamischen Welt werden konnte. Seine Persönlichkeit wird durchaus greifbar, vor allem im Zuge einer massiven Krise nach dem Tod seiner ersten Ehefrau. Mehr und mehr zog sich az-Zabīdī aus dem öffentlichen Leben zurück, eventuell auch ein Grund dafür, dass sein Netzwerk nach seinem Tode zusammenbrach und sein Ruhm schnell verblasste. Dabei war er, wie Reichmuth detailliert und sorgfältig recherchiert nachweist ("Zabīdī's Writings", 85-148), ein höchst produktiver Autor. Darüber hinaus fungierte er auch als aktiver Sammler und Händler seltener Bücher. Die Beschreibung dieser Beschäftigung gewährt uns einen erhellenden Einblick in die Publikation und Verbreitung von Texten im Vorderen Orient vor der Einführung europäischer Drucktechniken.
In dem nächsten Abschnitt ["Personal Network and Sentimental Memory: Zabīdī's Autobiographical Lexicon (Mu ʿjam)", 85-148] wertet Reichmuth ein von Murtaḍā az-Zabīdī verfasstes, unvollendet gebliebenes biographisches Lexikon aus, um auf der Grundlage der gewonnen Informationen, aus denen sich zahlreiche aussagekräftigen Statistiken ableiten ließen, dessen wissenschaftliches und persönliches Netzwerk nachzuzeichnen. Der Muʿǧam, der zahlreiche literarische Genres - wie etwa mašyaḫa, iǧāza, riḥla, adab und tarǧama - in sich vereint, bietet eine erstaunliche Bandbreite von Daten zu az-Zabīdīs Interaktion und Kommunikation mit Leuten aus verschiedenen Regionen und von unterschiedlicher sozialer Herkunft.
Die beiden nun folgenden Teile des Buches zeigen den bemerkenswert weiten Raum islamischer Gelehrsamkeit, den Murtaḍā az-Zabīdī intellektuell zu durchmessen in der Lage war. Stefan Reichmuth präsentiert uns erst einmal tiefe Einsichten in die Kompositionsstruktur, die Vielfältigkeit und den inhaltlichen Reichtum von az-Zabīdīs großartigem Lexikon ("The 'Bridal Crown' (Tāj al-ʿarūs) and its Vision of an Islamic Culture", 223-268), das als sein größter Erfolg angesehen werden kann und letzten Endes seinen Ruhm in vielen Gegenden der umma begründete. Formal handelt es sich um einen Kommentar zu Fīrūzābādīs (st. 1415) weithin verbreiteten und als Standardwerk anerkannten Qāmūs al-muḥīṭ ("Der allumfassende Ozean"). Das von az-Zabīdī hinzugefügte historische, geographische, medizinische, naturwissenschaftliche und philologische Material war allerdings so umfangreich, dass sich der Tāj al-ʿarūs - auch ohne Berücksichtigung der europäischen kulturellen Leistungen und wissenschaftlichen Kenntnisse - schnell zu dem größten arabischen lexikographischen Werk auswuchs, das jemals verfasst worden ist.
Ähnlich monumental kommt schließlich auch die Be- und Überarbeitung von al-Ġazzālīs Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn daher ("The 'Gift of the God-fearing Syyids' (Itḥāf al-Sāda al-muttaqīn): Prophetic Piety and Islamic Humanism", 269-334). Es ist die einzige vollständige Kommentierung dieses Schlüsselwerkes islamischer Theologie. Sehr gekonnt führt Reichmuth den Leser in die wichtigen Nuancen ein, in denen sich az-Zabīdīs Position von derjenigen seines berühmten, aber auch umstrittenen Vorbildes unterscheidet. Dem Autor des Itḥāf al-Sāda al-muttaqīn liegt sehr viel daran, die mannigfaltigen Wissenschaftszweige (Überlieferungswissenschaften, Jurisprudenz, Theologie, Sufismus, aber auch Astronomie, Medizin und die anderen Naturwissenschaften) miteinander in Einklang zu bringen. Vor allem unternimmt er den Versuch, eine grundsätzliche Harmonie zwischen Traditionalismus, Rationalismus und mystischen Anschauungen herzustellen. Murtaḍā az-Zabīdī, der dem eigenständigen Räsonieren (iǧtihād) eher skeptisch gegenüberstand, stimmte, wie Reichmuth zeigt, weitgehend mit al-Ġazzālīs sufischen, ethischen und philosophischen Meinungen überein, in deren Mitte die Schaffung des Menschen nach der Form (ṣūra) Gottes, die Würde des menschlichen Intellekts (ʿaql), durch den dieser zu Gottes Stellvertreter auf Erden gemacht worden sei, sowie die Überzeugung, dass das Wissen (ʿilm) das Fundament jeglicher weltlichen Ordnung darstelle, stand.
Stefan Reichmuth lässt sein vorzügliches Buch mit einem interessanten Gedankengang enden. Er wägt ab, ob man Murtaḍā az-Zabīdī, der sehr häufig über Rāġib al-Iṣfahānī (gest. ca. 1050) auf die Vorstellungen Miskawayhs (gest. 1030) und damit auf den Islamischen Humanismus des 10. Jahrhunderts zurückgreift, einer allgemeinen, globalen späthumanistischen Strömung zurechnen kann, die um 1550 im Anschluss an die Renaissance in Europa aufkam und für etwa 100 Jahre den Gelehrtendiskurs bestimmte. Viele der Gegenstände, mit denen sich az-Zabīdī beschäftigte, sind - ebenso wie zahlreiche seiner geistigen Interessen - mit den Diskussionen im frühneuzeitlichen Europa auffallend deckungsgleich. Letztlich mag dies erst einmal festgestellt sein. Wie jedoch die Reflexe in den weltweiten Wissenskulturen auf die spätestens mit dem 16. Jahrhundert einsetzende wirtschaftliche und politische Globalisierung genau aussahen und wie groß die Gemeinsamkeiten waren, bleibt noch zu klären.
Stephan Conermann